Therapiesitzung im Salon

4.3.2012, 10:00 Uhr
Therapiesitzung im Salon

© Johnston

Andreas Altmann ist 62 Jahre alt. Da denken andere gerne schon mal über den Seniorenteller nach und fangen an, sich im Rentnerdasein nett einzurichten. Altmann ist dazu verdammt, endlich seine elende Jugend hinter sich zu lassen. Für den Reporter und Reiseautor ist das zu einer Lebensaufgabe geworden. Wer sein Buch liest, weiß warum.

Die Abrechnung mit seiner Kindheit im Wallfahrtsort Altötting, trägt einen Titel, der etwas beinahe rührend Kindliches an sich hat. So schimpfen Pubertierende, wenn Schimpfwörter alles sind, was der eigenen Hilflosigkeit Schutz bieten kann. Altmann selbst wird dem Bild gerecht. Beim besten Willen und frei von jedem Versuch, Komplimente zu verteilen, der Mann sieht nicht nach 60plus aus.

Groß, dünn, schlaksig ist er. Die dichten Haare trägt er in einem satten Braunton, die langen Strähnen über der Stirn wirken wie ein Schutz vor fremden Blicken. Beim Lesen wird er später die Ärmel seines Pullis lang ziehen, bis sie fast an die Fingerknöchel reichen. Dabei malt sein rechter Zeigefinger immer wieder Anführungszeichen in die Luft, wenn er einen Begriff herausstellen will.

Bevor der Autor liest, macht er zunächst die Rahmenbedingungen klar: Eine „stramme Stunde“ werde sein Vortrag dauern, hinterher sei er bereit, dreißig Fragen aus dem Publikum zu beantworten: „Dann werden die Türen wieder aufgeschlossen.“ Ach, und noch eines: „Es wird ein anstrengender Abend.“

Damit hat er nicht zu viel versprochen. Aber hat das nicht jeder gewusst, der ihm hier im intimen Ambiente des kleinen Salons in der Comödie zuhört? Schließlich sind Buch und Schreiber seit Wochen in jedem Feuilleton präsentiert worden. Altmann trägt seinen Text sehr konzentriert vor, er folgt einem Ablaufplan, den er regelmäßig konsultiert, schlägt präzise die Stellen auf, die er sucht. Verblüffend ist allerdings die Kraft der Wut, mit der er seine Sätze heraushaut.

Tiefe Verletzungen aus Kindertagen beschreibt er, als spräche er zum allerersten Mal hier in Fürth darüber. Da war die wehrlose Mutter, die ihn als Säugling zu ersticken versuchte. Der sadistische Prügel-Vater, dessen Vergangenheit in SS und Krieg das Leben der Familie vergiftet. Und obendrein, als wäre das alles nicht schon genug, erleidet Altmann die Bigotterie einer Kleinstadt, in der nur der Schein glänzt.

Nach – exakt – einer Stunde schließt der Autor, der sich als Reisereporter einen hervorragenden Namen gemacht hat, sein Buch. Das Gefühl, einer intimen Therapiesitzung beigewohnt zu haben, in der sich der Patient die Seele aus dem Leib redet, hält die Zuhörer noch länger gefangen. Dabei verspricht der Titel der Altmann’schen Lebensbeichte, die erregte Reaktionen in allen Medien hervorrief, doch Erlösung.

Immerhin sind es ausschließlich die Eltern, denen er ein „Scheißleben“ attestiert. Für sich selbst belässt er es – schlimm genug – bei einer „Scheißjugend“. Das klingt nach Hoffnung für den Rest seines Lebens.

Wenn der Mann bloß nicht bis heute wie ein in die Jahre gekommener Jugendlicher daher käme, würde man gerne mit ihm daran glauben.

„Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend“: Piper Verlag, ISBN-10 349205398X
 

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