Bürgerversicherung : Bitte ohne Schaum vorm Mund

30.11.2017, 13:38 Uhr
Auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) warnt vor einer Bürgerversicherung.

© Patrick Pleul/Archiv (dpa) Auch die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) warnt vor einer Bürgerversicherung.

Jedes Mal, wenn das Thema hochkocht, wird es sofort emotional. Auch, wenn sich Union und SPD auf Koalitionsverhandlungen verständigen sollten, werden sie sich über eine Bürgerversicherung in die Haare kriegen. Denn es ist nicht nur politisch ein harter Reformbrocken, sondern berührt auch die ideologischen Grenzen der Parteien. Eine Bürger-Krankenversicherung, das hieße, die gesetzliche Fürsorge auszubauen (was die SPD will) und den privaten Versicherungsmarkt einzuschränken (was CDU und CSU nicht wollen).

Dabei würde sich eine sachliche Debatte bei dem Thema lohnen. Nicht sachlich ist es zum Beispiel, ständig vor Zuständen wie in Großbritannien zu warnen, wie es Ärztefunktionäre tun. Es stimmt zwar, dass der staatliche Gesundheitsdienst NHS chronisch unterfinanziert und die Praxen und Kliniken chronisch überlastet sind.

Aber der NHS wird eben nicht über Versichertenbeiträge finanziert, wie in Deutschland, sondern komplett über Steuergelder. Der Fehler liegt also nicht darin, dass alle Bürger gleich versichert sind, sondern darin, dass die Politik das System kaputtgespart hat. Dagegen ist das deutsche gesetzliche System (zumindest derzeit noch) solide finanziert und bietet seinen Versicherten eine sehr gute Versorgung.

Zwei-Klassen-Medizin? Haben wir schon!

Auch das Argument, eine Bürgerversicherung wäre ein "Turbolader in die Zwei-Klassen-Medizin", weil sich Wohlhabende mehr Zusatzversicherungen leisten würden, ist ein schlechter Witz. Was haben wir denn heute? Sofern das System weiterhin vernünftig finanziert ist und der Leistungskatalog nicht schrumpft, würde eine "Versicherung für alle" die Zwei-Klassen-Medizin eher abmildern. Und: Finanziell wäre eine Bürgerversicherung sicherlich machbar.

Die entscheidenden Fragen sind also grundsätzlicher Natur:
Ist es gerecht, dass neben Beamten ausgerechnet die Gutverdiener sich dem Solidarsystem entziehen können? Ist es gerecht, dass gesetzlich Versicherte teilweise länger auf Arzttermine warten müssen und von einigen Spezialisten gar nicht behandelt werden? Ist es gerecht, dass privat Versicherte oft überversorgt sind, also teure Leistungen bekommen, die unnütz oder sogar riskant sind?

Natürlich nicht. Deswegen macht es Mut, dass Union und SPD sich bei dem Thema kompromissbereiter zeigen als jemals zuvor. Die Sozialdemokraten sind von ihrer Maximalposition abgerückt, das System in einem Schritt umbauen zu wollen - was tatsächlich komplett unrealistisch war. Und die CDU signalisiert, sie sei offen, eine Gleichbehandlung aller Versicherten voranzutreiben. Immerhin.

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