19. Februar 1963: Durchgerostete Gasleitung brachte zwei Menschen den Tod

19.2.2013, 06:04 Uhr
19. Februar 1963: Durchgerostete Gasleitung brachte zwei Menschen den Tod

© Eva Slevogt

Zwei Tote und fünf Verletzte sind die Oper eines furchtbaren Gasunglücks, das sich in den gestrigen Morgenstunden in der Bucher Straße 109 ereignet hat. Aus dem durchgerosteten Rohr der Hochdruck-Gasleitung unter der Fahrbahn der Bucher Straße war das tödliche Gift in das mehrere Meter entfernte, zweistöckige Wohnhaus eingedrungen. Wegen des stark gefrorenen Bodens konnte das Gas nicht nach oben entweichen.

Unter der Straßendecke an Baumwurzeln entlang war es in das nicht unterkellerter Haus gelangt. Es war ein Zufall, daß das Unglück bereits morgens um 7 Uhr entdeckt wurde. Edeltraud P. aus der Juvenellstraße wollte, da sie berufstätig ist, ihr Kund zu den Schwiegereltern in der Bucher Straße 109 bringen. Nach dem Aufschließen der Wohnung im Erdgeschoß nahm die Frau starken Gasgeruch wahr.

Sie stürzte gleich ins Schlafzimmer und fand dort ihre Schwiegereltern und die Schwägerin bewußtlos auf. Der Schwiegervater lag vor dem Bett auf dem Fußboden, währen die beiden Frauen noch in ihren Betten waren. Die Helfer vom BRK und die Polizei konnten bei dem 55jährigen Bahnarbeiter Georg P. und dessen 16 Jahre alte Tochter, die Feintäschnerin Gerlinde P., nur noch den Vergiftungstod feststellen. Schwache Lebenszeichen gab indessen die 52jährige Maria P. von sich.

Sie wurde sofort ins Krankenhaus eingeliefert. Ihr Zustand ist noch immer bedenklich. Im ersten Stock des Gebäudes mußten Beamte der Schutzpolizei die Wohnung der Familie L. gewaltsam öffnen, nachdem auf Klingelzeichen nicht reagiert worden war. Sämtliche Bewohner dieser Räume waren ebenfalls bewußtslos: die 52jährige Elisabeth L., der 13 Jahre alte Lehrling Peter L., die 20jährige Schneiderin Gertrud H. und der 39 Jahre alte Untermieter Hans B.

Diese vier Personen befinden sich bereits auf dem Weg der Besserung, weil ihre Vergiftungen nicht so erheblich waren. Allerdings dürften diese vier Verletzten ihr Leben nur dem Umstand zu verdanken haben, daß der Unfall durch Edeltraud P. so früh am Morgen entdeckt worden ist. Eine Stunde später wären sie wohl kaum mehr am Leben gewesen.

Männer der Feuerwehr rissen im ganzen Haus die Fenster auf und sorgten für starken Durchzug. So konnte schon nach kurzer Zeit die Polizei die Ermittlungen aufnehmen. Erster Staatsanwalt Hans Sachs, Albert Bleistein, der Leiter des Amtes für Katastrophenschutz, und Polizeiamtmann Heinrich Helldörfer überzeugten sich persönlich über das Ausmaß des Unglücks. Die Ermittlungen selbst leitete der Chef der Inspektion I, Kriminal-Oberinspektor Erich Bürger.

Die Energie- und Wasserversorgungs AG (EWAG) entsandte sofort nach bekanntwerden des Unfalls Gasspürtrupps. Erst am Nachmittag gegen 15.20 Uhr konnte jedoch die Ursache des folgenschweren Unglücks entdeckt werden: An der unteren Außenseite der in 1,50 Meter Tiefe unter der Fahrbahn der Bucher Straße verlegten 20 Zentimeter Hochdruck-Gastleitung war ein Loch in Pfenniggröße, durch das eine beträchtliche Menge Gas entwich. Dieses Loch in dem 5,5 Millimeter dickwandigen Stahlrohrmantel ist durch Rost entstanden.

Ursprünglich hatte man angenommen, daß durch den starken Frost ein kleineres Gasrohr durchgebrochen war. Daß jedoch die Hauptgasleitung eine solche Roststelle aufweist, hatte kaum einer der Männer von der Gas-Spürtruppe anzunehmen gewagt. „Das ist doch ausgeschlossen“, meinte man noch kurz vor dem Augenblick, in dem diese peinlich Unfallursache ermittelt werden konnte.

Zwei Männer eines Gas-Spürtrupps mit Gasmasken beseitigten die Isolierung an der defekten Rohrstelle. Sie nahmen dafür Bronzewerkzeug, damit keine Funken entstanden. Dann dichteten sie die Schadensstelle provisorisch mit einer Schelle ab. Das schadhafte Rohrstück wird später noch mit einer Kieler Kappe versehen, die verschweißt wird.

Sicherheitshalber hat die Polizei wegen der bis zur endgültigen Reparatur noch bestehenden Vergiftungsgefahr auch das Nachbargebäude 107a geräumt. Von der Staatsanwaltschaft wird diese Angelegenheit noch untersucht. Es wird dabei genau überprüft werden, ob irgendwie eine Fahrlässigkeit vorliegt. Ermittlungen wurden bereits unmittelbar nach bekanntwerden des Unglücks eingeleitet.

Wie konnte es zu dem Unfall kommen?

Mit dieser wichtigen Frage befaßten sich Generaldirektor Prof. Dr. Josef Ipfelkofel und der Leiter für Gas und Wasser bei der EWAG, Dipl.-Ing. Hermann Fischer, gestern Abend bei einer Pressekonferenz im Hochhaus am Plärrer. Die Niederdruck- und Hochdruckleitungen in der Bucher Straße seien, so erklärte an, im Dezember und Januar überprüft worden.

Noch vier Tage vorher habe man wegen Störungsmeldungen die Hauszuleitungen der Anwesen Nr. 98 und 100 kontrolliert. Diese Leitungen habe man stillgelegt, weil tatsächlich Defekte gefunden wurden. Darüber hinaus sei die Bucher Straße zwischen der Juvenell- und der Gärtnerstraße mit Riechrohren gründlich abgesucht worden. Ein Gasentweichen sei dabei nicht entdeckt worden.

Die Rohre der Hochruckleitung seien 30 Jahre alt; die Lebensdauer dieser Rohre jedoch bei weitem länger. Fischer bestätigte, daß an der fraglichen Stelle 1957 die Isolierung geprüft worden sei. !Sie war hier in Ordnung!“ Allerdings, dies gab man unumwunden zu, befand sich das Rohr in lettenhaltigem Boden. Es ist möglich, so wurde angedeutet, daß der Frost den Unfall begünstigt hat. Durch den starken Verkehr auf der Bucher Straße und den bis in die Riefe des Gasrohrnetzes reichenden Frost seien die Leitungen stärkeren Belastungen ausgesetzt. Abschließend richtete Prof. Ipfelkofer die Bitte an die Bevölkerung, beim Feststellen von Gasgeruch sofort den Störungsdienst zu verständigen. Dabei sollten möglichst die Fenster geöffnet und jedes Feuer vermieden werden.

Aus den Nürnberger Nachrichten vom 19. Februar 1963

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