Krieg und Frieden: Was sich aus 1918 und 1938 lernen lässt

10.11.2018, 12:20 Uhr

Es wimmelt nur so von historischen Daten und Gedenkfeiern in diesen Tagen. Und vor allem an dem einen Tag, dem deutschen Datum: dem 9. November. Da bündelt sich deutsche Geschichte in all ihren Facetten. 1848: Die Habsburger Reaktionäre erschießen den liberalen Bürgerrechtler Robert Blum. 1918: die deutsche Revolution. 1923: der gescheiterte Hitler-Putsch. 1938: die Pogromnacht. 1989: der Mauerfall.

Diesmal fällt der Blick vor allem auf 1918. Und auf 1938. Ein anderer Blick: Etliche Historiker und viele Redner, auch der Bundespräsident, widersprechen der bisher gängigen These, dass 1918 direkt zu 1933/1938 führte, dass die Katastrophe des Nationalsozialismus schon in der Entstehungsgeschichte der Weimarer Republik angelegt war.

Als die Monarchie implodierte

Nein: 1918 war zunächst einmal ein Sieg der Demokratie — und zwar zu Beginn in einer sehr friedlichen Form. Fast lautlos implodierte die deutsche Monarchie, fielen jahrhundertelange Herrschaftshäuser in sich zusammen, von den Wittelsbachern in München bis zu den Hohenzollern in Berlin und den Habsburgern in Wien.

"Es lebe die deutsche Republik", rief Philipp Scheidemann vor 100 Jahren. Was damals durchgesetzt wurde, baute die rudimentäre Demokratie des Kaiserreichs gewaltig aus: Frauenwahlrecht. Wahl einer Nationalversammlung mit dem Auftrag, eine Verfassung zu konstituieren. Acht-Stunden-Tag: Vieles davon prägt auch noch unsere Bundesrepublik. Und aus den durchaus vorhandenen Fehlern der sonst sehr fortschrittlichen Weimarer Verfassung haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes die richtigen Lehren gezogen, es sattelfester gemacht gegen mögliche totalitäre Anfechtungen.

Aber die sind nicht weg, sie sind gerade 2018 wieder da. Demokratien, das zeigt nun Brasilien (und zuvor auch Polen oder Ungarn) können auch Feinde der Demokratie an die Macht bringen, die Hand an den liberalen Rechtsstaat legen.

Neue Alarmzeichen

Und wir erleben neue Formen verbaler, teils körperlicher Gewalt und Ausgrenzung, nicht nur im Internet. Dass erneut "Menschen einer bestimmten Religion unter Generalverdacht" gestellt werden, wie nun Kanzlerin und Bundespräsident mit Blick auf Muslime kritisiert haben, dass zugleich der neue und alte Antisemitismus wächst: Das sind Alarmzeichen, die alle Freunde der Freiheit auf den Plan rufen sollten.

Denn das ist eine Lehre aus 1918 wie aus 1938: Die Anhänger der Demokratie dürfen nicht passiv bleiben. Dass Freiheit und Rechtsstaat alles andere als selbstverständlich sind, dass sie erkämpft werden müssen: Das wussten die Matrosen und Arbeiter 1918 sehr genau. Dass die Demokratie auch verteidigt werden muss, das merkten 1933/1938 viele erst, als es zu spät war.

2018 ist es nicht zu spät. Die deutsche Demokratie ist stabil und lebendig. Wir leben inzwischen 73 Jahre in Frieden — alles andere als selbstverständlich: Vor 100 Jahren waren Frankreich und Deutschland Erbfeinde. Erst die Lehren aus den Verheerungen der Kriege führten dazu, dass Nationalismen überwunden wurden und das Friedensprojekt Europa entstand.

Etwas anderes als jenen "Patriotismus mit leisen Tönen und gemischten Gefühlen", wie ihn nun der Bundespräsident anriet, kann es angesichts dieser Geschichte kaum geben. Gerade der 9. November legt uns Demut auf. Er ist aber auch ein Fest der Demokratie. Und zugleich ein Mahnmal ihres Untergangs. Er ist der deutsche Gedenktag.

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