20. Februar 1963: Solweig – kein Soldat

20.2.2013, 06:37 Uhr
20. Februar 1963: Solweig – kein Soldat

© Gertrud Gerardi

Als „Herr Solweig Rescher“ marschierte gestern ein blondschöpfiges Mädchen zur Wehrerfassungstelle im Polizeipräsidium. Die 18jährige wollte sich den Spaß nicht entgehen lassen, zu dem sie amtlich aufgefordert worden war. Der vermeintliche Herr gab sich nämlich der Behörde , die offensichtlich zwischen Männlein und Weiblein nicht recht unterscheiden kann, als Mädchen zu erkennen.

Schwarz auf weiß hatte das große Kind mit dem nordischen Vornamen Solweig auf einer Postkarte in militärisch knappen Worten die Einladung erhalten: Betreff: Erfassung zum Wehrdienst Sehr geehrter Herr! Nach § 15 Abs. 2 des Wehrpflichtgesetzes i. d. F. Vom 14.1.61 (BGBl. I S. 29) haben sich Personen, die gemäßt § 1 des Wehrpflichtgesetzes wehrpflichtig sind, nach Aufforderung durch die Erfassungsbehörde persönlich zur Erfassung zu melden. Wir bitten Sie daher am Dienstag, den 19. Feb. 1963, 9.10 Uhr, bei uns unter Vorlage dieser Karte sowie Ihres Personalausweises oder Reisepasses persönlich zu erscheinen und nachfolgende Unterlagen, soweit vorhanden, mitzubringen: . .

20. Februar 1963: Solweig – kein Soldat

© Gertrud Gerardi

Die amtlichen Stempel auf dieser Postkarte lassen ließen keinen Zweifel daran, daß es sich hier nicht um einen Faschingsscherz handeln könnte, obwohl „Herr Solweig Rescher“ eben ein Mädchen ist. Die Familie der 18jährigen vom Jahrgang 1944, der jetzt zu den Waffen gerufen werden soll, freute sich diebisch über diesen Husarenritt des Amtsschimmels, der scheinbar neuerdings seine Soldaten sogar unter den Mädchen suchen will.

Zwei volle Wochen hatten die Reschers Zeit, sich geistig auf das große Ereignis vorzubereiten, denn die Einladung war bereits am 5. Februar ergangen. „Je näher der Termin rückte, desto entschlossener waren Mutter und „wehrerfaßte“ Tochter, der Behörde vorzuführen, wen sie da aufgerufen hatte. Die beiden Damen erschienen gestern pünktlich und prompt, wie Solweig auf der Karte gehießen, im dunklen Gang der Baracke 9 im Polizeipräsidium. Die jungen Männer, die dort auf Abruf bereitstanden, hatten auf einmal einen Grund zum Lachen. Sie rätselten herum, welche Aufgabe in der Bundeswehr dem aufgeschlossenen Mädchen wohl zugedacht sein könnte.

20. Februar 1963: Solweig – kein Soldat

© Gertrud Gerardi

Schließlich einigte sich der Haufen darauf, daß Solweig wohl „Marketenderin“ werden solle. Den Damen in der Wehrerfassungsstelle war freilich nicht so recht nach Heiterkeit zumute. „Das ist aber unangenehm“; stöhnte eine von ihnen. Doch Mutter und Tochter retteten die Lage schnell: „Wir wollten Ihnen und uns eine Freude machen . . .“ Trotzdem blieben die Damen vom Amte skeptisch. Sie versicherten immer wieder, daß so etwas gelegentlich vorkomme, wenn Mädchen ausgefallene Vornamen haben.

Aber die Wehrerfassungsstelle hätte gar kein schlechtes Gewissen zu haben brauchen, denn der Fehler rührte ganz woanders her, wie der Leiter des Einwohnermelde- und Paßamtes, Georg Zeh, alsbald pflichteifrig klarstellte. Seine Behörde liefert die Meldezettel aller Bürger an die Lochkartenstelle. Dort muß im Falle der Solweig Rescher wohl männlich statt weiblich eingelocht worden sein. Bei Erfassungen wie jener zum Wehrdienst wird dann eben die Taste männlich gedrückt und die entsprechenden Karten fallen heraus.

Diesmal war auch Solweig dabei. Entschuldigen meinte Georg Zeh: „In Nürnberg kennt man eben die Maria, die Anna und die Margaret . . .“; die Dame Solweig, die in Peer Gynt eine Rolle spielt, scheint den Nürnbergern nicht so geläufig zu sein. Dennoch: die Sache war keine Staatsaffäre, wenn man sie mit Humor zu tragen versteht. Mutter und Tochter Rescher – das muß man ihnen bestätigen – haben als „Betroffene“ die Angelegenheit auf die leichte Schulter genommen. Das beweist am besten folgendes Gedicht, das aus der Feder der Mutter stammt: Ein großes, junges Mädel prompt heut´ zur Wehrerfassung kommt Ist das möglich? Aber nein, das kann doch nur ein Irrtum sein. Was die Leute alles machen! Na, wir haben ´was zu lachen. Liebe Wehrmacht überleg´ es Dir, so ein weiblicher Offizier bliebe über rauhe Krieger sicherlich zum Schluß doch Sieger. Der Behörde aber sei zum Trost gesagt: Irren ist menschlich!

Aus den Nürnberger Nachrichten vom 20. Februar 1963

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