Verübte der NSU noch einen Anschlag in Nürnberg?

14.6.2013, 07:00 Uhr
Verübte der NSU noch einen Anschlag in Nürnberg?

© Harald Sippel

Gut 14 Jahre später sind diese Ermittlungsunterlagen plötzlich von riesigem Interesse. Am Mittwoch wurden sie vom LKA in Nürnberg abgeholt und zur Bundesanwaltschaft gebracht. Die damals sichergestellten Tatort-Spuren und die Aussagen des Opfers haben neue Brisanz. Denn es geht um die Explosion einer Rohrbombe in einer türkischen Gaststätte in der Nürnberger Südstadt — wahrscheinlich ein weiterer, bislang nicht als sol cher erkannter Anschlag des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU).

Damals, am 23. Juni 1999, explodierte in der Männertoilette der Pilsbar „Sunshine“ in der Scheurlstraße ein selbst gebastelter Sprengsatz. Das Material steckte im Korpus einer Taschenlampe, die auf der Toilette hinter einem Papierkorb deponiert war. Ein junger Mann, der als Putzhilfe in der Gaststätte arbeitete, versuchte die vermeintliche Stableuchte anzuknipsen — und löste den Zünder aus.

„Er hatte unwahrscheinliches Glück“, sagte damals ein Sprecher des Landeskriminalamts, das bei Explosionen routinemäßig die Ermittlungen übernimmt. Der 18-Jährige wurde zwar am Oberkörper, im Gesicht und an den Armen verletzt. Doch nach einer kurzen Behandlung konnte er die Klinik wieder verlassen.

„Ich habe Pech“

Die Gaststätte gibt es bis heute. Sie heißt mittlerweile eingedeutscht „Sonnenschein“. Ein Name, der immer noch nicht passen will. Es ist ziemlich schummrig drinnen, Plastikefeu umrankt den Tresen. Spielautomaten stehen in einer Nische. Draußen rumpelt die Straßenbahn vorbei. Die Luft ist abgestanden. Die Pächter haben immer wieder gewechselt. Es sieht so aus, als wären hier schon lange keine Gäste mehr gewesen. Dafür drängen sich jetzt Journalisten in den Raum.

Verübte der NSU noch einen Anschlag in Nürnberg?

© Daut

Eigentlich habe er den Laden längst eröffnen wollen, sagt Kemal S., der neue Wirt. Eine Cocktailbar schwebt ihm vor. „Aber ich habe Pech hier. Irgendetwas stimmt nicht mit dem Laden“, sagt der aus Syrien stammende Mann. Dass hier einmal eine Bombe hochgegangen sei, habe er einen Tag vorher von einem alten Mann erfahren, erzählt er. Nicht einmal die Eigentümerin der Gaststätte wusste davon. „Ich habe nie etwas davon gehört, sonst würde ich mich daran erinnern“, sagt die Frau am Telefon.

Der Hinweis, dass die Zwickauer Zelle womöglich auch in Nürnberg einen Sprengstoffanschlag begangen hat, kam von Carsten S. Er sitzt neben Beate Zschäpe auf der Anklagebank im NSU-Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht. Er sagte aus, dass ihm Uwe Böhnhardt erzählt habe, dass dieser mit Uwe Mundlos „in einem Laden in Nürnberg eine Taschenlampe hingestellt“ habe.

Die Bundesanwaltschaft wurde davon kalt erwischt. Der Nürnberger Fall werde geprüft, sagt Sprecher Marcus Köhler. Wenn sich herausstellen sollte, dass er tatsächlich vom NSU begangen worden sein könnte, wird er in das Verfahren aufgenommen.

Nach dem Auffliegen der Terrorzelle hatte die Bundesanwaltschaft die Generalstaatsanwälte der Republik aufgefordert, alle ungeklärten Fälle vorzulegen, die irgendwie ins NSU-Raster passen könnten: also ungelöste Morde, Raube, Sprengstoffanschläge.

SPD verlangt Bericht

So wie es bislang aussieht, gehörte der Sprengstoffanschlag in der Nürnberger Pilsbar nicht zu den Delikten, die überhaupt überprüft worden sind. Bislang hat keine der beteiligten Behörden eine überzeugende Erklärung dafür. Eine weitere Ermittlungspanne? Der bayerische SPD-Politiker Franz Schindler fordert einen Bericht der Staatsregierung im Innenausschuss des Landtags.

Drei Menschen hat der NSU in Nürnberg auf dem Gewissen, jetzt kommt womöglich ein Anschlag dazu. Damit rückt Nürnberg ein weiteres Mal in den Brennpunkt. Dass Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in die Region Kontakt hatten, ist belegt.

Beide sollen Mitte der 90er Jahre die Nürnberger Gaststätte „Tiroler Höhe“, damals ein weithin bekannter Treffpunkt von Rechtsradikalen, besucht haben. Außerdem tauchen beide Namen auf einer im Jahr 1996 von der Nürnberger Polizei erstellten Liste mit Mitgliedern des rechtsextremen Lagers auf. Umgekehrt finden sich Rufnummern aus der hiesigen Neonazi-Szene auf einer Mundlos zugeordneten Telefonliste.

Bis 1998 lebte außerdem ein Mann in Nürnberg, mit dem Beate Zschäpe befreundet gewesen sein soll. Dieser Mann ist kein anderer als Ralf Wohllebens Schwager. Wohlleben wiederum steht wie Zschäpe vor Gericht. Der Vorwurf: Beihilfe zum Mord.

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