Herrmann als tragischer Held - Söder muss sich gedulden

5.12.2017, 10:45 Uhr
Herrmann als tragischer Held - Söder muss sich gedulden

© Foto: Amelie Geiger/dpa

Schon Friedrich Schiller, der große deutsche Literat, wusste, was den tragischen Helden auszeichnet: dass er die Pflicht über die Neigung, das Höhere über seine niederen Instinkte stelle. Insofern könnte Joachim Herrmann stolz auf das sein, was er dieser Tage leistet.  Doch das Tragische am tragischen Helden ist die Qual, die er erleiden muss.

Joachim Herrmann hatte im Verlauf dieser schwersten aller CSU-Krisen vieles vor Augen. Er ließ sich als Spitzenkandidat für Berlin requirieren, mit der Aussicht auf den Parteivorsitz als Lohn. Er ließ sich ins Gespräch bringen als Bundesinnenminister, ein Posten, den er vor ein paar Jahren noch abgelehnt hatte. Am Ende galt er vielen in der CSU wenigstens als derjenige, der den Lauf von Markus Söder an die Macht des Ministerpräsidenten noch stoppen könnte. Sie drängten ihn zu einer Kampfkandidatur gegen den Nürnberger.

Inzwischen ist klar: Seine Träume sind geplatzt. Herrmann hat als Spitzenkandidat aus CSU-Sicht die Bundestagswahl verloren; Parteichef bleibt Horst Seehofer; das mit dem Bundesinnenminister wird auch nichts, weil Seehofer selbst ins Kabinett gehen dürfte. Herrmann sagt, er habe lange mit sich gerungen, ob er gegen Söder antreten werde. Er sagt den Abgeordneten am Morgen kurz vor der Abstimmung, seine Entscheidung sei ihm nicht leichtgefallen. Aber er wolle "Brücken bauen und nicht Gräben aufreißen". Deshalb trete er nicht gegen den Nürnberger an.

Letzte Chance

In der Fraktion, vor allem im Söder-Lager, finden sie das überaus honorig. Ob Herrmann dem Nürnberger gefährlich hätte werden können, ist ungewiss. Geschadet hätte er ihm mit einer Gegenkandidatur ganz sicher. Es war Herrmanns letzte Chance für den Griff nach einem höchsten Amt, nach dem des Ministerpräsidenten. Er hat, ganz tragischer Held, verzichtet, um der Sache, der CSU willen.

So ist der Weg frei für Söder. Die Fraktion stimmt mangels Gegenkandidat nicht mehr geheim über ihn ab, sondern per Handheben. Niemand zählt, wie viele Hände unten bleiben, wie viele Abgeordnete nicht für, aber auch nicht gegen Söder votieren. Einstimmig, heißt es offiziell, habe die Fraktion ihn zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl gekürt. So einfach geht das manchmal in der CSU.


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Das ist eine der Stärken der CSU, dass ihre Vertreter noch nach schmutzigsten Schlachten die Sonne aufgehen lassen, als sei der Kanonendonner nur der Widerhall eines reinigenden Gewitters gewesen, als seien die Verletzten auf dem Schlachtfeld nur im Regen ausgerutscht.

Und so schüttelt sich die CSU und wendet den Blick nach vorne, während Markus Söder auf die große Bühne klettert, bereit für die Hauptrolle, auf die er so lange hingearbeitet hat, die mal so nah und mal so fern gewesen war.

Er hatte viele Rollen in seinem Leben, war Chef der Jungen Union und Generalsekretär der CSU, Europa-, Umwelt- und Finanzminister. Er hat den Krawallbruder perfekt gegeben als Generalsekretär, war Kämpfer für die Mainzel- und für das Sandmännchen, hat Ausgehverbote für Kinder unter 14 gefordert und Deutsch als Amtssprache in der Uno.

Er wollte Schwarzfahrer ins Internet stellen, das Schulgebet wieder einführen, – Dinge eben, die in der Aufgabenbeschreibung eines Generalsekretärs zumal der CSU stehen.

Manche sehen ihn bis heute in dieser Rolle verhaftet. Sie glauben, dass der Hang zur Rauferei bei ihm genetisch sei und Söder sich allenfalls fürs Publikum bremse. Dabei hat er sich im Laufe seines politischen Lebens oft gehäutet.

Er hat den Generalsekretär abgestreift, als ihn Günther Beckstein zum Europaminister ernannte, hat sich später tief in das Gesundheitswesen und die Umweltpolitik bis hin zur Energiewende eingearbeitet, als er ins Umweltministerium wechseln sollte, hat sich schließlich in die Aufgabe des Finanzministers gestürzt – so intensiv, dass Horst Seehofer ihn plötzlich gerade deswegen als seinen Nachfolger akzeptiert. "Die Begründung für Markus Söder", sagt Seehofer neuerdings, "ergibt sich aus seiner Arbeit."

War da was?

Es hat Zeiten gegeben, da hat Seehofer aus dem Charakter Söders abgeleitet, dass er eben dafür ganz und gar nicht geeignet sei. Es war die Zeit, in der er ihn als charakterschwach eingestuft, ihm Schmutzeleien unterstellt und behauptet hatte, Söder sei "von Ehrgeiz zerfressen". Ewig her, sagt Seehofer. "Das war bei einer Weihnachtsfeier, oder?" Natürlich weiß er das genau, fast auf den Tag liegt das nun fünf Jahre zurück.

Doch Seehofer ist Profi genug, dass er Dinge einfach wegdenken kann, wenn sie ihm unveränderlich erscheinen. Und dass er an Söder nicht mehr vorbeikommen kann, ist ihm dieser Tage klar geworden.

Es ist alles eine Frage der Perspektive. Seehofer beherrscht es meisterlich, dass er das Licht ein wenig verschiebt, den Spot ein klein wenig dreht, und schon sieht alles ganz anders aus.

"Das Werk ist getan", sagt er, ganz so, als sei er nicht Getriebener, sondern Agierender. Er habe "alles getan, um eine Konsenslösung herbeizuführen", sagt er. Das sei "ein großer Kraftakt mit viel Zeitaufwand" gewesen. Er sagt auch, dass es "vielfacher Wunsch in der Partei" gewesen sei, "dass ich noch mal für den Parteivorsitz kandidiere", damit er "in Berlin einen wichtigen Beitrag leisten" könne.

"Bin ein sehr freier Mensch"

Berlin. Auch so ein Thema. Er muss dort nichts mehr werden, findet Seehofer. "Was sich da weiter für mich ergibt, werden wir sehen. Ich bin ein sehr freier Mensch." Da sitzt einer, signalisiert Seehofer mit jeder Faser, der in seinem Leben alles erreicht hat, der in sich ruht, das Geschehen entspannt beobachtet, der alles im Griff hat.

Er sagt tatsächlich, er sei "überzeugt, dass wir mit dieser Formation die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit haben", gerade so, als habe er sie schon immer vor Augen gehabt. Und dass er "einen geordneten Übergang" gestaltet habe. "Und der ist nicht selbstverständlich in der Politik."

Herrmann als tragischer Held - Söder muss sich gedulden

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Geordnet, darüber gehen die Meinungen auseinander in der CSU. Zumal niemand weiß, wann Seehofer den Stab an Söder übergeben wird. Der Ingolstädter will zunächst in Berlin mit CDU und SPD über die Große Koalition verhandeln und, ein Wunder, Söder diesmal mitnehmen. Erst danach soll der in die Staatskanzlei einziehen dürfen.

Warum? "Unsere Kraft in Berlin ergibt sich schon auch aus dem Amt", sagt Seehofer. "Warum sollten wir uns dieser Kraft entledigen?" Worin diese Kraft bestehen soll bei einem, von dem alle wissen, dass er den Posten faktisch nicht mehr hat, Seehofer erklärt es nicht.

Die Zeit verrinnt

Und so muss Söder zusehen, wie sein Zeitfenster bis zur Wahl immer kleiner, wie Tag für Tag und Monat für Monat verschwinden wird, ohne dass er wirklich frei agieren und sein Profil entwickeln könnte, weil zu Hause alles liegen bleibt, solange der Alte in Berlin verhandelt, der Neue aber nicht zum Zug kommt, weil der Alte noch nicht geht. Keine einfache Zeit für Söder, der sich eingepuppt hat und darauf wartet, dass er als Schmetterling schlüpfen darf, endlich.

Bis dahin probt er wenigstens die staatstragende Pose. Er sagt, es gehe ihm nicht um die Karriere. "Ämter sind nur geliehen." Er sagt, er wolle "etwas verändern, bewegen", er wolle "für das Land das Beste" machen. Er sagt, er wolle "mit allen reden", er suche "das Miteinander aller Regionen, aller Personen. Der Erfolg ist eine Mannschaftsleistung." Er spricht von "Mut und Demut", von "Dankbarkeit", "Einsatz, Fleiß und neuem Miteinander".

Dankbarkeit. Es gibt so viele, denen er in den nächsten Wochen dankbar sein muss. Auch Joachim Herrmann gehört dazu. Er hat sich Söder nicht in den Weg geworfen, sondern, wie Seehofer das nennt, sich "hoch anständig" zurückgenommen.

Er ist, mal wieder, in der zweiten Reihe geblieben, obwohl ihn die erste so sehr gereizt hätte, sie ihm so nahe schien. Jetzt bleibt er Innenminister, wenn auch nur in Bayern. Ein tragischer Held. Doch vielleicht war sein Schritt der mutigste an diesem Tag.

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