Cineastische Liebeserklärung an das Dorf Thuisbrunn

3.12.2012, 17:19 Uhr
Cineastische Liebeserklärung an das Dorf Thuisbrunn

© Udo Güldner

„Wir fühlen uns dort zu Hause. Es sind herzliche, offene, weltgewandte Menschen, wie ich das in der Stadt nie erlebt habe.“ Gülseren Suzan (60) schwärmt nicht etwa von ihrer türkischen Heimat, sondern von Thuisbrunn in der Fränkischen Schweiz. Geschickt mischt das Ehepaar die idyllischen Postkartenmotive des Heimatfilms mit der harten Realität des Dokumentarischen, in dem auch Selbstmorde nicht ausgespart werden.

Fast zehn Jahre haben sie den Alltag begleitet und damit ein einzigartiges, zumeist heiter-melancholisches Dokument geschaffen. Seltene Einblicke, die für immer verloren wären. Die Maschinen lösen die Muskelkraft ab, die Kanalisation das Odelfass, und die Alten stehen etwas ratlos neben der Baustelle. Sensende Bäuerinnen sieht man auf der Leinwand schon nur noch selten.

Ob es heute noch jemanden im Ort gibt, der wie der Wahwebers Konrad alle Hausnamen der rund 130 Anwesen weiß und erklären kann? Ob sich wie der Bagges Konrad noch jemand die Mühe macht, die angefrorenen Schlehenbeeren zu sammeln? Ein bisschen Wehmut überkommt einen schon beim Betrachten des Films. Denn fast alle Hauptdarsteller sind inzwischen verstorben. Der Dorschn Hans oder die Pickelmanns Lies, die Schmies Betti oder der Klees Hans.

Alte Bräuche, Tänze und Lieder

Auf der Suche nach der verlorenen Zeit tauchen alte Bräuche auf, Tänze und Lieder, handwerkliches Geschick und landwirtschaftliches Wissen. So wie bei der Beckenhans Retta und ihren Kirschbäumen. Spätere Generationen können sehen, welches Gemüse und welches Obst da Mitte des 20. Jahrhunderts angebaut wurde. Und sie erleben eine Kerwa mit ihren Ritualen hautnah.

Am deutlichsten zeigt sich die Veränderung am Milchvieh, das nach und nach aus dem Dorf verschwindet. „Die Liebe für die Viecher ist nicht mehr da“, sagt die Mühl Meichert, und dann fährt sie in breitester Mundart fort, aus der Vergangenheit zu berichten. Hier scheint die Zeit zwischen geblümten Schürzen, Huckelkörben und Handwagen stehengeblieben zu sein. „Die Landwirtschaft geht unter. Selbst die Bauern kaufen ihre Kartoffeln.“

Der Fortschritt macht auch vor dem fränkischen Juradorf nicht Halt. Die Touristen, zumeist Wanderer, sind nicht zu übersehen. Kein Verfall, vielmehr Transformation spiele sich ab. „Vieles hat sich geändert, auch zum Guten“, sagt Gerda Polster (58), die ihr Leben lang auf einem Bauernhof gelebt und gearbeitet hat. „Wollen wir die gute alte Zeit wirklich wieder?“

Die gelernte Hauswirtschafterin spricht vom Wandel ohne Bitternis oder Sentimentalität. „In meiner Jugend hatte jeder in Thuisbrunn eine kleine Landwirtschaft. Heute arbeiten fast alle auswärts.“ Sieben Hektar Fläche seien damals viel gewesen. Im Laufe der Zeit habe man modernisiert und viel Geld in Maschinen gesteckt. Schließlich habe man die Kühe abgeschafft. „Ich war schon deprimiert, als der Stall leer war. Da habe ich mich gefragt: Bin ich noch Bäuerin?“

Das Zusammengehörigkeitsgefühl im Dorf sei immer noch da. Während früher alle Nachbarn beim Kalben dabei waren, helfen sie nun den neu zugezogenen Familien beim Ausbau der alten Bauernhäuser. Thuisbrunn unterlag stets dem Wandel.

Aufblühen und Verwelken

Szenen zum Nachdenken und Szenen zum Schmunzeln wechseln sich ab. Die rein pessimistische Perspektive wollen Jochen Menzel (Kamera) und Gülseren Suzan (Regie) dann doch nicht einnehmen. Vielmehr bewegt sich ihr Auge im Reigen der Jahreszeiten, vom Aufblühen bis zum Verwelken, vom Kreislauf, der das Alte beendet und das Neue schafft.

Heute sind wir froh über die Filmpioniere, die in der Südsee und in Afrika vor dem Zweiten Weltkrieg eine inzwischen untergegangene Welt auf Zelluloid gebannt haben. Ein Zeitalter wird besichtigt. Vielleicht blicken Volkskundler in fünfzig Jahren ebenso gebannt auf das, was da in Thuisbrunn geschehen ist.

Der Film ist auf DVD zum Preis von 20 Euro bei Transfers Film erhältlich, Telefon (0911) 7905288 oder im Internet unter www.transfers-film.de

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