Nach massiven Protesten

Verbotsverfahren, Finanzierungsausschluss, weitere Radikalisierung: Das könnte der AfD jetzt drohen

Johannes Lenz

Nordbayern-Redaktion

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12.2.2024, 05:54 Uhr
Muss die AfD ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht fürchten?

© IMAGO / Schöning / Steinach Muss die AfD ein Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht fürchten?

Die "Correctiv"-Recherchen haben deutschlandweit heftige Reaktionen ausgelöst: Auf zahlreichen Massenkundgebungen demonstrierten in den vergangenen Wochen hunderttausende Menschen gegen Rechtsextremismus und "Remigrationspläne" (= Vertreibung von Menschen mit Migrationshintergrund und Andersdenkenden), zeitgleich ist auf politischer Ebene eine heftige Diskussion über den Umgang mit der AfD entbrannt: Wie umgehen mit einer Partei, deren Jugendorganisation vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft wurde, ebenso wie vier ihrer Landesverbände und der (offiziell aufgelöste) völkische "Flügel" um Björn Höcke?

Zwei mögliche Varianten rückten dabei immer wieder ins Zentrum der Debatte: Ein Parteiverbotsverfahren und der mögliche Ausschluss von der Parteienfinanzierung. Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Vizekanzler Robert Habeck erklärten, ein Verbotsverfahren nicht ausschließen zu wollen, und auch der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz stellte eine "harte Auseinandersetzung" mit der AfD in Aussicht.

Aber wie realistisch sind diese Szenarien tatsächlich? Und welche Folgen würden sich daraus für die Partei, ihre Wähler und die gesamtdeutsche Gesellschaft ergeben? Über diese Fragen haben wir mit zwei Politikwissenschaftlern aus der Region gesprochen: Prof. Dr. Thomas Kestler von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Prof. Dr. Klaus Stüwe von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Droht der AfD ein Verbotsverfahren?

Über 800.000 Menschen haben eine Petition auf der Plattform "innn.it" unterzeichnet, die den Bundesrat dazu aufruft, die Prüfung eines Parteiverbotes der AfD beim Bundesverfassungsgericht zu beantragen. Aber wie realistisch ist es, dass die Partei tatsächlich verboten wird? Über ein Verbot entscheidet - wie die Petition bereits verrät - das Bundesverfassungsgericht. Einen Antrag zur Prüfung eines möglichen Parteiverbotes dürfen der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung einreichen, erklärt Klaus Stüwe.

Das Gericht muss dann prüfen, ob die AfD tatsächlich verfassungswidrig agiert. Im Grundgesetz heißt es dazu: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig." Stüwe verweist darauf, dass das Verfassungsgericht sehr strenge Maßstäbe bei der Prüfung anlegt. Das untermauert auch die Tatsache, dass in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland erst zwei Parteien verboten wurden - die Sozialistische Reichspartei (SRP) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD).

Auch Thomas Kestler verweist auf die strenge Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht. Um die Kriterien für ein Parteiverbot zu erfüllen, brauche es laut Kestler eine "kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und Bemühungen, diese abzuschaffen." Kestler hält es für fragwürdig, dass diese Kriterien auf die AfD zutreffen. Teile der Partei - etwa der "Flügel" um Björn Höcke oder die Junge Alternative - würden gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen, allerdings treffe diese strenge Definition nicht auf die gesamte Partei zu.

Parteiverbotsverfahren: Die "richtige" Lösung im Umgang mit der AfD?

Neben den rechtlichen Hürden stellt sich die Frage, ob ein Parteiverbotsverfahren vor dem Hintergrund demokratietheoretischer Überlegungen die "richtige" Lösung im Umgang mit der AfD darstellt. Sowohl Klaus Stüwe als auch Friedrich Kestler halten ein Parteiverbotsverfahren für die "ultima ratio", den letztmöglichen Weg. Stüwe befürchtet zum einen, die AfD könne sich im Zuge eines Verbotsverfahrens als "Opfer" oder "Märtyrer" inszenieren. Zum anderen erkenne er zwar in Teilen der AfD extremistische Positionen, was jedoch nicht für alle Wähler der Partei gelte. Es lohne sich, "wieder ihr Vertrauen zu gewinnen, indem man ihre Sorgen ernst nimmt." Deshalb ist er der Meinung, dass man die Partei "lieber mit politischen Argumenten bekämpfen" solle.

Thomas Kestler gibt zu bedenken, dass ein Parteiverbotsverfahren "keinesfalls zum Instrument des politischen Wettbewerbs" werden dürfe. Besonders aus Reihen des "Flügels" der AfD sei zwar ein "ethno-nationalistischer Oberton deutlich erkennbar", dennoch vertrete die AfD als gesamte Partei noch keine totalitäre Ideologie - und nur für Vertreter einer solchen totalitären Ideologie sei das Parteiverbotsverfahren gedacht. Kestler vertraut zudem in die "Sicherheitsnetze" der deutschen Verfassung; um das Grundgesetz zu ändern, brauche die AfD beispielsweise eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat.

Droht der AfD ein Ausschluss von der Parteienfinanzierung?

Ob die AfD tatsächlich ein Verbotsverfahren fürchten muss, ist also fraglich. Aber wie sieht es mit einem möglichen Finanzierungsausschluss aus? Am 23. Januar hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, die Partei DIE HEIMAT (ehemals NPD) für sechs Jahre von der staatlichen Finanzierung nach dem Parteiengesetz auszuschließen. In der Urteilsbegründung heißt es, dass DIE HEIMAT das Kriterium einer Partei, "die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet (ist), die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden", erfüllt habe.

Auch im Falle der AfD müsse das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsfeindlichkeit der Partei prüfen, erklärt Klaus Stüwe. "Diese Prüfung wäre genauso aufwändig und würde genauso lang dauern wie ein Parteiverbotsverfahren", weiß er. Laut Thomas Kestler liege die Schwelle für ein Finanzierungsausschlussverfahren aber niedriger als für ein Parteiverbotsverfahren. Er glaubt, dass die Bundesregierung sich eventuell dazu "genötigt" fühlen könnte, aktiv zu werden, und hält einen entsprechenden Antrag an das Bundesverfassungsgericht deshalb für vorstellbar. Auch Kestler betont, dass das Gericht beurteilen müsse, ob die AfD aktiv verfassungsfeindliche Ziele verfolgt.

Konsequenzen eines möglichen Finanzierungsausschlusses

Sollte die AfD tatsächlich von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden, hätte das gravierende Folgen für die Partei: Klaus Stüwe weist darauf hin, dass die AfD-Bundespartei allein im Jahr 2022 rund zehn Millionen Euro an staatlicher Parteienfinanzierung erhalten habe. Diese Summe habe knapp ein Drittel der Gesamteinnahmen der Partei ausgemacht. Sollten diese Mittel durch einen Ausschluss von der Parteienfinanzierung wegfallen, könne die AfD beispielsweise viel weniger Geld für Wahlkämpfe ausgeben.

Auch Thomas Kestler weiß, dass die Parteienfinanzierung einen "erheblichen Teil" der Finanzen der AfD ausmacht. Ein Finanzierungsausschluss würde die Handlungsfähigkeit der Partei daher beeinträchtigen - vollständig zum Erliegen bringen könne sie ein solcher Beschluss aber nicht. Zwar sei die Kampagnenfähigkeit der AfD beschränkt, großflächige Plakatierungen zum Beispiel könne sich die Partei wohl nicht mehr leisten. Trotzdem wäre die Partei weiterhin auf Social Media aktiv und würde nach wie vor auf dem Wahlzettel stehen.

Kestler hält es für möglich, dass ein Ausschluss von der Parteienfinanzierung eine "disziplinierende" Wirkung auf die Partei haben könnte, sieht aber auch Risiken: Er weist auf die Gefahr einer weiteren Radikalisierung der AfD hin. Die Aktivitäten der Partei müssten ohne die Parteienfinanzierung auf einem niedrigeren Niveau weiterlaufen, weshalb sie auf die Unterstützung von Freiwilligen angewiesen sein könnte. "Wer macht das? In der Regel Radikale", meint Kestler. Zudem würden Mitglieder und Unterstützer der AfD in ihrem Narrativ "wir gegen die" bestärkt und könnte einen möglichen Finanzierungsausschluss zum Anlass nehmen, sich weiter in der "Opferrolle" darzustellen.

Reaktion auf Enthüllungen und Proteste: Radikalisiert sich die AfD weiter?

Unabhängig von den möglichen rechtlichen Konsequenzen, die der AfD drohen könnten, stellt sich die Frage, wie die Partei intern auf die Enthüllungen des "Correctiv" und die darauf folgenden Massenproteste reagiert. Eine einheitliche Haltung kann Klaus Stüwe bislang jedenfalls nicht feststellen: "Einige AfD-Funktionäre ignorieren die Vorgänge einfach, andere distanzieren sich davon, einige sehen darin eine Verschwörung der Medien, und wieder andere bekräftigen sogar Positionen, die bei dem Geheimtreffen besprochen wurden, z.B. die Pläne zur 'Remigration'." Es sehe demnach so aus, als habe die AfD "im Moment keinen Plan, wie man geschlossen auf den 'Correctiv'-Bericht reagieren soll."

Eine Möglichkeit wäre, dass die AfD sich nach den "Correctiv"-Enthüllungen und der deutschlandweiten Protestwelle inhaltlich und rhetorisch noch weiter radikalisiert. Ob die Partei diesen Schritt tatsächlich geht, ist laut Thomas Kestler aber fraglich - "aus strategischen Gründen" wäre ein solcher Schritt seiner Meinung nach unklug: "Eine Radikalisierung ist nur dann sinnvoll, wenn man damit neue Wählergruppen ansprechen kann. Doch die AfD deckt den rechten Rand der politischen Landschaft bereits ab", stellt Kestler fest.

Er vermutet aber auch, dass aus einem Gefühl der politischen Ausgrenzung, das viele AfD-Mitglieder und Unterstützer wahrnehmen würden, eine "gewisse Radikalisierungsdynamik" resultieren könnte. Sollte die AfD sich also tatsächlich weiter radikalisieren, würden Kestlers Ansicht nach vor allem moderatere Stimmen innerhalb der Partei darunter leiden - so wie es in der Vergangenheit bereits bei Bernd Lucke, Frauke Petry oder Jörg Meuthen der Fall gewesen sei. "Die Moderaten werden bei Radikalisierungsprozessen an die Wand gespielt und müssen kapitulieren."