Handys als notwendige Flucht-Helfer

16.8.2015, 19:00 Uhr
Handys als notwendige Flucht-Helfer

© Foto: afp

Die erste Frage gilt immer der Mutter: „Wie geht es Mama?“ Seit zehn Jahren ist sie schwer krank, seit sechs Jahren hat Gholamreza Lohrasby Nichkui sie nicht mehr in den Arm nehmen können. Erst danach fragt er nach den Geschwistern, den Freunden und Verwandten. „Grüß alle von mir“, schreibt er.

„Bekommst du genug zu essen?“, fragt die Schwester zurück. „Alles gut bei dir?“ Dann schickt er mit seinem Smartphone ein Foto, oder einige Sätze, die er aufgenommen hat. Und sie ein paar zurück. Oder sie telefonieren über das Internet, dank Skype oder ähnlicher kostenloser Dienste können sie sich dabei sogar sehen. Und für einen Moment ist seine Familie bei Gholamreza Lohrasby Nichkui, 35 Jahre und vor sechs Jahren aus dem Iran geflohen.

Sein Handy ist ein altes Sony Ericsson, das Display hat mehrere feine Sprünge, an den Kanten ist es abgeschlagen. Es ist nicht viel wert, doch für ihn unbezahlbar. Für Gholamreza Lohrasby Nichkui ist es die einzige Verbindung zu seiner Familie. Dank des Smartphones kann er Teil ihres Lebens sein, auch wenn er Tausende Kilometer von ihr entfernt lebt.

Es ist ein häufig geäußertes Vorurteil gegenüber Asylbewerber, ihnen könne es gar nicht so schlecht gehen, schließlich besäßen doch fast alle Smartphones. Letzteres stimmt auch, die allermeisten Asylbewerber haben Handys, doch ein Luxus-Artikel ist es beileibe nicht. Tatsächlich ist es oft der wichtigste Gegenstand, den Flüchtlinge besitzen. „Für mich ist das Handy mein Leben“, sagt Hassan Moradi.

Billige Importe

Regelmäßig telefoniert er mit seiner Familie über das Internet, auch er nutzt kostenlose Online-Dienste wie Skype oder Viber. Die Mutter und drei Geschwister sind noch in Afghanistan, er floh vor sieben Jahren – und brachte damals sein erstes Handy mit. In Afghanistan seien die sogar günstiger als in Deutschland, billige chinesische Importe überschwemmen den asiatischen Markt. Die Handys haben dann zwar nicht so viele Funktionen wie in Deutschland verkaufte Produkte, aber sie erlauben etwas Wesentliches: Mit ihnen kann man ins Internet gehen.

Auch in Afrika sind Handys weit verbreitet: An vielen Orten sind die stationären Telefon- und Datennetze schlecht ausgebaut. Handyhersteller investieren aber massiv in Mobilfunknetze. Und inzwischen werden auf der ganzen Welt – wie auch in Deutschland – herkömmliche Handys, immer öfter durch internetfähige Smartphones abgelöst.

Daher haben viele Menschen ein Telefon dabei, wenn sie sich auf die Flucht machen. Es ist oft das wichtigste Utensil: Dank GPS hilft es bei der Orientierung, es hält Kontakt zu Schleusern, zur Familie, die wissen will, wie es ihnen auf der Flucht ergeht. Es ersetzt Fotoalben – die Bilder von den Eltern, der eigenen Frau oder Kindern sind auf dem Telefon gespeichert.

Und angekommen in der Fremde, ist es nicht nur die Verbindung nach zu Hause, sondern hält Kontakt zu den neuen Freunden in Deutschland. Mit dem Smartphone kann gegoogelt werden, wo die Behörde ihren Sitz hat, bei der man den nächsten Termin hat, oder wie das Asylverfahren in Deutschland überhaupt abläuft. Übers Handy wird Radio gehört, Fernsehen geschaut, gespielt oder auch gelesen.

Vor drei Jahren kauft Hassan Moradi sich in Deutschland ein Smartphone, ein weißes Galaxy S 3, gebraucht für 200 Euro. Pro Monat gibt er nochmal zehn bis 15 Euro für eine Prepaid-Karte aus, mit der er online gehen kann.

Praktisches Wörterbuch

Das ist viel Geld für einen Asylbewerber, der mit aktuell 143 Euro Taschengeld im Moment über die Runden kommen muss. Doch Hassan Moradi, 22 Jahre alt, ist es allemal wert, dafür zu sparen: „Für mich ist das Handy auch ein Lehrer“, sagt er. „Ich habe es für die Schule gekauft.“

Seit drei Jahren ist sein Smartphone ständiger Begleiter im Unterricht: Versteht er ein deutsches Wort nicht, schlägt er es online nach. „Den Lehrer kann ich ja nicht dauernd fragen.“ Inzwischen spricht er flüssig Deutsch, in der Schule läuft es auch deswegen gut: Im Juli hat Hassan Moradi seine letzten Prüfungen geschrieben, noch wartet er auf die Ergebnisse. Doch wenn alles gut läuft, hat er bald seine mittlere Reife in der Tasche.

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