Blick hinein: Das bietet das Ludwig-Erhard-Zentrum in Fürth

17.5.2018, 20:38 Uhr
Beim Presserundgang am Donnerstag konnten sich die versammelten Medienvertreter ein Bild vom Inneren des Ludwig-Erhard-Zentrums machen.

© Hans-Joachim Winckler Beim Presserundgang am Donnerstag konnten sich die versammelten Medienvertreter ein Bild vom Inneren des Ludwig-Erhard-Zentrums machen.

So können sich selbst noch so berühmte Journalisten täuschen - die spätere Zeit-Herausgeberin Marion Gräfin Dönhoff schrieb am 21. April 1948 über den damals heftigst umstrittenen Ludwig Erhard: "Wenn Deutschland nicht schon eh ruiniert wäre, dieser Mann mit seinem absurden Plan, alle Bewirtschaftungen in Deutschland aufzuheben, würde das ganz gewiss fertigbringen. Gott schütze uns davor, dass der einmal Wirtschaftsminister in Deutschland wird. Das wäre nach Hitler und der Zerstückelung Deutschlands die dritte Katastrophe."

Es kam bekanntlich ganz anders. Bekanntlich? Bei jüngeren Leuten ist dieser Ludwig Erhard nicht mehr wirklich bekannt - und auch nicht die von ihm nicht erfundene, sondern umgesetzte Soziale Marktwirtschaft. Die, und das wird im neuen Ludwig-Erhard-Zentrum (LEZ) in Fürth doch recht deutlich, zunächst weit mehr eine freie, zuerst auf den Markt und seine Selbstregulierungskräfte setzende Wirtschaft war.

Dieses LEZ hat in mehrfacher Hinsicht ein doppeltes Gesicht: Es ist zum einen ein höchst professionell gemachtes Zeitgeschichts-Museum. Da zeigt sich in vielen Hör- und auch Seh-Stationen, wie modern sich Vergangenes aufbereiten lässt - wenn die nötigen Mittel dafür vorhanden sind. Die waren in Fürth da, eingeworben von der Initiatorin des Hauses: Evi Kurz nutzte ihre Netzwerke zu Politik und Wirtschaft nach Kräften und schaffte es, für das LEZ Steuermittel von Bund, Land sowie der Stadt Fürth zu erhalten, dazu kamen noch rund zwei Millionen an Spenden aus der Wirtschaft. Macht insgesamt einen Aufwand von 18 Millionen Euro.

Die stecken, Stichwort doppeltes Gesicht, in zwei Bauten: einem umstrittenen Betonkomplex, der gegenüber dem aufwendig sanierten Geburtshaus von Ludwig Erhard errichtet wurde, und ebendiesem Altbau. Er zeigt in kleinen Räumen die Kindheit und Jugend des am 4. Februar 1897 geborenen Fürthers, eingebunden in die Zeitgeschichte. Die Zäsur ist 1945 - Erhards Weg in die Politik spielt sich im Neubau ab.

Was erfahren wir über den jungen Mann, dessen Eltern ein zunächst erfolgreiches Textilgeschäft im Erdgeschoss des Hauses führten (dort startet nun das "Café Luise", benannt nach Erhards Frau)? Viel von der deutschen Geschichte dieses in seiner ersten Hälfte so blutigen 20. Jahrhunderts lässt sich ablesen an seiner Vita: Der Erste Weltkrieg als Zäsur auch für die Familie Erhard: Bruder Max fiel, Ludwig wurde schwer verletzt, konnte daher das Geschäft der Eltern nicht übernehmen. Und musste während seines Studiums in Nürnberg dann dessen Konkurs anmelden, auch wegen der Hyperinflation der 1920er Jahre.

Das LEZ zeigt neben Erhards Stationen (mit vielen unbekannten Dokumenten und Fotos) stets auch die Wirtschafts- und Währungsgeschichte der Epoche, die der Fürther Komödiant Volker Heißmann in Videos kommentiert.

Buchstäblich "nicht unter den Teppich kehren" will das LEZ Erhards Rolle während des Nationalsozialismus: Das Parkett wölbt sich da nach oben und mündet in eine Ausstellungsvitrine. Erhard war kein Regimegegner, profitierte mit seinem Marktforschungsinstitut und als Berater von Aufträgen der gelenkten Wirtschaft, kooperierte mit NS-Größen, arrangierte sich. Aber es finden sich keine Belege, dass er deren Ideologie teilte: Ein Nazi, das legen viele Dokumente in zwei Räumen nahe, war er nicht.

Der Neubau zeigt dann, wie Erhard zum Politiker wurde: Im ersten Stock ist sein Weg vom höchst umstrittenen bayerischen Wirtschaftsminister bis hin zum ebenfalls höchst umstrittenen Bundeskanzler (1963 bis 1966) zu erleben - und natürlich die Jahre dazwischen, in denen er als "Vater des Wirtschaftswunders" zur Wahlkampf-Lokomotive Konrad Adenauers wurde.

Aber war es wirklich ein Wunder, dass die (west-)deutsche Wirtschaft damals zu einem langen Boom ansetzte? Auch Otmar Issing, Ex-Chefvolkswirt der Bundesbank und im Wissenschaftlichen Beirat des LEZ, spricht nicht von einem Wunder, sondern von richtig gestellten Weichen.

Im Neubau ist, parallel zu den Zeiten des Aufschwungs der Bundesrepublik, die ganz andere Entwicklung in der späteren DDR zu sehen: ein System-Wettbewerb, den Erhard klar gewann. Und wie war das nun mit seiner "Sozialen" Marktwirtschaft? Tja. Dazu zeigt die Ausstellung ein ausgestopftes Wiesel. Weil, so der markt-liberale Ökonom Friedrich August von Hayek, der Begriff "soziale Gerechtigkeit" so ein "Wiesel-Wort" sei: nicht greifbar, rasch entschlüpft und von vielen anders definiert.

Klar wird in der Schau: Erhard war eher ein Anhänger eines möglichst freien Marktes. Als Adenauer, sein ständiger Gegner, 1957 die (für den Haushalt teure, populäre) dynamische Rente einführte, war Erhard dagegen. Später warb er, mitten in den Wachstumsjahren, fürs "Maßhalten" - und wurde verspottet. Und als Kanzler versuchte er es dann doch auch selbst mit jenen Wahlgeschenken, die er zuvor als Markt-Anhänger ablehnte.

Die Macher des Erhard-Zentrums hätten schon gern, dass dessen Ideen heute wieder aufgegriffen würden. Das wird vor allem im zweiten Stock des LEZ ganz klar. Dort entwirft ein großer, sonst leerer "Zukunftsraum" an einer interaktiv bespielbaren Multimediawand die "Soziale Marktwirtschaft 2.0": Je drei konträre Statements zur Politikfeldern wie Digitalisierung oder Demografie sind zu hören, die Besucher können dann mit den Füßen mehrheitlich abstimmen, welcher Position sie zuneigen - am überzeugendsten klingt da dann meistens jene, die auch die mit dem freiesten Markt wäre.

An dieser Stelle erinnert das LEZ durchaus an jene von Unternehmern gesponserte "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", die mit Anzeigekampagnen für mehr Markt trommelt. Und auch im Katalog zur Ausstellung deutet deren Kurator Daniel Koerfer die politische Tonlage des LEZ nicht nur an, sondern wird ab und an durchaus polemisch: "Lautete in den 1970er Jahren seit Willy Brandt nicht das Motto der deutschen Wirtschafts- und Sozialpolitik in Wahrheit ,Wir wollen mehr Versorgungsstaat wagen‘?", schreibt der Historiker da zum Beispiel in Anspielung an Brandts "Mehr Demokratie wagen".

Was Erhard heute tun würde? Otmar Issing deutet es auf einer Pressekonferenz im Fürther Rathaus zusammen mit dem renommierten Wirtschaftshistoriker Harold James (Princeton) an: Nötig seien durchaus Regeln, auch in einem freien Markt, um Monopole zu verhindern, sagten beide mit Blick auf konkurrenzlose Internet-Giganten wie Amazon oder Facebook. Das LEZ will auch ein Ort für solche Debatten werden — man darf gespannt sein, wie weit es sich da auch für kritische Stimmen öffnet, die bisher dort kaum gehört wurden.

Raum genug ist auf jeden Fall vorhanden: Denn die eigentlichen historischen Exponate füllen nur eine (die erste) von vier Etagen des reichlich groß (manche Fürther sagen: übergroß) dimensionierten Neubaus. Im Erdgeschoss ist das Foyer untergebracht samt dem noch nicht fertigen Museumsshop, im zweiten der "Zukunftsraum" und ein Saal für Wechselausstellungen, die dritte Etage beherbergt einen Veranstaltungssaal, offen für Interessenten und mit spannenden, neuen Ausblicken auf die Stadtmitte.

Sehr viele neue Ausblicke auf Erhard und jede Menge spannend aufbereitete Geschichte: Das bietet das LEZ; man kann dort Stunden, wenn nicht Tage verbringen. Die politische Botschaft, die es vermitteln will, ist durchaus unüberhörbar. Schwerlich anders zu erwarten von einem Zentrum, das Erhard gewidmet ist.

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