Blinder Fußballer Marcel Heim zu Gast in Abenberg

20.6.2015, 09:37 Uhr
Blinder Fußballer Marcel Heim zu Gast in Abenberg

Dass Marcel Heim blind ist, merken viele junge Fußballerinnen und auch einige ihrer Eltern erst, als der junge Mann mit dem schwäbischen Zungenschlag das Wort ergreift: „Ich bin der Marcel, und ich bin blind.“

Einige der Mädels staunen. Denn zuvor hat Heim wie selbstverständlich mitgeholfen, den großen Sportplatz des SV Abenberg in eine kleine Arena umzufunktionieren. Er hat sich um die Dunkelbrillen gekümmert, an denen ein Kopfschutz befestigt ist, und um die besonderen Fußbälle, die aufgrund von Metallplättchen im Inneren rasselnde Geräusche von sich geben, sobald sie bewegt werden.

Wenn der Ball rasselt

Vorerst bleiben die Bälle noch hinter dem Tor. Die Mädels sollen sich zunächst einmal an die Brillen gewöhnen. Durch sie dringt kein Lichtstrahl. So fühlt es sich also an, blind zu sein.

Doch kann man so auch Fußball spielen? Man kann. Frau auch. Der Ball rasselt, sobald er im Spiel ist. Und hinter dem Tor und auf dem Spielfeld erleichtern die sehenden „Guides“ und „Buddys“ durch laute Zurufe den blinden Spielern die Orientierung. Wobei: Das hört sich alles wunderbar strukturiert an. Aber wenn der Ball erst einmal rollt, dann hat man selbst als Sehender Mühe, in dem Stimmengewirr den „Überblick“ zu bewahren.

Vier Blinde, drei Sehende

Blindenfußball kommt eigentlich aus Brasilien, in Deutschland wird der Sport noch nicht einmal seit zehn Jahren betrieben. Die vier Feldspieler jeder Mannschaft sind blind, der Torhüter logischerweise sehend. Zur Mannschaft gehören dann noch der „Guide“ hinter dem Tor und der „Buddy“ auf dem Spielfeld. Damit die Spieler nicht unkontrolliert zusammenrasseln, muss derjenige, der seinem Gegner den Ball abluchsen will und der schon in der Nähe ist, „voy, voy, voy“ rufen. Das ist spanisch und heißt „Ich komme“.

Marcel Heim und Philipp Wegmann sind ein gutes Team. Auch wenn sie im Ligaspielbetrieb nicht zusammen kicken. Beide engagieren sich für das Projekt „Neue Sporterfahrung“, das die Deutsche Telekom 2009 initiiert hat. Udo Tax, der Jugendleiter bei der SG SV Abenberg, hat sich dafür über den Bayerischen Fußballverband beworben, und so rollten die Experten in dieser Woche im Kleinbus mit Werbebanden, Bällen und Brillen an. Marcel Heim hat dafür Urlaub genommen.

Udo Tax ist begeistert. Er fotografiert, er filmt dieses „wichtige Stück Lebenserfahrung, das wir unseren Jugendlichen mit auf den Weg geben. Es geht darum, Unsicherheiten und Berührungsängste gegenüber Menschen mit Behinderungen abzubauen. Außerdem werden Werte wie Toleranz, Verständnis und Hilfsbereitschaft gestärkt.“

Mit 20 Augenlicht verloren

Marcel Heim und Philipp Wegmann, der an der Sporthochschule Köln studiert und im Stadion von Bayer Leverkusen bei Bundesligaspielen den Live-Kommentar für die Blinden und Sehbehinderten im Stadion spricht, sind an diesem Nachmittag nicht nur auf den Sport fokussiert. Nach der jeweils dreiviertelstündigen Trainingseinheit – nacheinander sind die U 11-, U 13-, U 15- und U 17-Juniorinnen an der Reihe – setzen sich noch einmal alle zusammen und Marcel Heim erzählt aus dem Alltag eines Menschen, der seit neun Jahren nichts mehr sieht.

Bis er 20 war, war er wie du und ich. Ein begeisterter Sportler und „Straßenfußballer“, wie der aus der Nähe von Göppingen stammende Schwabe berichtet. Dann verkümmerte sein Sehnerv. Eines morgens sah er einen schwarzen Punkt, der wurde jeden Tag größer. Nach sechs Monaten war er praktisch blind. Ein Gendefekt, an dem auch seine Großmutter und sein älterer Bruder leiden. Heute hat er noch eine Sehstärke von unter einem Prozent, nur an den äußersten Augenrändern kann er noch hell und dunkel unterscheiden.

Das Abschlussgespräch

Marcel Heim zeigt den Mädchen, wie er mit seinem (sprechenden) Smartphone umgeht und er erzählt von der Arbeit und von seinen Hobbys. Später erzählt er auch noch von seinem Traum: endlich wieder auf Skiern in den Bergen unterwegs zu sein. Der 29-Jährige gibt sich dabei so natürlich, dass vor allem bei den Jüngeren jede Hemmschwelle fällt. Und: Marcel Heim redet nicht lange um den heißen Brei herum. „Wie ist es eigentlich, blind zu sein“, fragt die elfjährige Rosalie beim Abschlussgespräch. „Ich habe es akzeptiert. Aber blind zu sein“, antwortet Marcel Heim, „ist natürlich scheiße“.

Bildergalerie von der Veranstaltung in Abenberg im Internet unter der Adresse www.nordbayern.de/schwabach

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