Club-Coach Keller: "Natürlich steigen wir nicht ab!"

20.1.2020, 16:37 Uhr
Seit November gibt Jens Keller beim Club die Richtung vor.

© Sportfoto Zink / Daniel Marr Seit November gibt Jens Keller beim Club die Richtung vor.

Herr Keller, eine beliebte Einstiegsfrage, ja so etwas wie eine Eisbrecherfrage dieser Zeitung in Interviews mit Trainern oder Sportvorständen des 1. FC Nürnberg lautete in den vergangenen Jahren oft: Steigt der Club ab?

Jens Keller: Super-Eisbrecher (lacht).

Also?

Keller: Natürlich steigen wir nicht ab. Der Verein, die Anhänger, wir haben einen guten Support. Aber es liegt natürlich an uns, die Fans wieder komplett auf unsere Seite zu ziehen. Die Mannschaft hat mehr Qualität, als es der Tabellenplatz aussagt. Es gab gewisse Probleme, und die probieren wir jetzt abzuarbeiten. Damit die Qualität auch wieder auf dem Platz sichtbar wird.

Wie lautet Ihre Diagnose nach gut zwei Monaten Nürnberg? Woran hapert‘s?

Keller: Gut zwei Monate bin ich schon da? Unsere Zweikampfbilanz, unsere Aggressivität hat häufig nicht gestimmt, wir haben zu wenige Bälle gewonnen, gerade in Räumen, wo wir gleich wieder Torgefahr hätten ausstrahlen können. Die Mannschaft hat mitunter zu weit auseinander agiert, dem Gegner zu viel Platz gelassen, war oft nicht kompakt und hat sich vielleicht zu sehr auf ihre individuelle Qualität verlassen.


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Also weniger ein Problem Einzelner, sondern des Gefüges?

Keller: Nicht des Gefüges, dann würde ich ja unterstellen, die Mannschaft ist nicht gut zusammengestellt. Denn das ist sie. Jeder hat so ein bisschen seinen eigenen Plan ausgeführt und sich nicht als Teil einer Gruppe verstanden. Ich glaube, da liegt das große Problem. Und natürlich im Spiel gegen den Ball.

"Ich habe keine Lust, der Clown zu sein"

Vor einem Jahr waren Sie mit dem FC Ingolstadt in einer ähnlich prekären Situation. Drängt sich der Vergleich tatsächlich auf?

Keller: Es war ähnlich, das schon, in Ingolstadt war es aber ruhiger. In Nürnberg kommt der Faktor Öffentlichkeit noch erschwerend hinzu, was die Spieler belasten kann. Andererseits kann das Interesse der Menschen auch extrem motivierend sein.

Die Mannschaft, das haben Sie schon mehrfach betont, muss vor allem aggressiver werden und schneller umschalten, Ihr Vorgänger ging im Sommer mit der gleichen Zielsetzung ans Werk. Sind Ihre Fußballer schwer von Begriff?

Keller: Ich möchte nicht bewerten, was vor meiner Zeit hier los war. Ich arbeite so, wie ich arbeite und bin überzeugt, dass wir es hinkriegen.

Sie arbeiten so, wie Sie meinen – und das hat insbesondere auf Schalke ziemlich gut geklappt. Trotzdem standen Sie in Gelsenkirchen praktisch unentwegt in der Kritik. Fühlen Sie sich unterschätzt?

Keller: Ich versuche, authentisch zu sein, ich bin so, wie ich bin, als Spieler bin ich so durchgegangen und werde mich auch als Trainer nicht verbiegen lassen. Ich habe keine Lust, der Clown oder der Gute-Laune-Bär für die Medien zu sein. Sicherlich lernt man auch in diesem Bereich dazu, auch ich habe dazugelernt, dass man gewisse Dinge vielleicht etwas anders macht. Nicht das Bild von mir in der Öffentlichkeit ist wichtig, sondern meine Arbeit mit der Mannschaft. Ich habe es bislang immer geschafft, die Spieler zu überzeugen.

"Ich lese nicht viel über mich"

Sie plädierten in einem Interview mal für Schauspielunterricht während der Trainerausbildung.

Keller: Weil selten die Arbeit zählt, zu oft zählt die Außendarstellung. Ob man lacht, ob man nicht lacht, ob man gestikuliert, ob man nicht gestikuliert, es wird vieles nicht mehr sachlich bewertet. Von einem Trainer wird verlangt, dass er den Entertainer macht, dass er nicht mehr authentisch ist. Deshalb habe ich gesagt, dass Trainer auch Schauspielunterricht nehmen sollten.

Haben Sie sich mit ihrer Authentizität hin und wieder vielleicht auch etwas verbaut? Auf Schalke gab‘s damals ab dem ersten Tag Zweifler, die meinten, dass das auf Dauer nicht gut gehen könne mit dem knorrigen Keller.

Keller: Wie ich wirke und wie ich bin, ist nicht immer identisch. Immerhin war ich knapp zwei Jahre auf Schalke. Trotz des Drucks, trotz ständiger Unruhe. Nochmal: Ich werde meine Grundeinstellung nicht ändern.

Sind Sie tatsächlich im „permanten Rechtfertigungsmodus“, wie eine Zeitung mal schrieb? Haben Sie das damals auch gelesen?

Keller: Nein, ich lese nicht viel über mich. Da würde ich einfach zu viel Energie verbrauchen. Ich bin auch nicht im Rechtfertigungsmodus. Sie lernen mich kennen, Sie schreiben, was Sie denken, Sie müssen das bewerten, nicht ich. Das belastet mich aber nicht.

Würden Sie sich als Pragmatiker bezeichnen?

Keller: Absolut. Und als Realist. Ich lasse mich von außen nicht beeinflussen, ich denke, dass das schon immer meine große Stärke war. Hätte ich mich etwa auf Schalke beeinflussen lassen, wäre ich irgendwann verrückt geworden. Natürlich will jeder irgendwie Harmonie, dass er toll dasteht, in meinem Job muss man aber eben auch lernen, mit negativen Begleiterscheinungen zu leben, darf die aber nicht zu nah an sich heranlassen.

"Man wird häufig von Menschen enttäuscht"

Sie hatten zwischen Ihren Trainer-Stationen jeweils ziemlich lange Pausen. Absicht?

Keller: Die brauchte man nicht immer, nach Schalke schon. Nach Schalke war ich müde, weil es von allem eine wahnsinnige Belastung war, da hab ich die Pause (20 Monate, d. Red.) gebraucht. Ich bin ohnehin nicht der Trainer, der heute irgendwo aufhört und am nächsten Tag irgendwo anfängt. Wenn man einen Verein verlässt, hat man unheimlich viel Energie reingesteckt, um Ziele zu erreichen. Da muss man den Akku erst mal wieder aufladen. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass es nicht viele Anfragen gab, die mich wirklich interessiert hätten.

Beschleicht einen irgendwann ein ungutes Gefühl, wenn die interessante Anfrage einfach nicht eintrudeln mag?

Keller: Ich war fast 20 Jahre Profi und bin jetzt über zehn Jahre Trainer. Mir geht es relativ gut. Wenn es eines Tages nicht mehr so sein soll, fällt mir bestimmt etwas anderes ein. Das Leben ist vorbestimmt.

Wie lange haben Sie vor, Trainer zu bleiben?

Keller: Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich bis ins hohe Rentenalter an der Bank stehe. Unter dem Strich zählen halt immer nur Ergebnisse und Punkte. Und man wird häufig von Menschen enttäuscht, wenn die Punkte ausbleiben. Enttäuschungen habe ich schon einige erlebt. Ich bin Realist, kein Träumer.

Zur Person: Jens Keller, 49 Jahre alt, trainiert den 1.FC Nürnberg seit 13. November 2019. Der gebürtige Stuttgarter war selbst Profi und mit dem VfB (als Reservist) deutscher Meister 1992. Bei seinem Heimatklub in Stuttgart war er später Jugend-, Co- und Cheftrainer, ehe er zum FC Schalke 04 wechselte und die Knappen in die Champions League führte. Anschließend arbeitete Keller beim FC Union Berlin und zuletzt, bis 2. April 2019, beim FC Ingolstadt.

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