Auf den Spuren der Vizinalbahn

20.8.2010, 09:00 Uhr
Auf den Spuren der Vizinalbahn

© Hans G. Esterl

Hans Gerstung und Robert Mrugalla sind vom Fach. Eisenbahner alle zwei: Gerstung als ehemaliger Kanzleichef der Bundesbahndirektion Nürnberg längst im Ruhestand, Mrugalla als Zugtechniker in den Intercitys unterwegs. Über die 150-Jahr-Feier der damaligen Bundesbahn 1985 können die beiden noch immer schwärmen. Von der „Fahrzeugparade“ in Langwasser beispielsweise mit den alten Dampflokomotiven.

Gerstung war seinerzeit hautnah bei den Vorbereitungen für die Feierlichkeiten dabei. Ihm oblag die Umgestaltung des Nürnberger Verkehrsmuseums. Begeistert erzählt er von den Modell-Loks im Maßstab 1:10, die seinerzeit in den Lehrwerkstätten der Bahn von den Auszubildenden gebaut wurden.

Zu viel Politik

Rund 50 Modelle brachte Gerstung für das Museum zusammen, die dem Publikum gleich im Eingangsbereich präsentiert wurden. „Da hingen natürlich speziell die Jungs an den Vitrinen“, erinnert sich der Pensionär und findet es deshalb ein wenig schade, dass die schönen Stücke nun ins obere Stockwerk umgezogen sind. „Das war die größte Attraktion“, sagt er. Heute ist ihm das Ausstellungskonzept ein bisschen zu sehr mit Politik befrachtet. „Da kommen viele Familien“, sagt Gerstung, „und das interessiert doch die Kinder nicht.“

Termine für das Jubiläumsjahr hat Gerstung sich noch nicht im Kalender angestrichen. Robert Mrugalla wollte einen Vortrag des Historikers Alfred Gottwaldt zum Thema „Eisenbahner gegen Hitler“ im Nürnberger DB-Museum besuchen, doch da machte ihm seine Dienstfahrt im verspäteten ICE einen Strich durch die Rechnung. Ein wenig skeptisch sehen beide die 175-Jahr-Feier. So richtig tut sich nichts, finden sie. Man habe eher das Gefühl, das Ganze sei eine Veranstaltung der beiden Städte Fürth und Nürnberg und die Deutsche Bahn hänge nur hinten dran.

Chronik zum Jubiläum

Ganz vorne steht dagegen Robert Mrugalla, wenn es um die Geschichte des Bahnhofs Siegelsdorf geht. Der Heimatverein hatte vergangenes Jahr im Gemeindeblatt Mitarbeiter für bestimmte Themen gesucht. Pünktlich zum 150-jährigen Jubiläum im Jahr 2015 soll eine Chronik vorliegen, die die Geschichte des Bauwerks erzählt.

1861 begannen im November die ersten Bauarbeiten für die Vizinalbahn, wie Nebenbahnen zur Erschließung des ländlichen Raums seinerzeit in Bayern hießen. Privat finanzierte Linien unter behördlichem Schutz waren das, die gemächlich über Land zockelten. Ab 1872 kam noch eine Nebenlinie nach Langenzenn hinzu, die dort angesiedelten Ziegeleien benötigten Transportwege. Die Entstehungsgeschichte von 1825 bis 1861 wird Mrugalla ebenso behandeln, wie den zweigleisigen Ausbau der Strecke, die Zeit der beiden Weltkriege, den letzten großen Umbau 1973 und schließlich den Rückbau Anfang der 90er Jahre.

Einiges erzählen kann dem Autor dabei Hans Gerstung, der lange neben dem Bahnhof gewohnt und auch drei Jahre seiner Ausbildung von 1950 bis 1953 im Bahnhof Siegelsdorf absolviert hat. Als „Stift“ war man „Mädchen für alles“, erinnert er sich: Fahrkarten verkaufen, mit dem Morse-Telegrafen Züge abmelden, aber auch einmal, mit der berühmten roten Mütze auf dem Kopf, Züge abfahren lassen, wenn der eigentlich dafür Zuständige in der benachbarten Wirtschaft ein wenig länger brauchte.

Der Ort für einen Plausch

Der Bahnhof, sagt Gerstung, sei damals ein Treffpunkt gewesen. Die älteren Leute kamen oft etwas früher. Eine Bank lud zum Verweilen ein, und in der Schlange am Fahrkartenschalter fand sich immer jemand für einen Plausch. Eine familiäre Atmosphäre. Davon kann längst keine Rede mehr sein. Für die Öffentlickeit ist der Bahnhof nicht mehr zugänglich. Seit 2008 gehört das Gebäude zudem einer Londoner Immobiliengesellschaft. Wenn Hans Gerstung heute auf dem Bahnsteig steht, wird er immer ein wenig wehmütig. Robert Mrugallas Chronik wendet den Blick zurück und wird sich mit der Geschichte und den Geschichten des Siegelsdorfer Bahnhofs befassen. Und mit alten Zeiten, die nicht immer besser, aber anders waren.