Die Veränderung fängt beim Essen an

15.2.2019, 19:57 Uhr
Die Veränderung fängt beim Essen an

© Fotos: Martin Regner

Die Veränderung fängt beim Essen an

© Fotos: Martin Regner

Der Volkswirt, Nachhaltigkeitsforscher und Wachstumskritiker Niko Paech greift am Buffet in einem Nebenzimmer des Historischen Rathaussaals, der später voll besetzt sein wird, zum bunten Salat aus Pilzen, Feldsalat, Kopfsalat und Äpfeln. Die Klimaaktivistin Magdalena Heuwieser wärmt sich bei einer "sehr leckeren Gemüsesuppe" auf. Leonard Witte, Manager beim Berliner "Essensretter"-Markt Sirplus, wagt sich an ausgefallenere Speisen wie Rosmarin-
Pilze und Schwarzwurzeln in Knoblauchsoße und ist begeistert. "Das schmeckt richtig lecker", sagt er – und macht damit Johanna Wiglinghoff und fünf Mitstreitern von der Organisation Foodsharing in Nürnberg ein Kompliment. Sie haben die Zutaten legal bei einem Supermarkt und einer Bäckerei vor dem Wegwerfen bewahrt, Gemüse und Obst sortiert, daraus mehrere Gerichte gekocht und mit Fahrradanhänger klimafreundlich ins Rathaus gebracht.

Dass sich die Referenten für die zweistündige Diskussionsveranstaltung "Wir sind dran – Wege in eine enkelfreundliche Zukunft" nicht bei einem gekauften Catering-Buffet stärken, sondern mit Lebensmitteln, die ansonsten im Müll gelandet wären, ist im Rathaus etwas Besonderes. Aber es passt perfekt zur folgenden Diskussion "Wir sind dran – Wege in eine enkelfreundliche Zukunft".

Organisatorin Kerstin Seeger, Vorstandsmitglied von Bluepingu, erwartet sich davon nicht weniger als eine "positive Veränderungsenergie, die sich über ganz Nürnberg ergießt und danach in die Welt hinausströmt", wie sie den über 300 Zuhörern sagt. Messechef Peter Ottmann meint: "Wir alle sind dran – und die Biofach-Messe ist seit 30 Jahren dran, etwas zu verändern." Er verrät, dass er Verbraucherministerin Julia Klöckner (CDU) am Rande der Biofach-Eröffnung gefragt habe, ob diejenigen Straftäter seien, die in München weggeworfene Lebensmittel aus Containern genommen hätten oder diejenigen, die genießbare Lebensmittel wegwerfen.

Das kommt gut an im Publikum. Auch der Wachstumskritiker Paech betont, dass die Veränderung der Gesellschaft stets in Nischen beginnen müsse. Als solche Nischen mit Vorbildfunktion sieht er die Solidarische Landwirtschaft, bei der Landwirte direkt für Verbraucher produzieren, regionale Gemüse-Abokisten, aber auch Initiativen wie Foodsharing.

Um unseren Planeten zu retten, sei das aber nur ein Anfang – jeder müsse seinen Konsum massiv einschränken. Er fordert eine radikale Abkehr vom derzeitigen Wirtschaftssystem. In seiner Vision von der Postwachstumsökonomie arbeitet jeder nur noch 20 Stunden und investiert den Rest in Selbstversorgung, baut selbst an, lagert ein und nutzt dazu Techniken, die unsere Großeltern noch kannten. Dadurch lasse sich die Industrie zurückfahren, Ähnliches müsse für den Verkehr gelten, Fliegen nennt er "Öko-Barbarei".

Auch Klimaaktivistin Magdalena Heuwieser lässt kein gutes Haar am Fliegen, Co2-Ausgleichs-Zertifikate seien unsinnig. Sie bedauert, dass unter den Vielfliegern besonders viele Grünen-Wähler seien – und fordert hohe Kerosinsteuern.

Leonard Witte managt drei Supermärkte in Berlin, in denen Verbraucher abgelaufene Lebensmittel oder am Großmarkt nicht verkauftes Gemüse erwerben können. Er empört sich, dass allein in Deutschland jährlich
18 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen werden. Für Nürnberg sucht er einen Franchisenehmer. Für ihn sind im Gegensatz zu Paech Ökonomie und Ökologie noch vereinbar. Viele Zuhörer gehen nachdenklich nach Hause – mit Anregungen, was sie im eigenen Alltag ändern können.

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