"German Angst" treibt Russlanddeutsche auf die Straße

14.2.2016, 12:30 Uhr
Zuletzt versammelten sich am 31. Januar zahlreiche russlanddeutsche Demonstranten am Hauptmarkt. Am Sonntag ist nun erneut eine Kundgebung in Nürnberg geplant.

© NEWS5 / Weier Zuletzt versammelten sich am 31. Januar zahlreiche russlanddeutsche Demonstranten am Hauptmarkt. Am Sonntag ist nun erneut eine Kundgebung in Nürnberg geplant.

Die Demo am Sonntag ist für 1500 Menschen angemeldet, dreimal mehr als beim letzten Mal. Elena Roon zählt zu den Organisatoren. Sie bezeichnet sich als "Wolgadeutsche". Ihre Vorfahren wurden nach Mittelasien deportiert, nämlich nach Kasachstan. Von dort kam sie 1994 als Spätaussiedlerin nach Deutschland.

Roon, Mutter eines dreijährigen Sohnes, fürchtet sich vor übergriffigen Flüchtlingen – auch wenn sie bisher selbst keine derartigen Erfahrungen gemacht hat. Der Zuspruch für die Initiative werde immer größer, berichtet sie: "Viele Leute bedanken sich bei uns. Wir sprechen das aus, was fast alle denken."

Es gibt Menschen, die ganz anders denken. Die Nürnberger Rechtsextremismus-Forscherin Birgit Mair hat die letzte Kundgebung am Hauptmarkt beobachtet. Ihr Fazit: "Die Demo hat nicht die rechte Szene angelockt, die rechte Szene stand auf der Bühne." Es sei eine muslim- und flüchtlingsfeindliche Veranstaltung gewesen: "Der Tenor war wie zu Zeiten Julius Streichers."

Außerdem habe die Veranstaltung sehr gut organisiert gewirkt, die Redner, die ohne Manuskript sprachen, seien für einfache "besorgte Bürger" erstaunlich eloquent gewesen. Deshalb haben das Fürther Bündnis gegen Rechtsextremismus und das Bündnis Nazistopp, bei dem sich Mair engagiert, für den Sonntag von 13.30 Uhr bis 17 Uhr eine Gegenkundgebung mit etwa 250 Menschen angemeldet.

© Foto: privat

Theologe: Irrationale Ängste

Der 65-jährige Theologe Hermann Mellar aus Roßtal war in den 1990er Jahren Seelsorger für Aussiedler. Ihm kommen die Ängste derjenigen, die er einst betreute, bekannt vor. Als er von der Demo der Russlanddeutschen in Nürnberg erfuhr, habe er sich an die Zeit vor 25 Jahren zurückerinnert.

"Damals hatte ich als Aussiedler-Seelsorger in Nürnberg zahlreiche Begegnungen mit Russlanddeutschen", sagt Mellar. Viele von ihnen seien in der Kollwitzstraße in einem Wohnheim untergebracht gewesen. "Damals wurden über Russlanddeutsche genau dieselben Gerüchte in die Welt gesetzt, wie sie heute über Flüchtlinge aus dem arabischen Raum kursieren: dass sie unzivilisiert sind, klauen, rauben und vergewaltigen", so der 65-Jährige.

"Diese Ängste waren damals genauso irrational wie heute. Zugespitzt scheint es so zu sein: Die Russlanddeutschen haben die 'German Angst', die unbegründete Angst vor allem Möglichen, übernommen", erklärt der Theologe. Herrmann Mellar kommt zu dem Schluss: "Und das ist vielleicht sogar ein Zeichen dafür, dass die Integration der Aussiedler in unsere Gesellschaft im Großen und Ganzen erfolgreich geklappt hat."

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