NOT-HELFER: Basketball als Tröster

10.8.2015, 20:26 Uhr
NOT-HELFER: Basketball als Tröster

© Foto: Christoph Benesch

Es kann sein, dass es heiß war in dieser Nacht in Äthiopien. Wahrscheinlich war es sternenklar, vielleicht goss es aber auch wie aus Kübeln. Tafari weiß es nicht mehr genau, nur, dass er kein Auge zubekam. Er weiß noch, wie er hoffte, seine Mutter würde nicht weinen, wenn er sie gleich zum letzten Mal in seinem Leben umarmte. Schon verrückt, sagt er, dass er sich nicht an das Wetter erinnern kann. Es war ja der wichtigste Tag seines Lebens. Ach, der Mensch ist schon komisch, was er alles vergisst.

Harun immerhin, er weiß noch, dass es geregnet hat. Oh ja, er wird diesen Regen nie vergessen. Eiskalte, dicke Tropfen, die sich durch die Kleidung fraßen wie Dutzende gemeine Käfer. Harun aus Homs in Syrien, der wie alle hier eigentlich ganz anders heißt, weiß sogar noch, wie es roch in diesem Wald irgendwo in Bulgarien, als er im Dickicht kauerte, fror und lauschte, wie dieses Hundegebell anschwoll. Wenn Allah will, so wird es hier und jetzt zu Ende sein, dachte er. Harun war ganz ruhig, er hat den Wald gerochen und die Angst.

Jeder hier auf diesen zwanzig mal zehn Metern Asphalt hat seine Geschichte. Jeder eine geliebte Heimat, die Gott vergessen haben muss. Dort lauern betrunkene Soldaten, die nachts in Häuser einbrechen, Frauen vergewaltigen, Kinder töten, Männer verschleppen. Es lauern die Mörder des IS. Und wenn sie nicht kommen, dann der Geheimdienst von Diktator Assad. Geh fort, haben ihre Mütter sie angefleht, und dreh dich nicht um, bis du in Sicherheit bist.

Das Schlimme vergessen

Hier sind sie nun, auf diesem rauen, geflickten Asphalt, auf den die Gemeinde Buckenhof vor Jahren eine kleine Halfpipe gestellt hat und einen Basketballkorb. Neunzig Minuten Basketball, neunzig Minuten, in denen man vergessen kann: den Regen, das Hundegebell, die Tage auf hoher See, in Erdlöchern, im Gefängnis, in Auffanglagern und die Nacht vor dem Abschied. Natürlich hat die Mutter geweint. Jedes Mal weint sie, wenn der Nachbar in Äthiopien sein Telefon die staubige Straße hinunterträgt, damit Tafari ihr versichern kann, dass er noch lebt.

Die ersten Male spielten sie in abgeschnittenen Jeans, in Sandalen, im Hemd. Ein, zwei Mal in der Woche treffen sie sich zum Basketball: Syrer, Äthiopier, Kubaner, Albaner, Ukrainer, Somalier.

Zwei deutsche Freunde spielten schon auf diesen Korb, als die Container noch nicht auf dem Bolzplatz standen. Eines Tages fragten sie, den Ball unter dem Arm, ob die Jungs nicht mitspielen möchten, die im Schatten saßen und Steinchen in den Sand warfen. Vielleicht kann man ihnen eine Stunde Freude schenken, eine Stunde, in der sie ihr Schicksal vergessen können, sagen Stefan und Thomas. Ihre Namen, finden sie, seien doch egal, es geht ja nicht um sie, es geht um den Sport und seine Kraft, die sie alle zusammenbringt — egal, woran sie glauben, woher sie stammen, welche Sprache sie sprechen und welche Farbe ihre Haut hat.

Das war sonst immer anders, als Harun fortlief, Tausende Kilometer weit, immer weiter, nur fort. In diesem Wald hat die Polizei ihn gefunden und eingesperrt. Und als ihn der hilflose Staatsapparat nach drei Wochen wieder auf die Straße spuckte, lief er einfach weiter. Weil auf seinem Pass nicht Deutschland steht, werfen ihn die Paragrafen jetzt hin und her — wie die Wellen ein kleines Stück Holz. Wegen fünf Buchstaben auf einer Plastikkarte: Syria. Dieser freundliche junge Mann mit dem akkurat rasierten Bart, der so tolle Korbleger macht, muss darüber laut lachen. Dann wird er still und kämpft mit den Tränen.

Wie der Wüstenboden

Thomas hat Tafari kürzlich mit in sein Einfamilienhaus genommen, im Auto, mit Klimaanlage. Der hagere 18-Jährige mit den schwarzen Haaren, der immer zur Straße läuft, um Stefan und Thomas abzuholen und zurück zum Auto zu bringen, war umgeknickt, als er nach dem Ball sprang. Er saß auf dem Sofa und Thomas’ Ehefrau machte einen Salbenverband. Tafari klopfte plötzlich auf das Parkett: „So hart“, sagte er, „war der Wüstenboden.“ Nach drei Tagen Durst hat er mit den Händen dort nach Wasser gegraben, bis die Fingernägel brachen.

Auf einmal saß einer aus diesen Booten, die wir in den Nachrichten sehen, in unserem Wohnzimmer, sagt Thomas. Auf einmal waren wir mittendrin in diesem Elend. Der kleine Sohn schlief oben in seinem Bettchen, Thomas holte Cola aus dem Kühlschrank und Tafari erzählte Geschichten aus der Hölle. Wie er dachte, diese Männer in den Pickups würden ihm helfen. Wie sie ihn aber in ein Loch warfen, mit Hunderten anderen. Wie sie jeden Tag Einzelne herauszogen, verprügelten, ermordeten. Wie sie ihn zwangen, seine Mutter anzurufen, bis sie endlich 2000 Dollar zusammengebettelt hatte. Dann brachten sie Tafari an den Strand, prügelten ihn und zu viele andere in ein wackeliges Schlauchboot und überließen sie ihrem Schicksal. Vier lange Tage war sich Tafari sicher, er würde in diesem jämmerlichen Boot sterben. Er fand das gar nicht so schlimm, er hatte es wenigstens versucht.

Wenn er die Augen schließt, hört er noch die Kinder schreien, die Mütter weinen und sieht, wie Männer entkräftet ins Wasser fallen. Warum lässt Allah so etwas zu, dachte er. Dann schickte Allah dieses Schiff, das sie nach Italien brachte.

Von Regeln genug

Tafari hat kein gutes Gefühl für den Ball. Er tippt und fängt ihn immer mit beiden Händen, dazu läuft er Richtung Korb. In einem richtigen Basketballspiel pfeift der Schiedsrichter das ab. Aber von Regeln haben sie alle hier genug. Sie lassen Tafari so spielen, wie er es kann. Passiert ein Foul, umarmen sie sich: Syrer, Kubaner, Ukrainer, Albaner, Äthiopier, Somalier und die zwei Deutschen. Was ist schon ein Freiwurf? Ein Punkt? Ein Sieg? Eine Niederlage?

Sie spielen manchmal so lange, bis die Sonne hinter den Bäumen verschwindet. Dann sitzen sie noch zusammen, plaudern, lachen. Und manchmal weinen sie auch ein bisschen. Irgendwann werden sie wieder zu zweit sein, sagt Stefan. Er mag gar nicht daran denken. Wenn die Paragrafen die Freunde wegspülen wie das Meer ein kleines Stückchen Holz.

Hilfe bei der Suche nach dem passenden Verein

Diverse Sportvereine in der Region Nürnberg haben Angebote für Asylbewerber: Es gibt Fußballmannschaften, Volleyball-Treffs oder Kletterkurse. Der Sport soll Flüchtlingen nicht nur eine Ablenkung in ihrem Alltag bieten, sondern auch bei der Integration helfen: Es entstehen Freundschaften, und Kenntnisse der deutschen Sprache werden ganz nebenbei erworben.

Um diesen Integrationsprozess zu unterstützen, fördert auch das Bundesinnenministerium in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge das Programm „Integration durch Sport“. Die Organisation erfolgt durch den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), die Umsetzung in den Landessportbünden und den Sportvereinen vor Ort.

Die bayerische Koordinierungsstelle „Integration durch Sport“ hilft gerne weiter bei der Suche nach einem Verein, der sich in der Flüchtlingsarbeit engagiert. Informationen gibt es unter www.sportintegration.de oder per Telefon unter 09 31/ 88 27 11.

Im Übrigen hat der Bayerische Landessportverband (BLSV) für all seine Mitgliedsvereine eine Rahmenvereinbarung geschlossen: Trainieren Asylbewerber in einem Verein mit oder besuchen sie eine Veranstaltung, sind sie im Schadensfall versichert — auch wenn sie selber kein Mitglied sind.

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