Der Glanz einer außergewöhnlichen Nacht

3.7.2012, 07:47 Uhr
Der Glanz einer außergewöhnlichen Nacht

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Die ganze Fußball-Welt und sogar der gedemütigte Verlierer verneigen sich vor diesen Spaniern. „Sie haben verdient Geschichte geschrieben und einen fantastischen Fußball gespielt — Spanien hat uns dominiert“, sagte Italiens Nationaltrainer Cesare Prandelli erstaunlich gefasst am Ende einer historischen Fußball-Nacht.



Was hätte er sonst sagen sollen? Mit einem grausam klingenden und wunderbar anzusehenden 4:0 im Endspiel hatte Spanien den Deutschland-Bezwinger gedemütigt. Italien war untergegangen gegen eine Ausnahme-Erscheinung von einer Mannschaft, gegen eine Auswahl, die als erstes Team zum dritten Mal in Serie einen internationalen Titel gewann — was nicht einmal die deutsche Jahrhundert-Elf um Franz Beckenbauer in den 70er Jahren schaffte.

Torschützenkönig Fernando Torres spielte am Tornetz mit seinen Kindern, Verteidiger Gerard Piqué holte Papa und Mama von der Tribüne auf den Rasen für ein gemeinsames Foto mit dem silbernen Pokal. Torschütze David Silva ließ sich mit seinem kleinen Sohn und der begehrten Trophäe für das Familienalbum ablichten.

Gegen eine Ansammlung von exzellenten Einzelkönnern, die ein wunderbares Kollektiv geformt haben und in der Gala-Form dieser Nacht den Weltfußball noch auf Jahre dominieren können, war Italien machtlos gewesen. „Wenn die Spanier so spielen, wie sie heute gespielt haben, dann kann man sie nicht schlagen“, sagte Italiens Mittelfeldspieler Riccardo Montolivo. „Und wir waren nicht die gleiche Mannschaft wie vorher“, sagte Torwart Gigi Buffon.

Für die ganze Familie

So willig und hilflos Montolivo, Andrea Pirlo oder Mario Balotelli in den ungleichen 90 Minuten den spanischen Strategen Xavi und Andrés Iniesta hinterherliefen, so reglos mussten sie auf dem Rasen kauernd das spanische Siegesglück ertragen. Selbst die Kleinsten mit Schnuller im Mund und auf dem Arm ihrer Papas trugen das traditionelle rote Trikot der Roja. Als das Feuerwerk diesen denkwürdigen Abend in der ukrainischen Hauptstadt erleuchtete und sich der neue und alte Europameister kurz nach Mitternacht Ortszeit auf seine Ehrenrunde machte, tollten die Spielerkinder noch immer mitten auf dem Platz in den goldenen und silbernen Konfettischnipseln, die zu Ehren des Siegers niedergingen.

„Das ist eine außergewöhnliche Nacht, wir haben etwas Historisches geschafft“, sagte Spaniens Coach Vicente del Bosque. Während der Familienzusammenführungen nach dem historischen Titel-Triple war er mal kurz untergetaucht. „Der König hat mich angerufen, und auch Kronprinz Felipe hat uns zum Erfolg gratuliert“, erklärte der Trainer fast schon staatsmännisch seine vorübergehende Absenz.

Morgens um vier, als die Straßen Kiews bei lauen 20 Grad noch immer bevölkert waren und in der Fanzone die ersten Aufräumarbeiten am Ende der EM begannen, saß del Bosque völlig entspannt mit einer dicken Zigarre auf der Terrasse des Mannschaftshotels „Opera“.

David Silva (14. Minute), Jordi Alba (41.), Fernando Torres (84.) und Juan Mata (88.) hatten mit ihren Toren einen wesentlichen Beitrag geschaffen, die Architekten Iniesta und Xavi und der wieder einmal nicht zu überwindende Kapitän Iker Casillas vollendeten das spanische Gesamtkunstwerk. Nach dem bisher höchsten Sieg in einem EM-Finale durfte Casillas um 23.52 Uhr Ortszeit den Silberpokal in die Höhe stemmen — nachdem er auch das zehnte K.-o.-Spiel in Serie ohne Gegentor überstand und seinen 100. Länderspielsieg feierte.

„Wir erleben den wunderbarsten Moment des spanischen Fußballs“, sagte Casillas. Der 31-Jährige zählt wie Iniesta, Xavi, Sergio Ramos, David Silva, Xabi Alonso, Fernando Torres und Cesc Fàbregas zu den Akteuren, die bereits beim EM-Erfolg 2008 in Österreich und der Schweiz und beim WM-Triumph 2010 in Südafrika dabei waren.

Torres vor Gomez

Dennoch urteilte Taktgeber Iniesta, der zum „Man of the Match“ und besten Spieler des Turniers gewählt wurde, sichtlich bewegt: „Das ist etwas Einmaliges, Zauberhaftes, Unwiederholbares.“ Kritiker, die nach Schwierigkeiten in der Gruppenphase gegen Italien (1:1) und Kroatien (1:0) sowie dem mühevollen Halbfinalsieg gegen Portugal im Elfmeterschießen vom Ende einer Ära sprachen, sind nun widerlegt. Spanien hat mit seinem einmaligen Kombinationswirbel die Konkurrenz wieder düpiert.

Als passende Schlusspointe sicherte sich der eingewechselte Torres mit drei Treffern sogar noch den Goldenen Schuh als Torschützenkönig vor dem deutschen Angreifer Mario Gomez. Und dann wagte es der Champions-Trainer del Bosque doch tatsächlich zu sagen, dass jetzt schon so langsam die Vorbereitung auf die WM 2014 beginne und der Weg seines Teams „klar vorgezeichnet“ sei. Die geschlagene Konkurrenz wird es mit Grauen vernommen haben.

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