Peter Steudtner ist frei, doch geklärt ist nichts

26.10.2017, 11:40 Uhr
Peter Steudtner ist frei, doch geklärt ist nichts

© Emrah Gurel (dpa)

Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan legt stets allergrößten Wert darauf, dass die Justiz des Landes völlig frei sei und keineswegs politische Urteile fälle. Mehr noch. "Sie müssen wissen, dass unsere Justiz unabhängiger ist als ihre", belehrte er deutsche Interviewer im Juli diesen Jahres, nachdem gleich mehrere deutsche Staatsbürger in der Türkei in Untersuchungshaft gesteckt worden waren, unter ihnen der Welt-Korrespondent Deniz Yücel, die Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu und eben der Menschenrechtler Peter Steudtner. Doch davon kann keine Rede sein.

Auch die Freilassung Steudtners und neun weiterer Mitangeklagter in dem Istanbuler Prozess belegt keineswegs die Unabhängigkeit der türkischen Justiz. Eher im Gegenteil. Die Angeklagten wurden nicht freigesprochen, sie wurden nur vorläufig freigelassen. Der Prozess geht weiter. Das ist genauso absurd, wie es der Vorwurf der Planung eines angeblichen Umsturzes ist, der den Menschenrechtlern gemacht wurde.

Und wenn denn alles so rechtlich korrekt wäre, wieso werden die europäischen Angeklagten ohne Auflagen freigelassen, die türkischen Mitangeklagten aber nicht? Steudtner oder sein schwedischer Kollege Ali Gharavi waren frei, das Land sofort zu verlassen, die Türken nicht.

Politischer Konfliktfall entsorgt

Ganz offenkundig wurde hier nur ein politischer Konfliktfall kurzerhand entsorgt, der zu einer schweren Belastung im Verhältnis zu Deutschland und zur EU geworden war. Mit rechtsstaatlichem Vorgehen hat das nichts zu tun.

Es ist in all diesen Fällen nicht zu übersehen, dass diejenigen Inhaftierten, die zwar einen deutschen Pass, aber auch türkische Wurzeln haben, nicht auf dem Gefängnis freikommen, unter ihnen Deniz Yücel und Mesale Tolu.

Erdogan ist mit der Justiz seines Landes genauso verfahren, wie es beschämenderweise auch einige EU-Staaten vorgemacht haben: Ungarn und Polen. Auch dort wurde die Besetzung von Richterämtern, darunter vor allem die der Verfassungsrichter, unter politische Kontrolle gestellt. Eine der tragenden Säulen eines Rechtsstaats ist damit zerstört.

Erst vor wenigen Tagen haben zwei nach Deutschland geflohene Richter öffentlich gemacht, wie sehr ihre türkischen Kollegen unter der Knute Erdogan stehen. Der Präsident höchstselbst hatte übrigens verkündet, dass der Welt-Korrespondent Yücel nicht ausgeliefert werde, solange er im Amt sei. Nichts zeigt besser, dass von einer Unabhängigkeit der Justiz in der heutigen Türkei keine Rede sein kann.

Steudtner ist frei. Auch wenn ein späteres Urteil ihn schuldig sprechen sollte, wäre er in Deutschland in Sicherheit. Doch noch sitzen andere deutsche und europäische Staatsbürger wegen hanebüchener Vorwürfe in türkischen Gefängnissen – von den türkischen Bürgern ganz zu schweigen. Die Freude über jeden einzelnen Freigelassenen ist groß. Ein Übergang zur Tagesordnung ist jedoch weiter nicht möglich, solange die anderen in Haft bleiben.

Und, nicht zu vergessen, auch die Gleichschaltung der Justiz in Ungarn und Polen muss rückgängig gemacht werden. Die Türkei ist nicht Mitglied der EU. Wer jetzt über Ankara und Erdogan wettert, darf auch diesen anhaltenden Skandal mitten in Europa nicht zu den Akten legen.

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