Medikamente vorher holen

Darum haben heute fast alle Apotheken in Bayern geschlossen

22.11.2023, 07:52 Uhr
Das Apotheken-Logo leuchtet an einer Apotheke.

© Oliver Berg, dpa Das Apotheken-Logo leuchtet an einer Apotheke.

Die Ladenglocke in der Rohrberg-Apotheke im niederbayerischen Hengersberg geht an diesem Nachmittag im November gefühlt minütlich. Im Schnitt rund 180 Kundinnen und Kunden kommen hier am Tag, sagt Inhaberin Andrea Maier. An sechs Tagen in der Woche hat ihre Apotheke geöffnet - 44 Stunden insgesamt. Eine 6-Tage-Woche auch für Maier: Als einzige approbierte Apothekerin im Team muss die 60-Jährige bei laufendem Betrieb immer vor Ort sein. Am Mittwoch aber wird die Ladenglocke stumm bleiben. Denn die Apotheke im Landkreis Deggendorf beteiligt sich am bayernweiten Protest und bleibt zu.

Maier würde sich die Arbeit am liebsten teilen, denn auch außerhalb der Öffnungszeiten geht es für sie weiter. Da müsse sie oft noch Papierkram erledigen, berichtet sie. Ihre Kollegin hörte wegen der Arbeitsbelastung während der Corona-Pandemie auf. Seit April 2022 sucht Maier deshalb nach einer Verstärkung und langfristig auch nach jemandem, der die Apotheke in ein paar Jahren übernehmen wird. Nur eine einzige Bewerbung habe es in etwa anderthalb Jahren gegeben, doch die sei wenig später zurückgezogen worden. "Ich war überrascht, dass die Nachfrage so gering ist," sagt die Apothekerin. Aus Verzweiflung habe sie nun begonnen, auch im Ausland zu suchen.

Apothekerverband fordert mehr Geld

Dass es an Apothekerinnen und Apothekern mangelt, beklagt auch der bayerische Apothekerverband und sieht den Grund dafür unter anderem in der Vergütung. "Wir brauchen endlich einen Inflationsausgleich für unser Honorar", sagt der Verbandsvorsitzende Hans-Peter Hubmann. Der gesetzlich festgelegte Zuschlag pro Packung verschreibungspflichtigem Arzneimittel sei seit mehr als zehn Jahren nicht mehr erhöht worden. Schon jetzt geraten laut Hubmann viele Apotheken in eine finanzielle Schieflage. Zehn Prozent schreiben demnach rote Zahlen.

Bayerns neue Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) unterstützt die Forderung nach einem höheren Zuschlag. Ein entsprechender Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz liege vor, nun sei die Bundesregierung am Zug.

Ein Sprecher des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen dagegen findet die Forderung unbegründet. Es gebe Erhöhungen, etwa bei der Dokumentationsgebühr oder der Vergütung von Notdiensten. "Für zusätzliche Honorarsteigerungen an die Apotheken sehen wir keinen sachlichen Grund."

Apothekenschwund in Bayern

In ganz Bayern gibt es nach Angaben des Verbandes aktuell nur noch 2820 öffentliche Apotheken - rund 500 weniger als vor zehn Jahren. "Wir erleben einen sehr deutlichen Apothekenschwund", sagt Hubmann. Gesucht werden vor allem Kräfte aus dem pharmazeutisch-technischen oder kaufmännischen Bereich. Andere Gesundheitsberufe seien deutlich besser bezahlt und deshalb für viele attraktiver.

Angesichts dieser Lage ist Apothekerin Maier froh, dass sie noch Angestellte hat. "Wenn wir keine selbst ausbilden würden, hätten wir keine", sagt sie über ihre Mitarbeiterinnen. Freiwillig würde sie ihre "Mädels" niemals gehen lassen.

Lieferengpässe als zusätzlicher Stressfaktor

Doch nicht nur der finanzielle Druck belastet. Es seien auch die Lieferengpässe bei vielen Medikamenten, sagt Verbandschef Hubmann. Das bestätigt auch die Apothekerin Maier aus Hengersberg: "Die letzten zwei Jahre war es extrem". Fünf Firmen habe sie Mitte November wegen eines Medikaments angerufen. Teilweise hätten sie ihr nicht einmal ein Lieferdatum geben können oder die Lieferung sei erst nächstes Jahr wieder möglich gewesen. Das sei mittlerweile Alltag.

Im Winter vor einem Jahr stellte Maier Fiebersäfte selbst her, weil es keinen Nachschub gab. Wegen der Engpässe müssten die Apotheken auch mehr mit den Ärzten kommunizieren, um Lösungen zu finden, wie die Patientinnen und Patienten trotz eines nicht lieferbaren Mittels behandelt werden können. "Manche Kunden fragen dann schonmal: "Bin ich jetzt ein Versuchskaninchen?""

Lauterbachs Reformpläne kommen nicht gut an

Die Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) stoßen dem Apothekerverband übel auf. Lauterbach will Neueröffnungen von Apotheken in Regionen mit dünnem Netz erleichtern. Ein Vorschlag des Ministers sieht beispielsweise vor, dass künftig kein Apotheker mehr vor Ort sein muss.

Weder Verbandschef Hubmann noch Apothekerin Maier halten diese Pläne für sinnvoll. Die Betreuung einer anderen Apotheke parallel zum Alltagsgeschäft hält Maier für unpraktikabel. Und Verbandschef Hubmann befürchtet, dass solche "Apotheken-Light", wie er sie nennt, etablierte Apotheken verdrängen könnten. "Einmal abgebaute Strukturen kommen nicht wieder", sagt Hubmann.

Protest am Mittwoch

Nicht nur in Bayern, auch in Baden-Württemberg bleiben die meisten Apotheken am Mittwoch geschlossen. Die Versorgung mit Arzneimitteln ist nach Angaben des Landesapothekerverbandes aber gesichert. Notdienstapotheken sollen geöffnet bleiben. Der Verband empfiehlt trotzdem, planbare Medikamente vor dem Protesttag oder am Donnerstag danach zu kaufen. Die Apothekerschaft aus Baden-Württemberg und Bayern trifft sich mit ihren Teams um 12.05 Uhr zur Kundgebung auf dem Schlossplatz in Stuttgart.