Özils Rücktritt: Ein Totalschaden für die Integration

23.7.2018, 12:00 Uhr
Ein Foto, das für Diskussionsstoff sorgte: Mesut Özil (li.) und der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan.

© Uncredited/Pool Presdential Press Service/AP/dpa Ein Foto, das für Diskussionsstoff sorgte: Mesut Özil (li.) und der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan.

Die lange Sprachlosigkeit bei der DFB-Führung belegt es erneut: Selbst jetzt, zwei Monate nach diesen seltsamen Fotos zweier deutscher Nationalspieler mit dem türkischen Präsidenten Erdogan hat die Spitze des weltweit größten Sportverbandes noch immer keine Ahnung, wie sie mit diesem Fall umgehen soll. Allein das zeigt: Dieser Umgang ist nicht professionell, er ist völlig hilflos – und die Folgen sind ein Desaster, das weit über den Sport hinausreicht. Es ist ein Schaden für die Integration entstanden, den auch nachträgliche Reparaturmaßnahmen nicht mehr werden wettmachen können.

Natürlich steht am Anfang ein Fehler, den Mesut Özil und sein Mannschaftskollege Ilkay Gündogan zu vertreten haben. Von Sportlern muss man nicht verlangen, dass sie Politikexperten sind. Trotzdem konnten sie kaum übersehen, dass der türkische Präsident sie gezielt einspannen würde für den Wahlkampf vor der Parlaments- und Präsidentenwahl in der Türkei – und in Deutschland. Auch Emre Can lag eine Einladung zu dieser Benefizgala vor. Er schlug sie aus und ließ sich nicht für politische Zwecke missbrauchen.

Deutlich zu spät

Özils Stellungnahme kam deutlich zu spät – und sie lässt weiter viele Fragen offen. Gar nicht thematisiert werden zum Beispiel seine geschäftlichen Interessen in der Türkei, die wohl ein wichtiger Grund dafür sind, warum Özil die Nähe zur politischen Führung pflegt. Gebüßt dafür hat der Sportler auch selbst. Seine fußballerische Leistung wurde stark beeinträchtigt durch diese Nebengeräusche. Es wäre Unsinn zu sagen, nur wegen dieser Unruhe wäre das deutsche Team so schmachvoll als Letzter einer leichteren Vorrundengruppe ausgeschieden. Doch eine Belastung, auch für das gesamt Team, war es erkennbar allemal.


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Weit schlimmer als das sportliche Debakel ist die verheerende Wirkung auf die deutsch-türkische Integrationsdebatte. Özil, Gündogan und Can waren Vorbilder. Sie inspirierten zahllose Menschen, vor allem Jugendliche. Sie leisteten einen wichtigen Beitrag dazu, dass türkisch-stämmige Jugendliche bei zurückliegenden Weltmeisterschaften die deutsche Flagge auf ihre Wangen malten.

Durch sein langes Schweigen mag Özil mit dazu beigetragen haben, dass sich alle möglichen Dummköpfe aufgefordert sahen, rassistische Kommentare abzulassen. Dass es dieses Ausmaß erreichen konnte und sich so lange hinzog, das aber hat die DFB-Führung zu verantworten. Sowohl Verbandschef Reinhard Grindel wie Teammanager Oliver Bierhoff hielten es für angebracht, Schuld auf Özil abzuladen, ohne auch nur mit ihm zu kommunizieren. Gerade so, als hätten sie seine Mobilnummer nicht und keine Möglichkeit, mit dem im Urlaub Weilenden direkt Kontakt aufzunehmen. Hilflos sahen sie dabei zu, wie sich ein Schwall an rassistischen Beleidigungen über zwei Nationalspieler ergoss. Die ersten Rücktrittsforderungen an die DFB-Spitze sind schon geäußert worden, und es gibt wenige Gründe, die dem widersprechen würden.

Doch zweierlei Maßstäbe?

Özil fragt sich zurecht, warum aus der Führungsetage des DFB niemand Anstoß daran nahm, dass Ehrenspielführer Lothar Matthäus sich während der WM für Fotos mit Kremlchef Wladimir Putin hergab. Die Fälle sind zwar nicht ganz gleich, aber wird da nicht wirklich mit zweierlei Maßstab gemessen?

Mesut Özil und Ilkay Gündogan ließen sich kurz vor der WM-Nominierung mit dem türkischen Staatschef Erdogan ablichten.

Mesut Özil und Ilkay Gündogan ließen sich kurz vor der WM-Nominierung mit dem türkischen Staatschef Erdogan ablichten. © Uncredited/dpa

Özil legt mit seiner Rücktrittserklärung an einer anderen Stelle den Finger ganz tief in eine immer noch offene Wunde. Nicht nur haben er und seine Betreuer alte, nicht sehr integrationsfreundliche Zitate von DFB-Boss Grindel ausgegraben. Der Fußballer fragt ganz zurecht, warum er und andere Spieler stets als Deutsch-Türken bezeichnet werden, während Miroslav Klose und Lukas Podolski, die polnische Wurzeln haben, nie Deutsch-Polen genannt wurden. Sami Khedira, der auch die tunesische Staatsbürgerschaft, wurde nie als Deutsch-Tunesier bezeichnet. Es ist durchaus eine schwierige Frage, die die deutsche Gesellschaft beantworten muss.

Das Schlamassel, das nun entstanden ist, wirft die deutsch-türkische Integration möglicherweise noch hinter den Stand zurück, den sie vor der Aufnahme von Özil ins Nationalteam erreicht hatte. Irgendwer im DFB wird darauf reagieren müssen. Die alte Führung wird das kaum überzeugend leisten können. Und auch für die Politik tut sich hier eine Aufgabe auf. Eigentlich wäre das eine Kernzuständigkeit auch eines Bundesinnenministers. Dass der derzeitige Amtsinhaber diese Rolle ausfüllen könnte, wird niemand glauben.

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