Terror in Berlin: Was im Umgang mit Opfern falsch läuft

19.12.2017, 14:25 Uhr
Nach dem Anschlag: Trauer und Verzweiflung bei den Angehörigen und Überlebenden. Ein Jahr danach findet die Gedenkfeier in Berlin statt.

© REUTERS / Fabrizio Bensch Nach dem Anschlag: Trauer und Verzweiflung bei den Angehörigen und Überlebenden. Ein Jahr danach findet die Gedenkfeier in Berlin statt.

Es hätte jeden von uns treffen können. Uns selbst, unsere Verwandten, unsere Freunde. Wenn wir nach Erklärungen suchen, warum uns dieser Tage auf Weihnachtsmärkten ein seltsames Gefühl beschleicht – und sei es auch nur für einen kurzen Moment –, dann gelangen wir früher oder später zu diesem Gedanken. Es ist ja das Perfide am Terrorismus, dass er durch die Sinn- und Wahllosigkeit, mit der er seine Opfer auswählt und tötet, gleichzeitig uns alle trifft, uns eben dieses Gefühl einpflanzt: dass die Toten und Verwundeten auch wir hätten sein können.

 Zwölf Menschen verloren beim Anschlag am Berliner Breitscheidplatz vor genau einem Jahr ihr Leben. Noch viel mehr Menschen verloren einen geliebten Angehörigen. Nun sollte sich niemand anmaßen, von außen schildern zu wollen, wie sich diese Menschen fühlen. Die Hinterbliebenen können nur für sich selbst sprechen. Erahnen mag man allenfalls – und das spricht auch aus ihrem offenen Brief von Anfang Dezember – ein Gefühl der Unerträglichkeit. Darüber, dass das Leben in Deutschland nach dem 19. Dezember 2016 einfach weiterging, dass es nicht anhielt. Wo doch ihr eigenes Leben plötzlich und unwiderruflich aus den Fugen geraten war.

Erst spät Empathie gezeigt

Schmerz und Ohnmacht sprechen aus dem Schreiben der Hinterbliebenen, aber auch: Wut. Warum konnte ein längst als brandgefährlich identifizierter Mann nicht an dem Anschlag gehindert werden? Welchen Anteil hat die Politik daran, dass die Sicherheitsbehörden keinen Überblick mehr haben, wer sich im Land befindet? Das sind Fragen, deren Beantwortung Zeit und Recherche braucht.

 Den Hinterbliebenen zu kondolieren, hätte dagegen nur etwas Empathie bedurft. Dass Kanzlerin Angela Merkel diese erst gestern, zwölf Monate nach dem Anschlag aufbrachte, ist selbst für Außenstehende höchst befremdlich. Zumal es hier um mehr als eine bloße Stilfrage geht. Ein Kondolenzschreiben, ein viel früheres persönliches Gespräch wäre einem Moment des Innehaltens gleichgekommen, den viele Angehörige einfordern, wäre ein symbolisches Zeichen dafür gewesen, dass eben doch nicht alles unbeirrt weitergeht wie bisher.

Den Täter? Kennt jetzt jeder

Angehörige finanziell zu entschädigen, ihnen psychotherapeutische Hilfe bei der Bewältigung ihres Verlusts zur Seite zu stellen – auch das gehört zu einem angemessenen Umgang eines Gemeinwesens mit den Hinterbliebenen einer Katastrophe wie der auf dem Breitscheidplatz. Dafür muss die Politik endlich sorgen, wenn sie schon unmöglich den Angehörigen ihren Schmerz nehmen kann.

Ein angemessenes Verhalten, das können die Angehörigen nach Anschlägen aber ebenso von den Medien verlangen, können Zurückhaltung einfordern, wenn sie eine Zeit des Trauerns benötigen, ebenso aber Offenheit, wenn sie bereit sind, ihre Geschichten zu erzählen und die derer, die sie verloren haben.

 Auch unsere Redaktion ringt um ihre Berichterstattung nach Anschlägen: Wie stillen wir das berechtigte Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Information über die Person des Täters, ohne diesem die ersehnte öffentliche (Märtyrer-)Bühne zu bieten? Ist nicht überhaupt zu viel vom Täter und zu wenig von den Opfern die Rede?

 Die zwölf Monate, die seit dem Berliner Anschlag vergangen sind, zeigen, dass sich unsere Gesellschaft noch immer schwertut, einen würdigen Umgang mit den Opfern des Terrorismus zu finden. Łukasz Urban, Sebastian Berlin, Klaus Jacob, Dorit Krebs, Angelika Klösters, Dalia Elyakim, Fabrizia Di Lorenzo, Christoph Herrlich, Nada Cižmár, Peter Völker, Anna Bagratuni und Georgiy Bagratuni heißen die Toten von Berlin. Dass ihre Namen kaum jemand kennt, den ihres Mörders aber ein jeder, zeigt, dass noch immer vieles falsch läuft.

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