«Atrium»-Kino: Nur noch ein Abglanz der Blütezeit

15.11.2008, 00:00 Uhr
«Atrium»-Kino: Nur noch ein Abglanz der Blütezeit

Home-Kino hatte anno 1950 eine ganz andere Bedeutung. Ein Beispiel lieferte Nürnbergs Altoberbürgermeister Otto Bärnreuther (1952 bis 57). Er hatte sich seinerzeit den Kinosaal nach Hause, oder besser: seinen Lebensmittelpunkt ganz nahe an die Traumfabrik gerückt. Denn der Gründer der Nürnberger SPD nach dem Zweiten Weltkrieg hat in der Blütezeit des Spielfilms in den 50er Jahren eine Wohnung bezogen, die direkt über dem Atrium-Kino an der Wölckernstraße liegt. Nur wenige Stufen trennten ihn und seine Familie von der Knef, Heinrich George, Hans Albers & Co.

Nachfolger noch offen

Auf einem alten Foto kritzeln Schauspieler im Atrium-Foyer ihren Fans lächelnd Unterschriften auf Postkarten - damals war die Kinowelt in Ordnung. Doch heute? «Das Erbe» lautet der Spielfilmtitel auf einem Plakat im Schaukasten des Kinos. Es war wohl einer der letzten Filme, der dort über die Leinwand flimmerte, und irgendwie ist sein Titel Programm: Denn auch im «Filmpalast» stellt sich die Frage nach dem Erbe. Nach dem «Museum»-Kino am Opernhaus und dem angekündigten Aus im Casablanca stellt sich hier ebenfalls die Frage: Wer soll es weiterführen?

Der Großvater von Alfred und Franz Ach ließ das Südstadtkino 1950 bauen. «Mein Opa war im Dritten Reich nicht in der Partei und erhielt als einer der Ersten die Lizenz von den Alliierten für ein Kino», erzählt Alfred Ach. Er startete mit einem Lichtspieltheater am Plärrer.

Treffpunkt Kino: Ach und Wolfram Weber verabreden sich im Atrium, das an der stark frequentierten Kreuzung Wölckern-/Ecke Allersberger Straße liegt. Es steht ein Übergabegespräch an. Auf dem zu kurz geratenen Vordach des Eingangs grünt Moos und Gras. Eine bewusste Bepflanzung? Ach zuckt mit den Achseln. «Ich weiß nicht, ob das von Herrn Weber so gewollt ist?», sagt er.

Pracht und Prunk im Foyer

Die Straßenbahn rumpelt bebend am Foyer vorbei, ihre schrille Klingel zerschneidet das angeregte Gespräch zwischen Ach und Weber. Der eine: legeres Sakko, blonde Strähnen im braunen Haarschopf, glattrasiertes Gesicht (Ach). Der andere: Schnauzbart, Lederjacke und Pullover, aus dem ein karierter Hemdkragen spitzt (Weber). Kälte kriecht langsam die Waden hoch, das mit Marmorplatten vertäfelte Foyer gleicht einer Eisgruft.

Weber sucht den Lichtschalter. Die Glühbirnen über der Tür zum Vorführraum sind zu Buchstaben formiert und ergeben in der Summe das Wort «K-A-S-S-E». Doch schimmert nur noch eine Minderheit dieser schwachen Leuchtquellen, der Rest ist kaputt. Pracht und Prunk im Eingangsbereich erinnern an die Wirtschaftswunderjahre. Dann entzündet sich eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen den Unternehmern. «Das ist toskanischer Marmor», versichert Alfred Ach und deutet mit der Hand an die Wände. Weber schüttelt den Kopf. «Nein. Das ist Juramarmor», widerspricht er.

Diskussionen um die Ablöse

Im Kinosaal diskutieren die Herren über die Bestuhlung. «Die haben Sie gegen die gut erhaltene von uns ausgetauscht» (Ach). Weber kichert: «Ach, Herr Ach. Die war doch in einem schlechten Zustand. Wir mussten sie austauschen. Das ist doch eher wertsteigernd.» Doch der Eigentümer bleibt eisern: «Die Bestuhlung war fast neu. Das weiß ich, weil wir vor der Vermietung hier einen Schwelbrand hatten und alle Sitze erneuern mussten.» Weber winkt ab: «An Ihrer Stelle als Vermieter würde ich das auch sagen. Aber das ist nicht mein Blickwinkel», lacht er. Kein Zweifel. Es geht um die Ablöse. Und wie auf einem Basar werden Worte instrumentalisiert, um den Wert der Ware (Einrichtung und Technik) entweder zu stärken oder zu schwächen.

Wieder im Foyer: Ach gleitet mit einem Finger über den Rahmen eines Schaukastens, schabt mit dem Nagel eine blaue Farbschuppe vom Rahmen ab. «Darunter ist alles in Messing», sagt er und moniert die Lackierung im gesamten Haus. «Wie kann man das schöne Metall einfach so überpinseln?», fragt er und fügt an: «Das geschah eigenmächtig, ohne Absprache.» Weber patscht mit der flachen Hand auf die Tresenwand: «Das waren einmal Türen, die wir damals aus Abbruchhäusern herausgeholt haben.» Damals. Das war 1984, als er das Kino übernahm.

Der «Staubsauger» Cinecittà

Im Februar 2009 läuft nun der Vertrag aus und Weber hat beschlossen, ihn nicht mehr zu verlängern. Den plötzlichen Tod von Filmvorführer Ronnie Eckhard, aber vor allem seinen eigenen «Staubsauger» am Gewerbemuseumsplatz (Cinecittà) führt der schnauzbärtige Unternehmer als Gründe für den Ausstieg an. Denn seit der Eröffnung des Multiplexkinos 1995 ist die Besucherzahl nach seinen Angaben jährlich um rund die Hälfte geschrumpft.

Wie aber geht es weiter mit dem Atrium? Weber erinnert an Achs Sohn, der in München in einem Multiplexkino arbeitet. Doch der Papa hat da seine Zweifel, den Filius aus der Landeshauptstadt weglocken zu können. Lieber will er das Atrium wieder vermieten. «Unsere Familie hat keine Ambitionen.» Dass ein eigenständiges Kino in der heutigen Zeit kaum überlebensfähig ist, weiß Ach. Deshalb denkt er an die Umwandlung des «Kinopalastes» in einen «Ereignisort» und sucht dafür Interessenten.