Ukraine: Russische Sanktionen treffen deutsche Wirtschaft

7.8.2014, 16:58 Uhr
Putin lässt an der ukrainischen Grenze weitere Truppen aufmarschieren und verhängte Sanktionen gegen den Westen.

© dpa Putin lässt an der ukrainischen Grenze weitere Truppen aufmarschieren und verhängte Sanktionen gegen den Westen.

In der Ukraine-Krise hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erneut an Russlands Präsidenten Wladimir Putin appelliert, stärker auf die Separatisten im Osten des Landes einzuwirken. Die Moskauer Regierung müsse diese zu einem Waffenstillstand mit Kiew drängen, forderte Merkel nach Angaben einer Vize-Regierungssprecherin vom Mittwochabend in einem Telefonat mit dem Kremlchef. Die Kanzlerin zeigte sich demnach besorgt darüber, dass von Russland aus Nachschub für die Separatisten geliefert wird.

Die EU und die USA werfen Russland vor, nichts zur Entspannung der Lage in der Ukraine zu unternehmen. Sie hatten deshalb vor kurzem erstmals ganze russische Wirtschaftszweige mit Sanktionen belegt. Betroffen sind der Finanz-, Energie- und der Militärsektor. Russland verhängte nun im Gegenzug ein einjähriges Einfuhrverbot für zahlreiche Agrarprodukte und Lebensmittel aus Ländern, die Strafmaßnahmen gegen Moskau erlassen haben. Die EU-Staaten und die USA dürfen ab sofort kein Fleisch und keine Milchprodukte mehr nach Russland liefern. Von dem Einfuhrverbot sind auch Obst und Gemüse betroffen, wie Regierungschef Dmitri Medwedew am Donnerstag in Moskau mitteilte. Die russischen Sanktionen gelten demnach auch für Australien, Kanada und Norwegen.

EU kritisierte Russlands Vorgehen

«Das Verbot untergräbt das Ansehen Russlands als zuverlässiger Partner», sagte ein EU-Sprecher in Moskau. Bei der Kommission in Brüssel hieß es, die EU behalte sich eine Antwort vor. 2013 exportierte die EU nach eigenen Angaben allein Obst und Gemüse im Wert von 11,9 Milliarden Euro nach Russland. Nach Angaben des Moskauer Analysten Dmitri Polewoj betrifft der Einfuhrstopp etwa ein Zehntel der russischen Agrarimporte.

Das größte Land der Erde gilt als gigantischer Markt, ist für westliche Lebensmittelhersteller aber nun dicht. Dies könne die deutsche Wirtschaft empfindlich schmerzen, so der Exportverband BGA. Denn insbesondere für hochwertig verarbeitete Lebensmittel sei Russland wichtiger Abnehmer. Leidtragende seien auch die russischen Verbraucher. Sie müssten wohl die Zeche in Form höherer Preise, schlechterer Qualität und geringerer Vielfalt bezahlen, meinte der Verband.

Nach Einschätzung des Deutschen Bauernverbands hingegen wird der Boykott die deutsche Landwirtschaft nur begrenzt zusätzlich treffen. Bereits seit dem Herbst/Winter 2013 gebe es Einfuhrsperren für Schweinefleisch aus der EU und für Käse aus Deutschland. Produkte wie Obst und Gemüse sowie Geflügel- und Rindfleisch hätten für den deutschen Export nach Russland nur eine geringe Bedeutung.

Nach Ansicht der USA fügt Russland mit dem Schritt der eigenen Wirtschaft zusätzlichen Schaden zu. Diese würden das Land international nur noch weiter isolieren, sagte eine Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates. Die russische Zentralbank habe bereits davor gewarnt, dass die hohe Inflationsrate durch ein Importverbot weiter steigen und die Kaufkraft der Russen sinken würde.

Russische Wirtschaft geschwächt

Die im Zuge der Ukraine-Krise verhängten Sanktionen des Westens hätten die russische Wirtschaft bereits deutlich geschwächt. „Ausländische Investoren bleiben zunehmend fern, und russische Investoren flüchten“, sagte die Sprecherin. Vor den Strafmaßnahmen der USA und der EU sei für das laufende Jahr bereits eine Kapitalflucht von rund 100 Milliarden Dollar (74,7 Mrd. Euro) erwartet worden.

Deutschland war zuletzt der zweitwichtigste Handelspartner Russlands. Nach Daten der Germany Trade & Invest (GTAI) für 2012 kamen 9,4 Prozent der russischen Einfuhren aus Deutschland – damit liegt die Bundesrepublik hinter China auf Rang zwei der Lieferländer.

Kämpfe an der Absturzstelle

Im Kampf um die Separatistenhochburg Donezk griff die ukrainische Luftwaffe derweil erstmals Ziele nahe des Zentrums der Großstadt an. Wegen der Gefechte zog die OSZE Beobachter aus der Stadt ab. Auch an anderen Orten der Region tobten weiter Kämpfe – wie etwa an der Absturzstelle des Fluges MH17.

Wegen der Auseinandersetzungen wurde der Einsatz zur Bergung sterblicher Überreste und persönlicher Gegenstände in dem Trümmerfeld zunächst eingestellt. Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte teilte mit, der Einsatz sei für die rund 100 Kräfte aus den Niederlanden, Australien und Malaysia zu gefährlich geworden. Die Australier gedachten derweil bei einem nationalen Trauertag ihrer 38 bei der Katastrophe gestorbenen Landsleute. Zur Erinnerung an sie wehten Nationalflaggen auf halbmast. In Melbourne gab es einen Gedenkgottesdienst.

Russland wies Vorwürfe des Westens zurück, die Krise durcheinen Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze weiter anzuheizen. Die Behauptungen seien eine „Irreführung der Weltöffentlichkeit“, erklärte das Verteidigungsministerium der Agentur Interfax zufolge. Die Nato fürchtet, dass Moskau Truppen in die Ostukraine senden könnte.

Rasmussen in Kiew erwartet

Vor dem Hintergrund einer weiteren Zuspitzung der Ukraine-Krise wird Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Donnerstag in Kiew erwartet. Seine Sprecherin hatte am Mittwoch gewarnt, an der Grenze zusammengezogene russische Truppen könnten unter dem Vorwand einer Friedensmission in die Ukraine einmarschieren.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko hatte Rasmussen eingeladen. Der scheidende Nato-Chef hatte am Sonntag in einem Interview erklärt, das Militärbündnis entwickele angesichts einer “russischen Aggression“ neue Verteidigungspläne. Nach Angaben von Rasmussens Sprecherin Oana Lungescu erhöhte Moskau binnen weniger Wochen die Zahl der im Grenzgebiet stationierten Soldaten von 12.000 auf 20.000. “Die Bedrohung einer direkten Intervention ist mit Sicherheit größer als noch vor wenigen Tagen“, warnte Polens Ministerpräsident Donald Tusk am Mittwoch.

Russische "Friedenstruppen"

Poroschenko sprach am späten Mittwochabend mit US-Vize-Präsident Joe Biden über die Krise. Darin hätten sich beide Politiker alarmiert über Stellungnahmen aus Moskau gezeigt, wonach russische “Friedenstruppen“ womöglich eine Rolle in der Ukraine spielen sollten, wie das Weiße Haus mitteilte.

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