Zwei Seelenverwandte verzaubern mit Musik
22.3.2016, 14:45 UhrNun ist es nichts Neues, dass sich die so originelle wie umtriebige Engländerin mit anderen Künstlern zu ganz besonderen Kollaborationen zusammentut – in Gunzenhausen verzauberte sie gemeinsam mit ihrer kongenialen Kollegin Myshkin bereits die „Cayman“-Bar und untermalte mit Landsmann Alan Cook aufs Schönste eine Lesung –, aber die aktuelle Zusammenarbeit ist geradezu ein Paradebeispiel für die Magie, die sich hinter dem sperrigen Ausdruck „Synergieeffekt“ verbergen kann.
Der Nebenraum des Café-Restaurants „Hafner“ ist ein idealer, weil ziemlich intimer Rahmen für den Konzertabend der eher leisen Töne, wie ihn McGee und Garson unter dem Projektnamen „Ocotillo“ zelebrieren. Dass dabei nicht jeder Song-Einstieg auf Anhieb klappt, Saiten mitunter auf beiden Seiten umgestimmt werden müssen und einige Lyrics auf Spickzetteln bereitliegen, nehmen beide Musiker und das Publikum mit Humor. So ist das eben, wenn die Distanz zwischen Manchester und Joshua Tree im Vorfeld oft nur per Skype-Konferenz überbrückt werden konnte und vor Tourbeginn lausige vier Tage zum Proben der Werke des jeweils anderen blieben.
Rohdiamanten und Brillanten
Trotzdem schafft es Kirsty McGee mit samtweicher, im Abgang leicht rauchiger Background-Stimme und unter beeindruckendem Instrumenteneinsatz, Robert Garsons mitten aus dem (Liebes-)Leben gegriffene Folk-Rohdiamanten zu Brillanten zu schleifen. Er revanchiert sich, indem er ihren unvergleichlichen Mix aus Chanson, Rhythm & Blues, Gospel und 1930er-Jahre-Jazz um eine Prise Hemdsärmeligkeit und, dank der Glissandi seiner Lap-Steel-Gitarre, süßes Hula-Feeling bereichert. Die Gäste sparen nicht mit Bravorufen, und das einzig Bittere an der grandiosen Performance ist, dass sich durchaus mehr Menschen hätten am Hafnermarkt einfinden dürfen, um sie zu genießen.
Die Setlist umfasst knapp zwei Dutzend Stücke, und sie enthält mit dem poetisch-verwunschenen „Sandman“ unter anderem die bis dato bekannteste, zu Soundtrack-Ehren gekommene Komposition der studierten Anglistin McGee. Daneben erklingen gelungene Reminiszenzen an ihre musikalischen Fixsterne Cole Porter („If I Had A Dollar“) und Tom Waits („Little Stars“) und berührt vieles durch seine schlichte Zärtlichkeit, vor allem der fragile Lovesong „A Trick Of The Light“.
Wichtigstes Requisit des Gigs ist ein Streichbogen, mit dem McGee die Metallplatten eines Glockenspiels bearbeitet, eine handelsübliche Handsäge zum Singen bringt und der Phonofiedel – eine um 1900 entwickelte, wie ein Grammophon aufgebaute Violine ohne Resonanzkörper – schräge Laute entlockt. Zwei Querflöten, eine afrikanische Kalimba, ein Schellenring und ein kleines Rhythmus-Ei ergänzen das Ensemble facettenreicher Instrumente, welche die zwei Freunde neben ihren Klampfen und dem restlichen Equipment ins Auto gestopft und mit gerne verziehener, da allzu menschlicher Verspätung von der vorigen Tourstation an die Altmühl transportiert haben.
Doch plötzlich wandelt sich die Szenerie, die Altmühl weicht scheinbar einem staubigen Highway irgendwo im Südwesten der Staaten („Drive On“), und Garson besingt rau und hingebungsvoll die Höllenqualen des Fremdgehens („Dark Night Of The Soul“). Der bisherige Begleitmusiker feiert derzeit übrigens nicht nur Premiere als Frontmann und Werbeträger in eigener Sache, die Auftrittsreise ist außerdem seine erste Begegnung mit der Welt jenseits des Atlantiks.
Wie ein Schneekönig freut sich die vegan lebende Lady aus Großbritannien deshalb, dem Amerikaner das „alte Europa“ zeigen zu dürfen, ihn zu den Kulturschätzen einer Stadt wie Nürnberg oder Prag zu lotsen und dabei sein wortloses Staunen auf Fotos zu bannen. Es ist wohl eine Art Retourkutsche dafür, dass er ihr bei sich zu Hause das richtige Verhalten in Wüstengebieten beibringen musste, denn sie tigerte vor lauter Begeisterung über die Spiritualität des Ortes zunächst tatsächlich barfuß zwischen Skorpionen, Taranteln und Kakteen umher.
„Koralle der Wüste“
Genau dort wächst allerdings auch der exotische Namenspatron des Duos. „Ocotillo“ ist die spanische Bezeichnung für ein stacheliges, erikaartiges Gehölz aus Garsons Heimat, das bei Regen leuchtend rot blüht. Die Ureinwohner schreiben der aufgrund ihres Aussehens bisweilen als „Koralle der Wüste“ bezeichneten Pflanze eine heilsame Wirkung auf das Herz zu.
Den Herzen ihrer Zuhörer tun Kirsty McGee und Robert Garson als „Ocotillo“ allemal etwas Gutes – nach dem Sommer endlich in Albumform, bis dahin noch einige Male live und hautnah, wenn, wie in Gunzenhausen, immer mal wieder magische Kräfte walten:
Man nippt ein wenig vom Wein und schließt die Augen. Man lauscht dem Knarzen, Knistern, Summen und Flirren des abendlichen Ödlandes, über dem langsam sechs Millionen Sterne und ein betörender Mond heraufziehen. Irgendwo heult ein Kojote, die Hitze weicht wohliger Kühle, und es duftet nach den Korallenblüten eines wundersamen Strauches… So konnte sich wegträumen, wer neulich nicht Fußball guckte, sondern bei einem Highlight des diesjährigen Veranstaltungskalenders der „Kulturmacherei“ zugegen war.
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