"Politik der Mitte"

FDP-Chef Lindner im Interview: "Werden es wie 2017 machen"

22.9.2021, 09:55 Uhr
FDP-Chef Lindner im Interview:

© Foto: Roland Fengler

Herr Lindner, warum hat die FDP keinen eigenen Kanzlerkandidaten ins Rennen geschickt? Sie hätten doch garantiert eine gute Figur abgegeben, wenn aus dem Triell ein Vierkampf geworden wäre?

Christian Lindner: Tatsächlich hätte ich während der Trielle gerne einige Beiträge geleistet. Das wichtige Thema der Bildung fand so gut wie nicht statt. Es wurden Milliardensummen verteilt, ohne dass gefragt wurde, wie unser Wohlstand in Zukunft überhaupt erwirtschaftet wird. Bei der Rente haben wir keine Zukunftskonzepte gehört, die für Enkel und Großeltern gleichermaßen gerecht wären. Aber wir als Freie Demokraten sind Realisten und deshalb treten wir als eine eigenständige Kraft an, ohne Anspruch auf das Kanzleramt zu erheben. Allerdings haben wir den Anspruch, im Land die Richtung der Veränderung zu beeinflussen, nämlich zur Mitte hin.

Also sind Sie offenbar bereit, Kanzlermacher zu werden. Die Chance dazu ist besser denn je...

Lindner: Wir wollen uns konstruktiv in der Sache einbringen. Ich sehe, dass CDU und CSU zu schwach sind oder zu schwach wären, um ohne starke FDP die teilweise sehr linken Anliegen der Grünen in einer neuen Regierung zurückzuweisen. Die CSU selbst war in der Vergangenheit ja in opportunistischer Weise bereit, alle möglichen linken Ideen zu übernehmen. Das ist ein Grund für die gegenwärtige Schwäche von CDU und CSU. Und auf der anderen Seite sehe ich, dass SPD und Grüne mit der Linkspartei flirten, die von 75 Prozent Spitzensteuersatz bis hin zu Enteignungen vieles im Programm hat, was den Aufschwung in Deutschland massiv bremsen würde. Mindestens genauso spannend wie das Rennen um Platz eins ist der Wettbewerb um Platz drei. Wir wollen möglichst nah an die Grünen heran. Der Abstand ist nach den letzten Umfragen nicht mehr allzu groß. Es besteht also die Chance, die Richtung zu beeinflussen und eine Politik der Mitte zu garantieren.

Heißt das, dass Sie dieses Mal auf jeden Fall mitregieren wollen, anders als 2017?

Lindner: Die Menschen können sicher sein, dass wir es wie 2017 machen. 2017 haben wir einen Links-Drift in Deutschland verhindert. Die CSU war bereit, selbst zum Beispiel in der Flüchtlingspolitik den Grünen nahezu die Richtlinienkompetenz zu übertragen. Dem konnten wir nicht zustimmen. Wir wollen regieren. Wir stehen aber nur für eine Regierung der Mitte zur Verfügung, die den Wert der Freiheit wieder achtet, die Respekt hat vor Eigentum und Leistung, die Steuererhöhungen ausschließt und an der Schuldenbremse festhält. Letzterer Punkt ist ja sogar mit Markus Söder schwer, der bekanntlich laut darüber nachgedacht hat, die Schuldenbremse verfassungsrechtlich zu prüfen, was ein schlechtes Signal nach Italien wäre.

Welche inhaltlichen Forderungen sind denn für Sie wirklich unverhandelbar?

Lindner: Die Leitplanken sind: keine höheren Steuern im Höchststeuerland Deutschland. Im Gegenteil müssen wir wechseln von einem Jahrzehnt der Belastung bei Steuern, Abgaben und Bürokratie in ein Jahrzehnt der Entlastung bei Steuern, Abgaben und Bürokratie. Zum anderen müssen wir wieder solide wirtschaften. Deshalb müssen wir an der Schuldenbremse festhalten. Wir haben eine enorme Verschuldung in Europa. Wir haben Inflationsrisiken und wir haben große Lasten auf den Schultern der jüngeren Generation. Warum denkt man nicht darüber nach, überflüssige Ausgaben zu streichen, um das Geld besser einzusetzen? Mein Vorschlag wäre zum Beispiel, dass die Automobilkonzerne, die wieder Milliardengewinne erzielen mit ihren Fahrzeugen, zukünftig nicht auch noch Milliardensubventionen für die Elektromobilität erhalten. Jedes Elektrofahrzeug, auch für gutverdienende Dienstwagenfahrer, wird auf Lebensdauer im Durchschnitt mit mehr 20.000 Euro subventioniert. Für die Schülerin im Schuljahr geben wir im Durchschnitt 8000 Euro aus. Ein Missverhältnis.

Es ist wahrscheinlich, dass die SPD stärkste Partei wird und den Kanzler stellen könnte. Sie könnten sich doch darauf einstellen, Olaf Scholz etwas anzubieten. Provozierend gefragt: Warum wäre es nicht auch für die FDP denkbar, dass Milliardäre Vermögenssteuer bezahlen?

Lindner: Wir sind bereits ein Land mit der höchsten Belastung. Man darf nicht verkennen, dass in 25 von 27 Staaten der Europäischen Union die Steuerbelastung geringer ist. Wenn man es übertreibt, würde in Deutschland kaum noch investiert werden. Wenn man es übertreibt, werden keine neuen Jobs geschaffen. Wenn man es übertreibt, dann kommen keine fleißigen Hände und klugen Köpfe neu nach Deutschland. Wenn man es übertreibt, gehen die klugen Köpfe und fleißigen Hände weg aus Deutschland. Eine Vermögenssteuer ist hoch bürokratisch bei der Erhebung. Bei uns wird bereits die Erreichung eines Vermögens durch höhere Steuern und Abgaben erschwert. Zusätzlich wird der Erwerb eines Vermögens etwa durch die Grunderwerbssteuer besteuert. Hierin liegt ein großer Unterschied zu Ländern, die eine Vermögenssteuer kennen. Vermögen wird bei uns bereits stark besteuert, nämlich auf dem Weg dahin beim Ertrag.

CDU und CSU plakatieren jetzt in der letzten Woche nochmal mal ganz heftig mit der Warnung vor einem "Linksrutsch". Wenn die FDP in einer "Ampel" mit SPD und Grünen mitregieren würde, sei das ein "verdünnter Linksrutsch", heißt es aus der Union. Wie sehen Sie das persönlich?

Lindner: Man muss das aus der Situation der Union heraus entschuldigen. Allerdings ist diese Warnung nicht frei von Ironie. Ich sagte ja eben, schon 2017 haben wir ja live beobachten können, dass CDU und CSU aus Gründen des Machterhalts den Grünen so gut wie alles zugestanden hätten. In Baden-Württemberg hat die CDU sich gerade in eine grün-schwarze Koalition geflüchtet und hat alles an Inhalten aufgegeben, in einer Weise, dass der dortige Chef der Polizeigewerkschaft aus der Union ausgetreten ist. Wir haben unter Beweis gestellt, dass Karrieren, Dienstwagen und Minister-Pensionen für uns weniger wichtig sind als Überzeugungen.

Wenn Sie mitregieren werden, dann wird es höchstwahrscheinlich mit den Grünen passieren müssen, in der einen Konstellation oder in der anderen. Wie geht das zusammen?

Lindner: Wir regieren mit den Grünen ja in Schleswig-Holstein, im Jamaika-Format beispielsweise. Das kann funktionieren. Aber richtig ist natürlich, dass die inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit der Union größer sind. Und in Nordrhein-Westfalen regieren wir mit Armin Laschet sehr erfolgreich und partnerschaftlich in einer schwarz-gelben Koalition. Ich sehe, dass die Grünen teilweise ähnliche Ziele haben wie wir, etwa im Klimaschutz. Wir wollen auch das Klima schützen. Die Unterschiede liegen dann eher in den Wegen, weil wir mehr Freude am Erfinden als am Verbieten haben. Wenn es darum geht, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren zu erreichen, damit vor der Küste Windparks entstehen, die direkt Wasserstoff produzieren - ja, da sind wir dabei. Wenn es darum geht, das Auto klimaneutral zu machen, dann sind wir dabei - solange es nicht auf das Verbot des Verbrennungsmotors hinausläuft, sondern eher auf die Ersetzung des fossilen Treibstoffs durch synthetische oder Wasserstoff-Optionen, an die BMW denkt, oder den Elektroantrieb.

Geht es ganz ohne Verbote?

Lindner: Der Rahmen wäre für mich, um beim Beispiel Auto zu bleiben, dass das Autofahren emissionsfrei werden muss. Aber auf welchem Weg die emissionsfreie Mobilität hergestellt wird, das würde ich gerne Ingenieurinnen und Technikern überlassen. Das scheint mir keine Frage zu sein, die geeignet ist, von studierten Politikwissenschaftlern wie mir beantwortet zu werden.

In Deutschland hat es Tradition, dass die stärkste Partei die Kanzlerschaft inne hat. Wird das diesmal auch so sein?

Lindner: Das ist nur die gefühlte Erinnerung. Seit 1949 ist es bei Bundes- und Landtagswahlen schon sehr oft dazu gekommen, dass die stärkste Partei nicht den Regierungschef gestellt hat. Das prominenteste Beispiel ist 1976. Helmut Schmidt wurde Kanzler, obwohl die SPD sechs Punkte hinter der Union lag, für die Helmut Kohl nahezu die absolute Mehrheit holte. Jetzt, wo nach aktuellen Umfragen etwa 75 Prozent die stärkste Partei nicht gewählt haben werden, entscheidet mehr denn je Inhalt über Koalitionen und nicht mehr wie früher Koalitionen über Inhalte.

Ist es für die FDP nicht ein gefundenes Fressen, von der Union auf der einen und von der SPD auf der anderen Seite umgarnt zu werden – und es wieder zu monatelangen Koalitionsverhandlungen kommt?

Lindner: Wenn wir eingeladen werden, sprechen wir natürlich. Am Ende entscheiden über Koalitionen die Inhalte. Und da muss ich sagen: Ich sehe die größeren Realisierungschancen in einer Jamaika-Koalition, die anders als 2017, vom Gedanken der Fairness für alle Beteiligten getragen ist.

Verwandte Themen


2 Kommentare