Kampfansage an Buchdrucker und Kupferstecher

Der Buchdrucker macht auch dem Staatsforst Nürnberg zu schaffen: Revierleiterin  Bettina Knappe und Heiko Stölzner, stellvertretender Leiter des Forstbetriebs Nürnberg, machen sich im Revier Ungelstetten zwischen Altdorf und Leinburg ein  Bild von der Lage.

© Sebastian Linstädt Der Buchdrucker macht auch dem Staatsforst Nürnberg zu schaffen: Revierleiterin Bettina Knappe und Heiko Stölzner, stellvertretender Leiter des Forstbetriebs Nürnberg, machen sich im Revier Ungelstetten zwischen Altdorf und Leinburg ein Bild von der Lage.

Heiko Stölzner setzt die Hippe auf der Oberseite des mächtigen, gefällten Fichtenstammes an. Mit einem kräftigen Ruck trennt das scharfe Waldarbeiterwerkzeug die Rinde vom eigentlichen Stamm. Stölzner, stellvertretender Leiter des Forstbetriebs Nürnberg, nickt befriedigt: "Volltreffer!" Unter der Rinde und auch in dem abgetrennten Stück, das Stölzner nun in die Sonne des schwülen Maimittags hält, wuselt das Leben. Kleine weiße fette Maden erheben ihre blinden Köpfe aus den Fraßgängen, die ein von Forstwirten nur allzu bekanntes und gefürchtetes Bild in die Bastschicht zwischen Holz und Borke zeichnen.

Hungrige Biester: So sieht es aus, das typische Fraßbild, das ein Buchdrucker hinterlässt.

Hungrige Biester: So sieht es aus, das typische Fraßbild, das ein Buchdrucker hinterlässt. © Sebastian Linstädt

"Das klassische Fraßbild eines Buchdruckers", sagt Stölzner und zeigt auf die beiden Muttergänge, die von der sogenannten Rammelkammer aus in vertikaler Richtung am Stamm auf- oder abwärts gefressen wurden. "Diese Gänge legt das weibliche Insekt nach der Begattung durch den männlichen Käfer in der Rammelkammer an", erläutert Stölzner weiter. Entlang dieser Muttergänge findet die Ei-Ablage statt. Innerhalb weniger Tage schlüpfen die gefräßigen Larven – pro Weibchen etwa 60 Stück – und beginnen ihr zerstörerisches Werk, in dem sie sich von den Muttergängen in einem mehr oder weniger rechten Winkel zu beiden Seiten in den Bast – die Schicht zwischen Borke und Stamm – fressen.

Das ist er, der vier bis fünf Millimeter große Buchdrucker aus der Familie der Borkenkäfer.

Das ist er, der vier bis fünf Millimeter große Buchdrucker aus der Familie der Borkenkäfer. © Werner Baum dpa/lhe

Das typische Fraßbild des Buchdruckers entsteht. Wie auf ein Stichwort krabbelt ein kleiner schwarzer Käfer über die freigelegte Baststelle, nicht größer als wenige Millimeter. "Man glaubt es kaum – aber diese winzigen Tiere sorgen für enormen Aufwand", sagt Bettina Knappe, die Revierleiterin in Ungelstetten.

Zwei Dinge werden schnell klar, wenn man mit Fachleuten wie Knappe und Stölzner spricht: Der Käfer erkennt keine Gebietsgrenzen an. Und der Kampf gegen die Winzlinge ist immer ein Wettlauf gegen die Zeit. "Der Buchdrucker an sich ist ja zunächst mal gar kein Schädling", holt Stölzner aus. Zum Schädling mache das gefräßige kleine Insekt erst seine massenhafte Vermehrung, der selbst gestandenen Stämme wenig entgegenzusetzen haben. Schuld daran, dass sich Buchdrucker und Kupferstecher, – sie gelten als die beiden gefährlichsten Fichtenborkenkäferarten – überhaupt so ausbreiten konnten, waren Fehlentscheidungen der Vergangenheit. Fichten, die in unseren Breiten eigentlich gar nicht heimisch sind, teilweise in Monokultur anzubauen, ermöglichte in Kombination mit starken Stürmen die häufig in viel Bruch- und Wurfholz resultierten, erst die rasante Ausbreitung der winzigen Käfer.

Der Käfer hinterlässt auch im Nürnberger Reichswald seine Spuren. Seine Leibspeise: Fichten.

Der Käfer hinterlässt auch im Nürnberger Reichswald seine Spuren. Seine Leibspeise: Fichten. © Revierleiterin Bettina Knappe/Staatsforst Nürnberg

Hier steht Nürnberg im Vergleich zu den "Borkenkäfer-Hochburgen" in Nieder- und Oberbayern sogar verhältnismäßig gut da. Nur rund 17 Prozent des Baumbestandes im Nürnberger Reichswald besteht aus Fichten, größere Ansammlungen von reinen Fichtenbeständen gibt es kaum. Dennoch läuft der Umbau des Waldes seit Jahren auf Hochtouren, eben um ihn widerstandsfähiger gegen den Klimawandel und die Käferplagen zu machen.

"Das Hauptproblem beim Borkenkäfer ist das exponentielle Wachstum der Population", erläutert Stölzner. Ein in einen Stamm eingebohrtes Käferweibchen legt nach der Begattung in der Rammelkammer in den Muttergängen rund 60 Eier ab, rund die Hälfte davon werden wenig später weibliche Käfer sein. Doch noch bevor diese erste Nachwuchsgeneration fertig entwickelt ist, fliegt des Weibchen aus und legt eine zweite Brut. "Wir sprechen dann von einer Geschwisterbrut", so Stölzner. Dieses Modell lässt sich nun fortsetzen: Betrachtet man allein die Nachkommen eines Weibchens nach drei Generationen, ergeben sich bereits ohne Geschwisterbruten über 50.000 weibliche Käfern. Bezieht man die Geschwisterbruten in das Rechenexempel mit ein, wird die mögliche Nachkommenschaft eines individuellen Insekts schnell sechsstellig.

Dazu kommt der Klimawandel, der Bayern 2018 den wärmsten April seit Aufzeichnung der Wetterdaten bescherte – für die Borkenkäfer ein wahres Fest. "Wir haben den ersten Schwärmflug, also das erste massenhafte Auftreten der Käfer bereits Mitte April registriert", sagt Stölzner und verweist auf Untersuchungen, die landauf landab mittels Pheromonfallen erstellt werden. "Das bedeutet: Die Uhr tickt jetzt bereits, in den befallenen Bäumen reifen nun die Larven der ersten Generation heran, teilweise ist sogar bereits die erste Geschwisterbrut am Entstehen." Jeder Käfer der es nach der Verpuppung schafft auszuschwärmen, potenziert die Gefahr im restlichen Jahr.

Das andauernd warme Wetter hat darüber hinaus Einfluss auf die Dauer der Entwicklung der Larven. "Früher bei normalen Temperaturen waren im Frühjahr sechs bis acht Wochen die Regel. Bei der aktuell wärmeren Witterung gibt es Untersuchungen, die fertige Käfer bereits nach vier bis fünf Wochen erwarten", erklärt Stölzner. Die Folge: Die Schlagzahl erhöht sich, die Generationen folgen immer schneller aufeinander. 2018 muss mit drei Generationen sowie diversen Geschwisterbruten gerechnet werden – eine echte Käferkatastrophe.

Bettina Knappe und Heiko Stölzner machen sich Sorgen um ihren Wald. Die Trockenheit schwächt die Widerstandskräfte der Bäume, die Käfer dagegen vermehren sich rasend schnell.

Bettina Knappe und Heiko Stölzner machen sich Sorgen um ihren Wald. Die Trockenheit schwächt die Widerstandskräfte der Bäume, die Käfer dagegen vermehren sich rasend schnell. © Sebastian Linstädt

Auch Wetterkapriolen, die in starken Stürmen resultieren, begünstigen das Käferwachstum: Denn in Wurf- und Bruchholz lässt sich der Schädling besonders gerne nieder: Es bietet optimale Bedingungen und ist wegen wenig Harzfluß kaum widerstandsfähig. "Frostperioden, so wie die letztes Jahr Ende April und Mai, töten die Käfer zwar nicht ab, verschaffen uns aber eine Atempause, weil in der Zeit kaum eine Entwicklung stattfindet", führt Stölzner weiter aus. Dieses Jahr gab es zwar einen strengen Winter – "doch die Käfer haben in der Bodenstreu überlebt". Der momentan vorherrschende massive Mangel an Feuchtigkeit durch zu wenig Niederschlag macht sich auch bei den Bäumen bemerkbar: "Die stehen weniger im Saft, wie ja auch der Volksmund sagt. Sie sind also gegenüber Käferattacken weniger widerstandsfähig, weil der Harzfluß weniger stark ausgeprägt ist."

Förster suchen nach der verräterischen Spur: Bohrmehl.

Förster suchen nach der verräterischen Spur: Bohrmehl. © LWF

Im Forstrevier Ungelstetten wird gehandelt

Wie so etwas aussieht, kann man im Revier Ungelstetten begutachten: in unmittelbarer Nähe der Autobahnraststätte Ludergraben haben sich einige Fichten rötlich verfärbt. "Das muss jetzt ganz schnell gehen", sagt Revierleiterin Knappe, die ihre Waldarbeiter längst beauftragt hat. Was tun? "Fällen und so schnell wie möglich aus dem Wald schaffen", sagt die junge Frau. Gerade hier, entlang beliebter Wanderwege ärgere es die Menschen besonders, wenn kapitale Bäume der Motorsäge zum Opfer fallen. "Ich habe dafür volles Verständnis, ich selbst liebe Bäume sehr. Es gibt aber absolut keine andere Lösung", sagt die Försterin.

Der Reichswald ist wunderschön. Die Gefahr, die sich unter der Rinde durchs Holz frisst, bleibt Laien meist verborgen. Verfärben sich Bäume, ist der Befall schon vorangeschritten.

Der Reichswald ist wunderschön. Die Gefahr, die sich unter der Rinde durchs Holz frisst, bleibt Laien meist verborgen. Verfärben sich Bäume, ist der Befall schon vorangeschritten. © Sebastian Linstädt

Sie ist wie ihre Kollegen im Moment permanent auf der Suche nach verräterischen Hinterlassenschaften der Käfer: dem sogenannten Bohrmehl. Dafür werden Reviere in eher überschaubare Suchbezirke gegliedert, die je nach Waldbestand und Beschaffenheit des Gebietes einige hundert Hektar groß sind. "In meinem Fall bedeutet das unter anderem, dass ich zwei langgezogene Täler komplett zu Fuß ablaufen muss, da kommen schnell über 20 Kilometer täglich zusammen", berichtet die Försterin.

Insgesamt umfasst ihr Revier über 2600 Hektar – unmöglich für eine Einzelperson, das alles alleine abzulaufen. Deswegen ist sie über jeden Hinweis dankbar, der auf Käferbefall hinweist. Darüber hinaus sind im Reichswald pensionierte Förster und geschulte Mitarbeiter im Einsatz, um den Käferbefall möglichst rasch auf die Schliche zu kommen – Stölzner rechnet mit zwischen 30 bis 50 Mann.

"Befallene Bäume müssen mindestens 500 Meter aus dem Wald heraus geschafft werden, weil davon ausgegangen wird, dass die Käfer diese Distanz nicht überbrücken können", sagt Stölzner. Im Optimalfall werden die Stämme sofort ins Sägewerk verbracht und verarbeitet. Ist die Lagerung in Poltern im Wald unumgänglich – etwa weil der Abtransport witterungsbedingt nicht stattfinden kann -, ist das abschälen der Rinde eine Option.

Als "Ultima Ratio" gibt es die chemische Keule. "Aber das Besprühen ganzer Polter mit Pestiziden ist nicht sehr effizient, weil man viele Stellen nicht erreicht – über einen Wirkungsgrad von rund 50 bis 60 Prozent kommt man kaum hinaus", sagt Stölzner. Auch deshalb ist die mit Insektiziden behandelte Holzmenge im Forstbetrieb Nürnberg äußerst gering.

In den stark vom Käferbefall betroffenen Gebieten Nieder- und Oberbayerns unterhält der Staatsforst mittlerweile auch sogenannte Nasslager, in denen tausende Festmeter Holz bis zur Verarbeitung künstlich bewässert werden können. "Ein immenser logistischer Aufwand", sagt Knappe. Dennoch zeigen gerade die Bemühungen der Staatsforsten, den Käfern organisiert zu Leibe zu rücken, durchaus Erfolge. Gerade die zentrale Verwertung von Kronen und Restmaterial zu Hackschnitzeln mache sich hier sehr bemerkbar, so Stölzner.

Wird das Waldwirtschaften für die Staatsforsten im Reichswald durch die Käferplage unrentabel? "Davon sind wir glücklicherweise weit entfernt", sagt Stölzner. Im laufenden Geschäftsjahr 2018 – es geht vom 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2018 – rechnet Stölzner, dass vom gesamten Fichteneinschlag nur etwa elf Prozent der Bäume wegen Käferbefall gefällt werden müssen. Insgesamt macht der Fichteneinschlag im Staatsforst Nürnberg rund 20 Prozent des Gesamteinschlags von rund 130.000 Festmetern Holz aus. Im Gegensatz dazu stellt in Südbayern das Käferholz hingegen schnell einen Großteil vom gesamten Fichteneinschlag dar.

"Auf der anderen Seite schlägt auch bei uns jeder Festmeter Holz mit Buchdruckerschaden mit einem Verlust von 30 bis 50 Euro zu Buche", rechnet Stölzner weiter: Umfangreiche Wiederaufforstungsmaßnahmen sind extrem teuer. Dennoch ist der Waldumbau auf den rund 24.000 Hektar Staatsforst im Reichswald auf einem guten Weg, glaubt Stölzner. "Das ist heute schon nicht mehr der Steckerlaswald, der es noch vor 50 Jahren war."

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