Von Nacken bis Gesäß

Überblick: Wie und wo Rückenschmerzen entstehen - und wann man zum Arzt sollte

20.11.2023, 15:57 Uhr
Viele Menschen leiden unter Rückenschmerzen.

© Christin Klose/dpa-tmn Viele Menschen leiden unter Rückenschmerzen.

In diesem Artikel:

Stechende Schmerzen, Verspannungen, Druckempfindlichkeit - Rückenschmerzen können sich unterschiedlich bemerkbar machen. Etwa zwei Drittel der Deutschen leiden laut einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) an Rückenschmerzen. Welche Arten von Rückenschmerzen gibt es? Was sind mögliche Auslöser? Und wie bekommen Betroffene die Beschwerden in den Griff?

Ganz allgemein handelt es sich bei Rückenschmerzen um

  • akute, wiederkehrende oder
  • chronische Schmerzzustände.

Die Schmerzen treten an verschiedenen Bereichen des Rückens auf.

  • Bei vielen schmerzen Nacken- und Schulterpartie.
  • Bei anderen tritt der Schmerz eher im unteren Rücken auf - oft ist dann auch von "Kreuzschmerzen" die Rede.

"Bei Kreuzschmerzen geht es um Beschwerden im Bereich des Rückens vom unteren Rippenbogen bis zum Gefäß", erläutert der Sportpädagoge Ulrich Kuhnt vom Bundesverband der deutschen Rückenschulen (BdR).

Fachleute unterscheiden zwischen:

Spezifischen Rückenschmerzen: Es liegt eine eindeutig diagnostizierbare Ursache zugrunde. Das kann beispielsweise ein Bandscheibenvorfall sein oder eine Skoliose, also eine seitliche Verbiegung der Wirbelsäule.

Nichtspezifische Rückenschmerzen: Es gibt nicht direkt eine körperliche Ursache für die Beschwerden. Der Schmerz beruht eher auf Stress oder psychischen Problemen.

"Schätzungen besagen, dass es sich bei 80 bis 90 Prozent der Rückenschmerzen um eine nichtspezifische Gesundheitsstörung handelt", erklärt Kuhnt, der auch Inhaber einer Rückenschule in Hannover ist.

Rückenschmerzen sind in Deutschland weit verbreitet. Nach Analysen der Bertelsmann Stiftung begibt sich:

  • nahezu jeder Fünfte der gesetzlich Versicherten hierzulande
  • mindestens einmal im Jahr wegen Rückenschmerzen in ärztliche Behandlung.
  • Von Beschwerden im Kreuz waren fast zwei Drittel der in Deutschland lebenden Menschen innerhalb eines Jahres betroffen.

Das zeigt die Burden-Studie im Auftrag des RKI. Rund 5000 Erwachsene wurden dafür zwischen Oktober 2019 und März 2020 telefonisch befragt.

Die zentralen Ergebnisse der Studie:

  • die Befragten gaben fast doppelt so häufig an, Schmerzen im unteren Rücken (52,9 Prozent) zu haben als im oberen Rücken (27,4 Prozent).

Ältere Befragte gaben deutlich mehr Schmerzattacken pro Monat an als die Jüngeren.

  • Die 18- bis 29-Jährigen berichteten im Mittel von 4,4 Tagen pro Monat,
  • die ab 70-Jährigen von 14,8 Tagen pro Monat.
  • Unter Nackenschmerzen litten die 18-bis 29-Jährigen im Mittel an 3,3 Tagen,
  • die über 70-Jährigen gaben hier 11,5 Tage pro Monat an.

    Es gibt auch Unterschiede unter Männern und Frauen:

    • Frauen (66 Prozent) litten häufiger unter Rücken- und Nackenschmerzen als Männer (56,4 Prozent).
    • Von Nackenschmerzen waren 54,9 Prozent der Frauen betroffen und 36,2 Prozent Männer.

    In den vergangenen zwölf Monaten hatten der Studie zufolge:

    • 61,3 Prozent der Befragten Rückenschmerzen,

    • 15,5 Prozent chronische Rückenschmerzen - die also über drei Monate hinweg fast täglich auftreten und länger andauern,

    • 15,6 Prozent hatten sowohl Schmerzen im unteren, als auch im oberen Rücken sowie im Nacken,

    • 45,7 Prozent hauptsächlich Nackenschmerzen.

    Hexenschuss: Eine falsche Bewegung und schon schmerzt der Rücken.

    Hexenschuss: Eine falsche Bewegung und schon schmerzt der Rücken. © Christin Klose/dpa-tmn

    Rückenschmerzen können verschiedene Ursachen haben:

    • Bereits bei Jugendlichen sind Verkrümmungen oder Schiefstellungen des Rückens - die sogenannte Skoliose,oder Morbus Scheuermann, eine Wachstumsstörung der jugendlichen Wirbelsäule, mögliche Auslöser.
    • In vielen Fällen findet der Orthopäde bei erwachsenen Patienten strukturelle Probleme wie Bandscheibenvorfälle, Wirbelgleiten - dabei verschieben sich einzelne Wirbeln nach vorne oder hinten gegeneinander - bis hin zu Wirbelkörperbrüchen. "Diese Strukturschäden verursachen aber nur bei einem Teil der Patienten echte Schmerzen", sagt David-Christopher Kubosch, Orthopäde und Wirbelsäulenchirurg an der Gelenk-Klinik Gundelfingen.

    Wahrscheinlicher sind laut Kubosch diese Gründe:

    • Übermäßige Belastung: Diese entsteht bei schwerer körperlicher Arbeit oder bei einseitigen Bewegungsabläufen - zum Beispiel bei Fliesenlegern oder Fließbandarbeitern.
    • Bewegungsmangel: Der entsteht durch stundenlanges Sitzen im Job und in der Freizeit. "Dadurch werden verschiedene Muskelgruppen der Rücken- und Bauchregion nicht ausreichend bewegt", erläutert Kubosch. Sie verspannen sich oder verkümmern auf Dauer. Die Folgen sind ein Ungleichgewicht der Muskeln und Fehlstellungen am Rücken.
    • Sorgen: Leistungsdruck, Stress, Ängste, Depressionen oder Konflikte können zu Rückenschmerzen führen. Dabei verspannen sich Muskeln und können verhärten.

    Es gibt viele Gründe warum Rückenschmerzen auftreten können - auch körperliche Ursachen:

    • "Treten die Schmerzen etwa beim Atmen auf, so kann dies unter anderem auf eine Rippenfellentzündung hinweisen", sagt Kubosch.
    • In Verbindung mit Bauchschmerzen steckt dahinter möglicherweise eine Bauchspeicheldrüsenentzündung.
    • Kommt es während der Periode zu Rückenschmerzen, liegt es meist an Muskelverspannungen durch das Zusammenziehen der Gebärmutter.

    Weitere Ursachen nennt die Stiftung Gesundheitswissen:

    • Hexenschuss: Meistens tritt nach einer abrupten oder ungewohnten Bewegung ein bohrender, mitunter stechender Schmerz im unteren Rücken zwischen Gesäß und Rippenbogen auf. Gewohnte Bewegungen sind mitunter nicht möglich, weil der Rücken sich "blockiert" anfühlt.
    • Bandscheibenvorfall: Oft treten starke Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule auf, die sich durch Bewegungen wie Bücken oder Heben verstärken. Auch beim Husten und Niesen können die Schmerzen zunehmen. Teils strahlen sie bis ins Gesäß oder Bein aus.
    • Rheuma-Erkrankung: nächtliche Rückenschmerzen und ein steifer Rücken nach dem Aufstehen können erste Anzeichen sein. Auch die Beobachtung, dass die Schmerzen durch Bewegung nachlassen - und nicht etwa durch Ruhe, können Indizien für eine Rheuma-Erkrankung sein.

    "All dies zeigt, wie wichtig eine gründliche und ganzheitliche Diagnostik ist", so Kubosch. Die Schmerztherapie muss auf die vielfältigen, individuellen Ursachen eingehen und darauf aufbauen.

    Hinweis: "Starke Schmerzen, die den Alltag deutlich einschränken, sollten Sie ärztlich abklären lassen", rät auch der Mediziner Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen.

    Rückenschmerzen sind komplex. Es reiche nicht, diese aufs Empfinden zu reduzieren, so Kuhnt. Denn Rückenschmerzen können den Körper auch förmlich blockieren. Der Schmerz hat laut Kuhnt drei Dimensionen:

    1. Die affektive, also die gefühlsbetonte Dimension.
    2. Die kognitive, also die wahrnehmende Dimension.
    3. Die motorische, auf Haltung und Bewegung gerichtete Dimension.
    Kreuzschmerzen können auch beim oder nach dem Schlafen auftreten.

    Kreuzschmerzen können auch beim oder nach dem Schlafen auftreten. © Christin Klose/dpa-tmn

    Wie und wo entstehen Rückenschmerzen?

    In vielen Fällen - aber nicht immer - treten Rückenschmerzen in Verbindung mit den vielfältigen Aufgaben der Wirbelsäule auf, erklärt Kuhnt. Denn die Wirbelsäule habe mehrere Funktionen:

    • Haltefunktion: Als zentraler Strang im menschlichen Körper trägt sie die gesamte Last von Kopf, Hals, Rumpf und Armen - und stabilisiert die Mitte.
    • Bewegungsfunktion: Der Körper kann sich dank der Wirbelsäule bewegen - etwa beugen, neigen, drehen und strecken.
    • Schutzfunktion: Die Wirbelsäule schützt die Nerven, die im Rückenbereich verlaufen.

    Treten Störungen bei einer dieser Funktionen auf, können Schmerzen im Rücken entstehen.

    Ein Beispiel: Eine falsche Bewegung beim Hochheben eines Wasserkastens - und schon kann es im Rücken schmerzen.

    Kleiner Exkurs zur Bandscheibe:

    Entlang der Wirbelsäule gibt es immer zwischen zwei Wirbelkörpern eine Bandscheibe - auch Faszien genannt. Sie wirken wie ein Stoßdämpfer. Zudem sind sie für die Beweglichkeit der Wirbelsäule zuständig.

    Jede Bandscheibe hat innen einen weichen Gallertkern. Er liegt wie ein Puffer zwischen den Wirbelköpern und ist von einem festen Ring aus Faserknorpel umgeben.

    Zu einem Bandscheibenvorfall kommt es, wenn der Gallertkern verrutscht, die faserige Hülle dabei durchbricht und auf das benachbarte Gewebe sowie Nervenwurzeln drückt.

    Rückenschmerzen können in verschiedenen Bereichen auftreten:

    Im untersten Abschnitt der Wirbelsäule:

    Die Lendenwirbelsäule (LWS) bildet die Basis für den Rumpf. "Durch den aufrechten Gang des Menschen ist sie der am meisten belastete Teil der Wirbelsäule", erklärt Kubosch.

    Nach seinen Angaben treten bei etwa 80 Prozent aller Menschen mindestens einmal in ihrem Leben Schmerzen im unteren Rücken auf - LWS-Syndrom. Oft sind die Schmerzen unspezifisch.

    Häufige Ursache sind Schäden an der Bandscheibe, die als Puffer und Federung zwischen den Wirbelkörpern dienen. Sie verlieren jeden Tag einen Teil ihrer Flüssigkeit und schrumpfen dauerhaft.

    Weil sich die Federung verringert, kommt es dazu, dass die generelle Muskelspannung nachlässt. Die Lendenwirbelsäule wölbt sich nach vorne. Es entsteht ein zunehmender Hohlrücken, der zusätzlich die Druckbelastung erhöht. "Die Folge sind tiefliegende Rückenschmerzen, die gürtelförmig ausstrahlen können", so Kubosch.

    Im mittleren Rückenbereich:

    Schmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule (BWS-Syndrom), haben vielfältige Ursachen. Sie reichen von Wirbelgelenkblockaden und -frakturen, über Bandscheibenvorfälle bis hin zu Osteoporose.

    Im oberen Rückenbereich:

    Oftmals sind diese "Folge einer falschen Körperhaltung und strahlen nicht selten in Arme und Schultern aus", erklärt Kubosch.

    In selteneren Fällen ist die Halswirbelsäule (HWS) betroffen, häufig strahlen die Schmerzen dann in die Schultern oder in den Kopf aus. "Patienten berichten dann oft über Schwindel."

    Tipp: In solchen Fällen sollten Sie frühzeitig zum Arzt gehen. Aber auch Verspannungen oder Fehlstellungen des Kiefers können Schmerzen im oberen Rücken auslösen.

    Mehr zur Funktionsweise der Wirbelsäure erklärt die Stiftung Gesundheitswissen in diesem Video.

    Rückenschmerzen sind in den meisten Fällen harmlos und verschwinden nach einiger Zeit wieder von selbst.

    Halten die Beschwerden jedoch länger als drei Wochen an, sollten Betroffene einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen, sagt Kubosch.

    Ihm zufolge ist der Hausarzt eine gute Anlauf- und Koordinationsstelle. Das gilt zumindest, wenn die Beschwerden Betroffene nur leicht einschränken.

    Der Hausarzt oder die Hausärztin kann Patienten gegebenenfalls an den Orthopäden überweisen.

    Wer häufiger Rückenschmerzen hat, sollte eine Ärztin aufsuchen.

    Wer häufiger Rückenschmerzen hat, sollte eine Ärztin aufsuchen. © Christin Klose/dpa-tmn

    Bevor ein Spezialist den Rücken röntgt, sollten Betroffene sechs Wochen warten, rät die Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerzen. "Das gilt natürlich nur, wenn der Arzt von unspezifischen Rückenschmerzen ausgeht", sagt Kubosch.

    In seltenen Fällen sollten Sie umgehend einen Orthopäden kontaktieren - etwa wenn die Beschwerden auf einen Bandscheibenvorfall hinweisen.

    Rückenschmerzen, die über viele Wochen hinweg andauern, sollten Sie nicht unterschätzen. Denn die Beschwerden können mit der Zeit chronisch werden und sich sogar verschlimmern, wenn Betroffene nicht rechtzeitig mit einer Therapie gegensteuern, sagt Kubosch.

    Unbehandelte Rückenschmerzen, die sich verschlimmern, können drastische Folgen haben: "Sie sind, neben Erkrankungen des Herz- und Kreislaufsystems, der häufigste Grund für eine teilweise oder vollständige Erwerbsunfähigkeit oder eine Frühverrentung."

    Alarmsignale sind zum Beispiel, wenn in Armen oder Beinen folgende Beschwerden auftreten:

    • ein Taubheitsgefühl,
    • Lähmungserscheinungen,
    • Muskelschwäche.

    Der behandelnde Arzt oder die Ärztin benötigen umfassende, möglichst exakte Angaben über die Rückenschmerzen.

    Denn: "Kein Labortest und keine diagnostische Untersuchung können zweifelsfrei die Ursache für Rückenschmerzen belegen oder ausschließen", erklärt Kubosch.

    Wichtige Informationen sind:

    • Seit wann haben Sie die Rückenschmerzen?
    • Wo genau treten die Rückenschmerzen auf?
    • Wie äußern sie sich konkret?
    • Strahlen sie in andere Körperregionen aus?
    • Welche Maßnahmen haben bisher geholfen?

    Hilfreich ist es, wenn Sie in einem Schmerztagebuch Dauer und Häufigkeit der Rückenschmerzen notieren.

    Aber auch Angaben zum persönlichen Lebenswandel sowie zu typischen Verhaltensweisen können wichtige Anhaltspunkte sein - etwa Beruf, Sport oder Medikamente.

    "Weitere wesentliche Faktoren für die Diagnose sind auch Vorerkrankungen, etwa Depressionen oder andere psychische Beschwerden", sagt Kubosch.

    Bei Rückenschmerzen, die einen hohen Leidensdruck verursachen und den Alltag massiv einschränken, sollten Sie die Ursache von ärztlicher Seite abklären lassen.

    Schonen: Wer eine Verletzung an der Wirbelsäule hat, sollte sich zunächst schonen und die Anweisungen des Arztes oder der Ärztin befolgen.

    Nicht schonen: Bei unspezifischen Rückenschmerzen habe sich Schonung jedoch als kontraproduktiv herausgestellt, so Suhr. "Natürlich ist es möglich, dass der akute Schmerz in bestimmten Situationen nachlässt, wenn man sich hinlegt", räumt der Arzt ein.

    Wer sich indes zu viel schont, schwächt seine Muskelgruppen - weil er oder sie die Muskulatur nicht beansprucht. Diese reagiert dann bei Belastung vorschnell mit Schmerz. In der Folge können sich Beschwerden schleichend verstärken.

    Die gute Nachricht ist, Sie können selbst viel tun, um Rückenschmerzen und dauerhaften Erkrankungen vorzubeugen.

    Tipps für den Alltag - was können Sie vorbeugend tun?

    • Unbedingt mehrere kleine Bewegungseinheiten über den Tag verteilt einplanen, sobald die ersten heftigen Rückenschmerzen abgeklungen sind. "Oft reicht schon ein kleiner Spaziergang von etwa einer Viertelstunde", so Suhr.
    • Bei starken Rückenschmerzen können Sie kurzzeitig Schmerzmedikamente nehmen. Bedenken Sie aber, das Medikament kann vorübergehend Schmerzen lindern, behandelt jedoch nicht die Ursache. Und: Beachten Sie den Beipackzettel und halten Sie Rücksprache mit ihrem Arzt, wenn Sie noch andere Medikamente einnehmen. Denn vor allem mit Schmerzmitteln können oftmals Wechselwirkungen entstehen.
    • Wenn Sie überwiegend am Tag sitzen, sollten Sie darauf achten, nicht zu lange in derselben Position zu verharren. Denn dabei bewegen Sie ihren Rücken nicht. Wechseln Sie regelmäßig die Sitzposition: Rutschen Sie nach vorne, nach hinten auf dem Sitz - und stehen Sie immer mal wieder zwischendurch auf und gehen ein paar Schritte.

    Vorbeugen in dem Sinne, dass man niemals mehr unter Rückenschmerzen leidet, kann man vermutlich nicht, sagt Suhr. Diese können aber etwas tun, damit Schmerzen im Kreuz nicht so stark auftreten und den Alltag dauerhaft beeinträchtigen. "Körperliche Aktivität und Bewegung sind nach wissenschaftlichen Erkenntnissen die wirksamsten Maßnahmen zur Vorbeugung von Kreuzschmerzen", so Suhr.

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