Beziehungen

Trennungsmethode Ghosting: Was Betroffene tun können

Alexandra Amanatidou

SEO-Redakteurin

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25.4.2023, 08:03 Uhr
Ghosting ist ein hässliches Phänomen.

© imago images/Rolf Poss, NNZ Ghosting ist ein hässliches Phänomen.

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Hinter seinem Verhalten steckt eine andere Frau. Der Satz, ausgesprochen von einer Freundin, trifft Kathrin Hoffmann unvermittelt hart. Kathrin Hoffmann heißt eigentlich anders. Ihr Name wurde für diesen Artikel geändert. Sie ist Mitte dreißig, lebensfroh, hat einen liebevollen Freundes- und Familienkreis und arbeitet in ihrem Traumjob. Vieles in ihrem Leben läuft gut. Nur die Liebe nicht.

Robert Müller (Name von der Redaktion ebenfalls geändert) nimmt über ein soziales Netzwerk Kontakt zu ihr auf und tritt in ihr Leben. Sie kannten sich bis dato nur flüchtig. Die beiden verabreden sich in einer Kneipe, finden sich auf Anhieb sympathisch. Als sie zusammenkommen, schreibt er: "Ich freue mich auf die Zukunft mit dir". Sie planen einen gemeinsamen Urlaub. Nach sechs Wochen Beziehung sieht er ihr in die Augen und sagt "ich liebe dich".

Nur drei Wochen später ist alles anders. Es kommt zu einem unglücklichen Missverständnis, wie Hoffmann erzählt. Er bietet ihr eine Aussprache an, verschiebt dann aber Treffen um Treffen. Sie schreibt ihm, was los sei, ob sie etwas falsch gemacht habe und wann sie sich wieder sehen würden. Mit einer Vorahnung im Bauch fragt sie schließlich: Ist eine andere Frau im Spiel? Er liest jede Nachricht. Eine Antwort bleibt er ihr schuldig. Auch auf Anrufe reagiert er nicht und Kathrin Hoffmann traut sich nicht, zu seiner Wohnung zu fahren und ihn zur Rede zu stellen. Das bereits gebuchte Flugticket verfällt ungenutzt. Die Urlaubstage verbringt die Nürnbergerin zu Hause und grübelt. Gemeldet hat sich Robert Müller nie mehr wieder bei ihr.

Ghosting nennt man das – hässliche – Phänomen. Ghost bedeutet übersetzt Geist. Die Bedeutung von Ghosting ist, dass jemand plötzlich abtaucht und verschwindet. Auf einmal wird auf Nachrichten nicht reagiert und ohne eine Erklärung der Kontakt abgebrochen.

Eine Studie von YouGov aus dem Jahr 2021 lässt darauf schließen, dass Ghosting insbesondere unter 18- bis 24-Jährigen verbreitet ist. 28 Prozent der Befragten gaben an, jemanden geghostet zu haben, den sie gedatet haben. Bei den anderen Altersgruppen wiederum lag die Zahl unter 10 Prozent.

Studien wie auch valide Zahlen, ob hauptsächlich Männer ghosten und Frauen tendenziell die Opfer sind, gibt es nicht. Dass das Phänomen nun verstärkt auftritt, ist dem Online-Dating geschuldet, glauben Experten.

Warum Menschen zum Geist werden, ist nicht einfach zu erklären. "Ghoster können durchaus ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie den Kontakt einfach abbrechen, doch vermeiden sie dadurch psychische Spannungen und stehlen sich aus ihrer Verantwortung", erklärt der Psychologe Roland Denzler. In seiner Fürther Praxis arbeitet er auch mit Hilfesuchenden, die Opfer von Ghosting wurden. "Durchaus möglich, dass solchen Menschen nicht bewusst ist, welches Leid sie dem anderen zufügen, doch beschreibt dies in gewissem Sinn auch deren Defizite, nämlich deren Schwierigkeiten, sich in andere einzufühlen und zwischenmenschliche Konflikte auszuhalten", beschreibt er.

Es ist heute besonders einfach und unkompliziert, jemanden kennenzulernen. Wenn der potenzielle Partner den Erwartungen nicht entspricht, ist die Versuchung groß, dessen Kontaktdaten ohne ein klärendes Gespräch einfach wieder zu löschen und sich dem nächsten Date zu widmen. "Die Art, wie Menschen sich heute kennenlernen, ist unverbindlicher geworden", fasst die Nürnberger Psychologin Uschi Träg zusammen. Nicht selten kämen Zweifel auf, ob hinter dem nächsten Klick nicht etwas Besseres wartet – zum Nachteil derjenigen, die die Beziehung vertiefen möchten.

Zudem ziehen Online-Portale sogenannte Sensation Seeker an, also Menschen, die schnell leben und die Abwechslung suchen und brauchen. "Beziehungen werden sozusagen konsumiert", sagt Roland Denzler.

Es gibt Studien, die nachweisen, dass Menschen etwas schwerer verarbeiten, wenn sie nicht damit abschließen können. Das gilt zum Beispiel für den Tod eines Menschen. Eine Beerdigung ist für die Angehörigen schwer. Doch wenn man sich in Würde vom Verstorbenen verabschieden kann, fühlt man sich meist erleichtert und die Trauerarbeit macht einen Schritt nach vorne.

Wer geghostet wird, kann sich hingegen nicht verabschieden. Die Situation bleibt ungeklärt und man empfindet einen großen Kontrollverlust. Sicherlich: Wenn jemand nach dem ersten Treffen nichts mehr vom anderen hört, ist das meist weniger fatal und kränkend, als wenn bereits eine Beziehung besteht und Gefühle im Spiel sind.

Wenn die Seele leidet und das Grübeln nicht aufhören will, können Therapeuten helfen. "So eine Erfahrung ist eine heftige psychische Belastung und Entwürdigung", erzählt Roland Denzler.

Kathrin Hoffmann fühlt sich nach der Erfahrung ausgenutzt und wertlos. Sie fragt sich ständig: Warum? Irgendwann realisiert sie: Eine Antwort wird sie nicht mehr bekommen. Sie beschließt wegzufahren. Sie packt ihren Rucksack, fährt zum Flughafen, steigt in eine Maschine nach Spanien und unternimmt eine Wanderreise. "Das war erstmal nicht einfach", erzählt sie, "ich fühlte mich verloren. Ich habe oft an Robert gedacht." Irgendwann treten die negativen Gefühle in den Hintergrund und werden von neuen, schönen Erfahrungen, die sie auf der Reise macht, überlagert.

"Was diese Frau gemacht hat, war sehr mutig", sagt Ursula Träg. Ein Urlaub könne helfen. Nicht jeder traue sich aber zu, allein wegzufahren. Frauen, sagt sie, neigen nach einer Ghosting-Erfahrung dazu, an sich selbst zu zweifeln und sich einzuigeln. "Sie werten sich selbst ab und sind der Meinung, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Männer hingegen können aggressives Verhalten zeigen." Pauschal festlegen lässt sich das natürlich nicht.

Man sollte die Erfahrung nicht als Makel empfinden, rät die Ursula Träg. Rausgehen, die Geschichte mit einer vertrauten Person besprechen, sich auf seine Stärken und Ressourcen konzentrieren, das könne helfen, wieder neuen Mut zu fassen und das Erlebte zu verarbeiten.

"Es ist, als hätte es uns nie gegeben", sagt Kathrin Hoffmann heute. Sie habe wieder ihren Optimismus zurück, vergessen werde sie das Erlebte nicht.

Einige Monate, nachdem Robert Müller kommentarlos aus ihrem Leben verschwunden ist, sieht sie ihn wieder. Er bemerkt sie nicht. Er geht Hand in Hand mit einer Frau spazieren. Kathrin Hoffmann erkennt, dass diese Frau seine Ex-Freundin ist, mit der er wieder zusammen ist.

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