Viele Nürnberger Schüler fallen durch die Radprüfung

10.1.2018, 13:15 Uhr
Immer weniger Grundschüler in Nürnberg bestehen die Fahrradprüfung, warnt die Verkehrspolizei. In manchen Klassen fällt die Hälfte der Schüler durch.

© Uwe Anspach/dpa Immer weniger Grundschüler in Nürnberg bestehen die Fahrradprüfung, warnt die Verkehrspolizei. In manchen Klassen fällt die Hälfte der Schüler durch.

"Vor 20 Jahren haben viele Klassen komplett bestanden, auf Anhieb", erinnert sich Bernhard Funk. Nun rasselt im Stadtgebiet manchmal ein Drittel oder gar die Hälfte einer Schulklasse durch, "in den ländlichen Gebieten ist das oft viel geringer", weiß der Polizist. Bei derartigen Durchfallquoten seien die Lehrer am Verzweifeln, die Eltern reagieren ungehalten "und auch wir würden doch am liebsten jedem Kind einen Wimpel geben".

Der 57-Jährige ist seit zwei Jahrzehnten als Jugendverkehrserzieher im Einsatz. Er geht mit seinen Kollegen in die vierten Klassen und erklärt in einem sechswöchigen Intensivkurs unter anderem die Verkehrsregeln, was ein toter Winkel ist und warum man einen Fahrradhelm braucht.

Wimpel am Fahrrad anbringen

Nach dem theoretischen Teil geht es in den Schulhof zum praktischen Unterricht. Drei Wochen lang werden beispielsweise die Handzeichen beim Spurwechsel geübt, das Vorbeifahren an einem Hindernis oder das Linksabbiegen. Am Ende steht die Fahrradprüfung, bei der die Schüler zuerst einzeln eine auf den Schulhof aufgemalte Strecke bewältigen müssen, danach in einer Gruppe radelnd.

Zwei Polizisten bewerten die Leistung, das Ergebnis gibt es sofort. Bei Erfolg darf das Kind einen Wimpel an seinem Fahrrad anbringen, in den anderen Fällen erhalten die Eltern eine Mitteilung. Danach ist die Fahrradprüfung offiziell beendet. Rund 300 Viertklässler treten im Quartal zur Prüfung an. Abgenommen wird sie im Frühling, Sommer und Herbst.

Schlechtere körperliche Verfassung

Vielen Kindern fällt es jedoch schwer, gleichzeitig Konzentrationsfähigkeit, Reaktionsvermögen und vorausschauendes Denken zu beweisen. Zudem sei die körperliche Verfassung der Viertklässler schlechter geworden. "Das erzählen mir auch Lehrer, dass die Kinder im Sport oder im Schwimmunterricht manchmal einfach hinfallen", sagt Funk.

Diese Beobachtung wird durch das Gesundheitsamt gestützt. Dieses veröffentlicht sporadisch die Ergebnisse der Schuleingangsuntersuchungen, zum letzten Mal 2013. Hier nahm die Behörde die Bald-Erstklässler der Jahrgänge 2005 bis 2011 unter die Lupe.

Mehr übergewichtige Kinder

So wurde festgestellt, dass über die Jahre der Anteil übergewichtiger Kinder kontinuierlich zugenommen hat. 2013 galten mehr als zehn Prozent der untersuchten Jungen und Mädchen als zu dick. Etwa vier Prozent waren gar fettleibig. Das Fazit des Berichts: Je ärmer die Familie, desto kränker und übergewichtiger das Kind. Und diese Situation dürfte sich nicht geändert haben.

Bei der Fahrradprüfung spielen aber nicht nur Fitness und motorische Fähigkeiten eine Rolle, sondern vor allem die Übung mit Mutter und Vater. In Stadtteilen wie Schweinau oder Gostenhof ist der Straßenverkehr so dicht, dass die Eltern ihre Kinder nicht alleine mit dem Rad losfahren lassen.

Mit dem Auto zur Schule

Darüber hinaus werden immer mehr Jungen und Mädchen von den Eltern mit dem Auto zur Schule gebracht. In solchen Fällen müssten Eltern mit ihrem Nachwuchs idealerweise Fahrradausflüge unternehmen, was aber zu selten gemacht wird. Daher gibt es hohe Durchfallquoten in der ganzen Stadt, sowohl dicht befahrene als auch ruhigere Viertel sind davon betroffen.

Auch im beschaulichen Osten, in Stadtvierteln wie Mögeldorf, gibt es also selbstverständlich Kinder, die die Fahrradprüfung nicht auf Anhieb bestanden haben. Der neunjährige Marvin gehört dazu, auch wenn er mit fünf Jahren Rad fahren gelernt hat und die große Schwester die Prüfung damals sofort in der Tasche hatte. Nun sind fast 90 Prozent der Kinder schon bei der Theorie durchgerasselt, sagt Marvins Mutter Sofia.

"Zeit hat gefehlt"

Beim Praxistest scheiterten die meisten am Abbiegen, weil sie sich nicht umschauen, nicht richtig einordnen, die Gefahr nicht ernst nehmen. Sofia Schier, die sich auch ehrenamtlich engagiert, kann sich das Ergebnis nur so erklären: "Auch bei uns hat die Fahrpraxis gefehlt. Wir sind nicht oft zusammen Fahrrad gefahren. Die Zeit hat gefehlt wie für viele andere Dinge leider auch."

Die Polizei versucht, mit Elternabenden dagegenzusteuern. Auf denen werden Tipps gegeben, wie man sein Kind dabei unterstützen kann, sicher Rad fahren zu lernen. Seit einigen Jahren gibt es außerdem eine Doppelstunde "Realverkehr", in der die Polizisten in kleinen Gruppen mit den erfolgreichen Prüflingen auf der Straße unterwegs sind und darauf achten, ob die gelernten Regeln umgesetzt werden. Eigentlich eine Aufgabe der Eltern.

"Risiko für die Allgemeinheit"

Wer die Prüfung nicht bestanden hat, darf trotzdem auf der Straße fahren, "aber bitte unter Aufsicht". Das muss Funke immer wieder klarstellen. Ebenso wie die Tatsache, dass die Kinder bei der Fahrradprüfung nicht das Radfahren erlernen, sondern bereits beherrschen müssen.

Angesichts der Lage kann er sich vorstellen, dass es in Zukunft Fahrradfahr-Lern-Kurse geben wird, vergleichbar mit Schwimmkursen. "Das darf nicht noch ärger werden mit den Durchfallquoten", warnt Bernhard Funke. Schlecht radelnde Kinder werden schlecht radelnde Erwachsene – "ein Risiko für die Allgemeinheit".

 

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