Beschneidung auf Küchentisch: Verfahren gegen Chirurg eingestellt

9.1.2019, 17:45 Uhr
Auf Wunsch der Eltern wurde das Baby nicht in einer Klinik, sondern zuhause beschnitten.

© Kay Nietfeld/dpa Auf Wunsch der Eltern wurde das Baby nicht in einer Klinik, sondern zuhause beschnitten.

Die Vorwürfe waren enorm: Die Operation fand auf dem Küchentisch statt, die Betäubung wurde nicht fachgerecht durchgeführt, die Umgebung, sprich die Wohnung der Eltern, war bei der OP nicht steril, der Arzt schnitt einen zu großen Teil der Haut des Penisschafts weg, das Baby wäre fast verblutet.

Im Sommer 2017 war die Rede von gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung – und dafür sieht das Gesetz einen Strafrahmen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren vor. Eineinhalb Jahre später wurden die Ermittlungen gegen den Arzt gegen eine Geldauflage von 1000 Euro eingestellt. Wie ist dies zu erklären?

Gutachter hatte Jungen zunächst nicht persönlich untersucht

Rückblick: Kurz nach dem Eingriff wurde dem syrischen Ehepaar angst und bange. Ihr Bub, zum Zeitpunkt des Eingriffs gerade einmal zehn Tage alt, blutete. Heute steht fest: Es kam damals nur zur Nachblutung einer OP-Narbe, wie Antje Gabriels-Gorsolke, Oberstaatsanwältin und Sprecherin der Behörde sowie Anwalt Markus Wagner übereinstimmend erklären. Die Eltern brachten den Bub damals in die Cnopf’sche Kinderklinik. Dort hegte ein Mediziner den Verdacht, dass ein zu großer Teil der Vorhaut abgeschnitten wurde, er und die Eltern sprachen noch am selben Tag mit der Polizei. Die Staatsanwaltschaft ermittelte und ließ ein Gutachten von Medizinern der Universitätsklinik Würzburg anfertigen.

Gutachter sollen den Juristen als Wissenshelfer dienen, egal, ob es um die Psyche eines Mörders, den Grund für eine misslungene Operation oder das Foto einer Radarfalle geht. Das ist viel verlangt, denn Juristen akzeptieren ungern ein differenziertes "Vielleicht", fordern oft ein "Ja" oder ein "Nein". Doch erfahrene Experten wägen ihre Worte ab, schildern Alternativen und unterschiedliche Szenarien, wie es gewesen sein könnte.

Es sieht so aus, als sei hier der Sachverständige den Aussagen des Kollegen der Cnopf’schen Klinik gefolgt: Er untersuchte den Buben damals nicht, sondern leitete aus Berichten und Fotos ab, dass zu viel Vorhaut abgeschnitten wurde. Die Formulierung des ärztlichen Kunstfehlers landete eher als Fakt denn als Vermutung im Gutachten. Ungefragt vermutete er, dass der Mediziner zur persönlichen Bereicherung gehandelt habe.

Beschneidung fand auf Wunsch der Eltern zuhause statt

Tatsächlich barg sein Gutachten Ungereimtheiten, so deutete der Hämoglobinwert des Buben, der rote Farbstoff transportiert Sauerstoff im Blut, nicht auf Blutverlust hin, Blutkonserven wurden nicht verwendet. Widersprüche, die Anwalt Wagner beanstandete, die Staatsanwaltschaft forderte eine weitere Begutachtung. Im Sommer 2018 traf der Würzburger Gutachter den Jungen erstmals, nun stellte er keine funktionellen Störungen, sondern eine altersgemäße Entwicklung fest; die Beschneidung sei korrekt erfolgt.

Warum der Mediziner, der die Beschneidung durchführte und übrigens ein langjährig erfahrener Chirurg ist, dennoch 1000 Euro Geldauflage zu zahlen hat? Der schriftliche Hinweis, dass er die Eltern über das Risiko der Nachblutung, aufgeklärt hat, fehlt. Fest steht jedoch: Die Behandlung fand auf ausdrücklichen Wunsch der Eltern zu Hause auf dem Küchentisch statt - der Chirurg, der in einem Nürnberger Krankenhaus tätig war und gute Beurteilungen seiner beruflichen Tätigkeit vorweisen kann, hatte auch die Behandlung im Krankenhaus angeboten. 

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