Asylstreit: Merkel will Einigung mit Seehofer teuer erkaufen

14.6.2018, 10:59 Uhr

Das Zitat von Max Weber ist zwar knapp 100 Jahre alt, aber es hilft immer noch am besten, um die Situation von Innenminister Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel zu verstehen: "Die Politik", so hat der Soziologe geschrieben, "bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich."

Horst Seehofers Problem ist: Er kann nicht mehr langsam, ihm läuft - auch ganz persönlich - die Zeit davon. Wenn die Bayern-Wahl für die CSU verlorengeht, dann droht auch seiner politischen Karriere, an die er sich mit aller Macht klammert, ein vorschnelles Ende.

Solche Drucksituation verleiten eben nicht zu politischem Handeln mit Augenmaß, sondern zu Verzweiflungstaten. Nichts anderes ist die Forderung, woanders registrierte Flüchtlinge gleich an der Grenze abzuweisen. Dazu braucht es Kontrollen an möglichst vielen Übergängen - auf Dauer unvereinbar nach dem EU-Recht. Das gilt auch für das gesamte Vorhaben; deutsches Recht erlaubt zwar ein Zurückschicken, die übergeordneten europäischen Regeln dagegen nicht. Mit anderen Worten: Seehofers Plan ist nicht gesetzeskonform.

Der Plan der Kanzlerin ist durchdachter

Da ist das Kompromissangebot der Kanzlerin wesentlich durchdachter: Sie will die Rücknahme durch bilaterale Abkommen, vor allem mit den Haupt-Einreisestaaten Italien und Griechenland, absichern. Das bedeutet im Klartext: Rom und Athen, die Hauptbetroffenen der Flüchtlingskrise, bekommen Geld, viel Geld aus Berlin, das sie in ihrer schwierigen finanziellen Situation wohl  nicht ablehnen können.

Das ist eine Idee, die offensichtlich aus der Not geboren wurde, aber trotzdem positive Aspekte hat. Denn durch das Dublin-Abkommen, nach dem Asyl im EU-Land der Einreise zu stellen ist, wurde die finanzielle und organisatorische Last vor allem auf diesen beiden Staaten abgeladen. Solidarität aus den anderen Ländern, sowohl organisatorisch als auch finanziell, haben sie nur in marginalem Ausmaß erhalten. Zahlungen und sonstige Hilfen aus Berlin würden diese Schieflage jedenfalls etwas mildern.

Merkels Zögern hat sie in eine Zwangslage gebracht

Wahr ist aber auch: Die Kanzlerin hätte solch eine Regelung schon seit langem anregen und einleiten können; die Flüchtlingskrise begann schließlich bereits vor drei Jahren. Ihr Zögern hat sie jetzt in eine Zwangslage gebracht; setzt sich Seehofer, vielleicht auch noch in einer Kampfabstimmung in der Unionsfraktion im Bundestag, gegen sie durch, wackeln sowohl Merkels Kanzlerschaft als auch die gesamte Koalition.

Das bedeutet: Zuviel Zeit wurde vertan, um das harte Brett Zuwanderung noch mit Leidenschaft und Augenmaß langsam bohren zu können. Die einzige Chance, um dieses Versäumnis zu kompensieren, um die persönliche Situation von Merkel und Seehofer zu stabilisieren, ist jetzt Geld, sehr viel Geld. Das ist das Gegenteil von guter Politk, jedenfalls im Weberschen Sinn.

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