Erlanger Medienexperte über den Busfahrer Sven Latteyer

27.8.2015, 06:00 Uhr
Erlanger Medienexperte über den Busfahrer Sven Latteyer

© Foto: Reuters

Thomas Nachreiner, der am Erlanger Institut für Theater- und Medienwissenschaft für die sozialen Netzwerke zuständig ist, hat das  Phänomen Sven Latteyer auch wissenschaftlich unter die Lupe genommen.

Herr Nachreiner, ein Busfahrer, ein Mann aus dem Volk, macht etwas Ungewöhnliches. Ist das für Facebook ein gefundenes Fressen?

Thomas Nachreiner: Sicher, der Fall wurde ja zunächst auch von einer Augenzeugin auf Facebook gepostet. Wenn man sich anschaut, welche Beiträge dort Erfolg haben, ist man sehr schnell bei der Kategorie des Emotionalen. Es braucht Gefühle, wenn etwas auf Facebook größer werden soll.

Doch die Begeisterung schlägt gerade im Fall Latteyer bei Facebook ins Gegenteil um. Woher kommt das rasante Auf und Ab?

Nachreiner: Es handelt sich um ein Medienereignis, das eine gewisse Masse erreicht. Und da wird das ganze Spektrum ausgeschöpft: von den positiven Reaktionen auf das Ereignis bis hin zur Analyse. Man sieht Latteyers Like von vor zwei Jahren für eine Seite, die sich zum Deutschtum bekennt und in diesem Kontext immer wieder mehr oder weniger populistische Äußerungen teilt. Das führt zu einer zweiten emotionalen Reaktion. Latteyers Willkommensgruß wird in Frage gestellt und gemutmaßt, ob er nicht nur eine scheinheilige Geste war. Und diese Empörung geht ebenfalls wieder sehr schnell.

Ist sich jedes Facebook-Mitglied bewusst, dass seine Einträge bleiben?

Erlanger Medienexperte über den Busfahrer Sven Latteyer

© F.: privat

Nachreiner: Ich glaube, dass das viele prinzipiell eigentlich wissen, aber die Kommunikation auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken ist doch sehr stark dadurch geprägt, dass man sie als flüchtig wahrnimmt, so ähnlich wie Stammtisch-Gerede. Viele sehen Posts und Statements tendenziell nicht als schriftliche, sondern als mündliche Alltagsäußerungen: Man sitzt zu Hause vor dem PC oder hat das Smartphone in der Hand. Die Kommunikation dringt in die Privatsphäre ein, was die Hemmschwelle senkt, sich zu äußern. Man hat das Gefühl, man spricht nur mit seinem eigenen Gerät, das man gut kennt — und die Sätze sind nicht öffentlich, was natürlich nicht stimmt.

Das Netz vergisst aber nichts,

Nachreiner: So kann man das ausdrücken. Zumindest ist das Netz ganz gut darin, immer wieder etwas nach oben zu spülen, selbst wenn es schon viele Jahre her ist. In dem Zusammenhang stehen Forderungen von Firmen und Privatpersonen nach dem Recht auf Vergessen gegenüber Google.

Verhält es sich bei den sozialen Netzwerken ähnlich?

Nachreiner: Ja, natürlich. Die Frage ist: Wenn man einen Post auf Facebook löscht, ist er dann tatsächlich überall weg? Auf den Datenbanken bleibt er ohnehin erst einmal bestehen. Wie öffentlich sichtbar ist das dann noch? Und: Wenn den Post früher einmal jemand gelesen hat, wo ist er dann noch gespeichert?

Verändert die gesunkene Hemmschwelle auch den Ton der Äußerungen auf Facebook?

Nachreiner: Die Kommentarspalten bei den Online-Zeitungen zeigen sehr stark, dass der Umgangston dort sehr rau und oft auch unterhalb der Gürtellinie ist. Auch hier gilt: Soziale Netzwerke funktionieren wie Maschinen der Affektverstärkung, die emotionale Reaktionen befördern und den verbalen Ausdruck radikalisieren. Es wird in den sozialen Netzwerken ja sogar honoriert, wenn man sich sehr extrem äußert, weil das im Zweifel wiederum Reaktionen nach sich zieht.

 

 

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