"Reichsbürger" wurden zu lange sich selbst überlassen

17.4.2017, 07:50 Uhr
Am 19. Oktober 2016 erschoss der "Reichsbürger" Wolfgang P. in Georgensgmünd bei einer Razzia einen Polizisten, drei weitere verletzte er mit seinen Schüssen.

© Foto: dpa Am 19. Oktober 2016 erschoss der "Reichsbürger" Wolfgang P. in Georgensgmünd bei einer Razzia einen Polizisten, drei weitere verletzte er mit seinen Schüssen.

Alexander K. (Name geändert) fand die neuen Besitzer der "Erbschänke zum Schwan" ziemlich nett und konnte zunächst gar nicht verstehen, warum in Schwanstetten eine Unterschriftensammlung gegen sie initiiert wurde. "Die hatten halt ein bisschen einen an der Waffel, waren aber eigentlich sehr sympathisch", erzählt der Einwohner des kleinen Marktes im Kreis Roth, in dem sich vor neun Jahren der "Zentralrat souveräner Bürger" (ZSB), eine zur Reichsbürgerbewegung zählende Gruppierung von "Germaniten", breitgemacht hatte.

"Ich habe es falsch eingeschätzt, wie bekloppt die wirklich sind", räumt der Gast im Sportheim des FV Wendelstein ein, in das der Grünen-Kreisverband Roth zu einer Info-Veranstaltung über diese rechtsextreme Ideologie geladen hatte. Nach Ansicht von Katharina Schulze, Grünen-Fraktionsvorsitzende im Landtag, ist es den Fachleuten im bayerischen Innenministerium wohl ähnlich gegangen.

Anfang 2016 hatte die 31-jährige Parlamentarierin eine Anfrage an das Innenministerium wegen der stetig wachsenden und immer selbstbewusster auftretenden Reichsbürgerbewegung gestellt. "Ich war geschockt, wie massiv die CSU-Staatsregierung das Problem zu diesem Zeitpunkt unterschätzt hat."

Vor der so tragisch verlaufenen Razzia im Anwesen von Wolfgang P. standen keine genauen Daten und Statistiken über die Entwicklungen der Aktivitäten und Gesetzesverstöße von "Reichsbürgern" zur Verfügung. Auch deshalb, weil es laut Schulze keine geschlossene Bewegung sei, sondern eher ein Milieu mit einer Patchworkideologie aus Verschwörungstheorien, Esoterik, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus. Eine Auswertung der Berichts- und Eingabevorgänge würde einen unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand erfordern, habe es damals aus dem Innenministerium geheißen.

Verfassungsschutz beobachtet

Inzwischen hat sich jedoch einiges geändert. Die "Reichsbürger", welche die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und die Legitimität der verfassungsmäßigen Ordnung bestreiten, werden nun vom Verfassungsschutz beobachtet, es gibt eine bundesweite Koordinierungsgruppe, und mittlerweile stehen auch genauere Zahlen für Bayern zur Verfügung.

Angesichts der früher noch deutlich weniger organisierten Szene, konnten die Behörden zunächst nur schwer differenzieren zwischen eher harmlosen Querulanten und tatsächlichen "Reichsbürgern". Anhand von Indizien, wie dem Versuch, den Personalausweis zurückzugeben, oder das Autofahren mit einem fiktiven "Reichsbürger"-Führerschein oder -Kennzeichen, fällt die Identifizierung inzwischen aber deutlich leichter.

Viele Anhänger der Bewegung fallen durch die "Malta-Masche" auf. Gemeint ist damit der Versuch, unberechtigte Geldforderungen gegenüber Regierungsvertretern und Verwaltungsmitarbeitern über ein maltesisches Inkassounternehmen in Deutschland rechtswirksam werden zu lassen.

Zurzeit hat das bayerische Innenministerium rund 1700 "Reichsbürger" im Visier, 150 bis 200 davon werden zum harten Kern der Szene gezählt, etwa 40 haben enge Verbindungen zu rechtsextremen Kreisen. Wie hoch die Dunkelziffer im Freistaat ist, lässt sich nur schwer abschätzen. 1500 weitere verdächtige Personen werden derzeit von den Sicherheitsbehörden überprüft. Circa 70 Prozent der "Reichsbürger" sind zwischen 40 und 69 Jahre alt, mehr als zwei Drittel sind männlich und überdurchschnittlich online-affin. "Deshalb ist die Szene immer besser vernetzt", erklärt Katharina Schulze.

Was die innenpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen besonders bedenklich findet: 130 "Reichsbürger" in Bayern haben Waffenscheine beziehungsweise Waffenbesitzkarten. "Erst 33 von ihnen wurden bisher die Waffen abgenommen", bedauert Schulze. Und völlig inakzeptabel ist für sie die Tatsache, dass bislang eine ganze Reihe von Anhängern der Reichsbürgerbewegung im öffentlichen Dienst aktiv war. Unter anderem laufen zurzeit Disziplinarverfahren gegen 15 Polizisten.

All diese Fakten fanden einige Zuhörer in Wendelstein nicht nur beunruhigend, sondern auch ärgerlich. "Warum wurde da nicht schon viel früher durchgegriffen? Wenn ich einmal ohne Führerschein angehalten werde, bin ich dran. Die werden zehnmal oder öfter ohne Fahrerlaubnis aufgegriffen, bis endlich was passiert", spielte ein Gast auf einen aktuellen Fall in der Region an.

Muster spät erkennbar

Laut Schulzes Parteifreundin Verena Osgyan dauert es eine gewisse Zeit, bis hinter Einzelfällen, wie den Übergriffen gegenüber Gerichtsvollziehern, ein Muster erkennbar wird. Erst dann könne man eine effektive Strategie gegen solche Umtriebe entwickeln. Inzwischen hat das bayerische Innenministerium aber detaillierte Infobroschüren für Behörden- und Justizmitarbeiter zum Umgang mit "Reichsbürgern" herausgegeben.

Er habe nur Unterschriften gegen Ceta sammeln wollen und sei dann vom Wortschwall eines "Reichsbürgers" überrollt worden, erinnert sich ein Gast. Eine Zuhörerin berichtet von Personen in ihrem Umfeld, die immer wieder von der Deutschland GmbH schwadronieren und damit die Atmosphäre im Verein vergiften. "Wie kann ich denen argumentativ entgegentreten?", will sie wissen.

Man könne solche Situationen trainieren, weiß Schulze und empfiehlt Seminare, die etwa unter dem Stichwort "Stammtischkämpferinnen" angeboten werden. Es gebe Beratungsstellen, etwa von der Amadeu Antonio Stiftung gegen Rechtsextremismus, und man müsse sich auch nicht einlassen auf so eine Diskussion. "Es ist absolut legitim das Gespräch abzubrechen. Das sind einfach nur Energieräuber", ergänzt ein anderer Gast.

5 Kommentare