Droht Frankens Sehnsuchtsorten im Sommer der Overtourism?

4.6.2020, 05:57 Uhr
Gerade im Hochsommer geht es am Rothsee eng zu, viele Nürnberger fahren in die Natur. Wie all das mit Mindestabstand aussehen wird, bleibt unklar. 

© Tobias Tschapka Gerade im Hochsommer geht es am Rothsee eng zu, viele Nürnberger fahren in die Natur. Wie all das mit Mindestabstand aussehen wird, bleibt unklar. 

Sie stehen auf Feldwegen, auf Wiesen und am Waldrand, überall Autos. Schon am Vormittag des Pfingstmontags brach im Allgäu das Park-Chaos aus. Die Polizei sprach von einem Ausnahmezustand, verteilte Hunderte Strafzettel und flog sogar mit einem Hubschrauber über frequentierte Areale. "Das komplette Allgäu ist voll, übervoll, von Füssen bis Lindau", wird ein Polizeisprecher im Verlauf des Tages noch sagen, Bürgermeister warnen vor dem Kollaps im Sommer. Jetzt, an Pfingsten, stürmten Ausflügler erstmals in dieser Saison die Alpen. Die Hotels klagen zwar noch über eine Flaute, gerade einmal rund 30 Prozent seien ausgelastet, im Norden des Freistaates sind es teils nicht einmal zehn Prozent. Der Tagestourismus aber boomt.

Das verlängerte Pfingstwochenende könnte ein erster Vorgeschmack auf den Sommer für Deutschlands malerische Sehnsuchtsorte werden, für die Alpen und die Nordseeküste, Schloss Neuschwanstein und womöglich auch das Fränkische Seenland. Nur drei Prozent der Bundesbürger, das zumindest ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage von Infratest Dimap, planen eine Fernreise auf einen anderen Kontinent. Die meisten wollen entweder ganz zu Hause bleiben - oder aber innerhalb des eigenen Landes verreisen. Wer eigentlich nach Griechenland oder Italien wollte, fasst jetzt zum Beispiel das Allgäu ins Auge.

Auch in der Fränkischen Schweiz, dem vielleicht beliebtesten Ausflugsgebiet der Region, war an Pfingsten "sehr viel los", sagt Reinhard Löwisch von der örtlichen Tourismuszentrale. An den Eingangstoren vor dem Pottensteiner Erlebnisfelsen staute es sich, Boots- und Kayakverleiher waren komplett ausgebucht. "Ich wohne in Affalterthal", sagt Löwisch, "das ist ein kleines Dorf abseits der großen Ströme. Aber selbst da war extrem viel Verkehr." Besonders Motorradfahrer pilgerten für ihre Touren in die Fränkische.

"Betrieb läuft mit angezogener Handbremse"

Löwisch sieht durchaus die Gefahr von Übertourismus, gerade an beliebten Attraktionen wie der Sommerrodelbahn oder der Teufelshöhle in Pottenstein. "Die haben ihre Kasse auf den Parkplatz verlegt, weil sie von dort besser den Besucherstrom steuern können." Doch genau hier machen die Auflagen der Staatsregierung Probleme. Weil die Besucherzahlen noch immer begrenzt sind, staut es sich an an allen Ecken und Enden. "Der Betrieb läuft mit angezogener Handbremse", sagt Löwisch. Er wünscht sich weitere Lockerungen - und das möglichst schnell.

Die Möglichkeiten, sich in der Fränkischen Schweiz auf einen möglichen Besucheransturm in den Sommerferien vorzubereiten, sind begrenzt. Einige Unternehmen wie das Freibad EbserMare setzen auf Online-Tickets, die Besuchern bestimmte Zeitfenster zuweisen - Karten an der Kasse gibt es dort nicht mehr. Eine Maßnahme, von der Löwisch von der Tourismuszentrale wenig hält. "Damit schließt man spontane Leute aus, die nicht so technik- und internetaffin sind." Sich nur auf junge Besucher zu verlassen, die mit dem System umgehen können, sei falsch.

Auch bei den Parkplätzen habe man kaum Raum für Verbesserungen. "Das ist auf die Schnelle unmöglich, denn auch für die Parkflächen gibt es wieder Auflagen", sagt Löwisch. Eigentlich müsste für den Infektionsschutz aktuell jeder zweite Stellplatz gesperrt sein - daran hält sich aber keiner, weil die Flächen ohnehin Mangelware sind. "Wenn sie dann auf die Wiese fahren, dann kommt wieder der Umweltschutz ins Spiel. Wenn Öl im Boden versickert, ist das auch nicht gut." Die Verantwortlichen müssen ständig abwägen zwischen Wirtschaft und Natur, Tourismus und Anwohnern. Eine Prognose für den Sommer will Löwisch nicht wagen. "Dafür ist die Situation zu neu."

Droht Frankens Sehnsuchtsorten im Sommer der Overtourism?

© Rothenburg Tourismus Service

In Rothenburg, das gerne als fränkisches Fachwerk-Idyll angepriesen wird, ist die Situation eine andere. Gut die Hälfte der Touristen dort kommt aus dem Ausland, 36 Prozent aus Übersee. Hier könnten in den kommenden Wochen und Monaten deutsche Touristen zur Rettung werden. Seit Jahren berichten besonders überregionale Medien über den Besucheransturm in der Stadt. "Overtourism am Beispiel von Rothenburg darzulegen, das hat aber nie schlüssig gepasst", sagt Jörg Christöphler, Direktor des Tourismus-Service in der Stadt. "Wir haben einen Hotspot, den Marktplatz, der ist aber auch sehr groß – und der Rest verteilt sich dann in den Nebengassen.“ In Rothenburg ist man an Touristen gewöhnt und deshalb ausreichend vorbereitet. Mit Besuchern etwa aus Asien rechnet Christöphler frühestens wieder zur Weihnachtszeit. "Einige japanische Reiseveranstalter haben noch Vorbuchungen für Gruppen“, sagt er. "Aber das wird nicht in dem Maße stattfinden wie in der Vergangenheit.“

Auch im Fränkischen Seenland mit dem Brombach-, Altmühl- und Rothsee lief der Tagestourismus an Pfingsten wieder an. Die Parkplätze waren voll, die Uferwiesen auch. "Wir sind auf einem guten Weg", sagt Hans-Dieter Niederprüm, Geschäftsführer des Tourismusverbandes. Anders sehe es bei den Hotelübernachtungen aus. "Das Defizit aus den letzten zehn Wochen werden wir definitiv nicht aufholen können."

Am Pfingstwochenende hielten sich die Besucher am Rothsee an die Mindestabstände. 

Am Pfingstwochenende hielten sich die Besucher am Rothsee an die Mindestabstände.  © Tobias Tschapka

Weil sich das Seenland über eine Fläche von 3000 Quadratkilometern erstreckt, sieht Niederprüm auch keine Gefahr von Übertourismus. Punktuell müsse man sich nach den Erfahrungen über Pfingsten andere Regelungen und Vorschriften einfallen lassen, das sei "unbestreitbar". Gespräche werde man in Abstimmung mit den Sicherheitsbehörden deshalb in den nächsten Tagen führen. "Bei uns kann man sich aber auch ganz gut verlaufen, gerade wenn ich an die kleineren Seen denke."

"Es können nicht alle Deutschen in Deutschland Urlaub machen!"

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder will den "Urlaub daheim" in diesem Sommer kultivieren. Mitte Mai hatte er gezielte finanzielle Förderungen vorgeschlagen, etwa in Form von Urlaubsgutscheinen. Er glaubte nicht, "dass wir heute schon Pläne vorgeben können, dass wir in einem Monat schon wieder in Italien oder in Spanien sind oder in Frankreich", sagte der bayerische Ministerpräsident. Vielleicht auch etwas aus Eigennutz, denn sein Bundesland gilt als besonders beliebt unter Touristen - und Besucher spülen Geld in die Kassen vieler klammer Kommunen.

Doch die Reisebranche blickt mit gemischten Gefühlen auf Söders Vorstoß. Am Wochenende veröffentlichte etwa der Deutsche Reiseverband (DRV) ein Video, das die einseitige Werbung der Politik für Reisen im eigenen Land verurteilt. "Urlaub in Bayern ist schön", heißt es dort, "aber Reisen ist so viel mehr". "Es können nicht alle Deutschen in Deutschland Urlaub machen!", sagte DRV-Präsident Norbert Fiebig gegenüber der Bild-Zeitung. Die Kapazitäten im Land reichten dafür schlichtweg nicht aus, und dass Hotels etwa in Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern nur zu 60 Prozent ihrer Häuser belegen dürfen, verschärfe die Probleme weiter. Die Aufhebung der weltweiten Reisewarnung des Auswärtigen Amtes sei überfällig gewesen. "Damit gibt es jetzt wieder ein Stück Planungssicherheit", sagt Fiebig, der von einem "Lichtblick" spricht.

Droht Pleitewelle im Herbst?

Der schnelle Tagestourismus hat seine Schattenseiten. Wildpinkler, illegales Camping, Müll und Umweltzerstörung. Um all das abzufedern, fordert der Bürgermeister von Kochel am See, einem der überrannten Orte, eine Art Maut. Gegenüber dem Bayerischen Rundfunk sagte er, Tagestouristen sollten mit einem Tagesticket oder einem Kurbeitrag zur Kasse gebeten werden. Eine Idee auch etwa für die Fränkische Schweiz? "Das ist eine Luftnummer", sagt Reinhard Löwisch von der Tourismuszentrale. "Man müsste das Gebiet einzäunen, Personal einstellen, Kassenhäuser, das ist ein Riesenaufwand." Die Kontrolle von Ausfallstraßen sei schlichtweg zu teuer.

So oder so: Die Situation bleibt angespannt. Die Auslastung in den Hotels sei teils katastrophal, sagt Frank-Ulrich John vom Hotel- und Gaststättenverband Dehoga. "Das hält ein Betrieb nicht lange durch." Viele Pachtzahlungen seien gestundet worden, Überbrückungskredite müssten zurückgezahlt und die Warenbestände von null wieder hochgefahren werden. "Wir hoffen, dass sich die Buchungen schnellstmöglich normalisieren. Sonst kann es ganz, ganz gefährlich werden."

Auch Löwisch macht sich Sorgen. Selbst wenn im Sommer viele Besucher kämen, sei die Zukunft des Tourismus in der Fränkischen Schweiz unklar. "Es gibt die Befürchtung, dass viele Betriebe das Jahr nicht überleben", sagt er. Unternehmer rechnen mit einem großen Crash im Herbst, dann, wenn Hotels und Gastronomie einen Schlussstrich ziehen. "Wir haben keine Wintersaison, von Ende Oktober bis Ostern ist mehr oder weniger tote Hose", sagt Löwisch. "Die Betriebe müssen jetzt Einnahmen generieren, damit sie das überstehen."


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