Bestsellerjagd auf Sitzsäcken

21.4.2012, 13:00 Uhr
Bestsellerjagd auf Sitzsäcken

© Horst Linke

Es ist, als wollten die zwei imposanten schwarzen Regale „Erstürmt uns!“ sagen, „Räumt uns aus!“ oder „Schmeißt endlich die Glotze aus dem Fenster!“ Die so plötzliche wie freundliche Offerte, völlig zwanglos mit einem Haufen Bücher in einem der rund 50 Sitzsäcke und Hängematten inmitten der Adenauer-Anlage zu versinken, lässt die Fürther zunächst zögern an diesem Freitagmittag.

Man ist geneigt, den Haken an der Sache zu suchen und zu finden. Kommt doch noch wer von irgendeinem Buchclub hinter der Spiegelsäule hervorgesprungen? Naht strenges Museumspersonal und schimpft, weil das Buchobjekt keinesfalls angerührt werden darf? Nein, die Sache hat keinen Haken, wirklich nicht. Alles darf angerührt werden. Zu beachten ist lediglich: Die Bücher schön wieder ins Regal stellen oder ungeklaut liegen lassen. Security passt nämlich auf, auch nachts.

Was wiederum in den Regalen steht, hat gleichermaßen Güte- und Frischesiegel. Teils noch in Zellophan verpackt, warten Neuerscheinungen der Frühjahrsproduktion der großen Verlage auf neugierige Lesefans. Wer Krimis aus skandinavischer Manufaktur vergöttert, kann herzhaft zulangen; neue, bereits blendend besprochene Romane wie Karl Ove Knausgards Familien-Psychogramm „Lieben“ sind darunter, Sachbücher wie Linda Maria Koldaus unfassbar detailreicher „Titanic“-Schmöker und Jon Caeyers’ neue Beethoven-Biografie, übliche Verdächtige wie Charlotte Link und Richard David Precht. „Vegetarisch kochen für jeden Tag“ lässt sich ebenso verschlingen wie „Guter Sex ohne Stress“. Ordnung gibt es bewusst keine, die Regale sind Lockstoff und Füllhorn zugleich.

„Wir wollen Menschen zum Buchlesen verführen“, sagt Sebastian Mettler, und: „Es geht uns um den ungezwungenen Zugang zum Buch.“ Würde ein Buchhändler wahrscheinlich auch sagen. Mettler aber, Kommunikationswissenschaftler aus Salzburg, hat aus der Lesewohnzimmer-Idee eine dicke Sache gemacht. „Stadtlesen“ heißt die von ihm vor vier Jahren gegründete Initiative, die seinerzeit in österreichischen Städten startete, inzwischen auch in Deutschland, Italien und der Schweiz ihre Runden dreht. 2012 sind 25 Städte auserwählt worden, Fürth macht den Auftakt, denn „Stadtlesen“ ist Open Air und deshalb ein (stets viertägiger) Spaß von Frühjahr bis Spätsommer. Alles ist gratis, frei zugänglich und steht allein im Dienst des Lesegenusses — das heißt, nicht ganz.

Fürth bewarb sich (wie sehr viele andere Städte auch) um das „Stadtlesen“-Gastspiel und wurde erhört, weil zuvor Dutzende Scouts in Mettlers Auftrag die Stadt durchkämmten; ein nicht völlig uneigennütziges Vorgehen namens Markt- oder Trendforschung. „Es muss irgendeine Affinität zur Literatur geben“, so Mettler über den Schritt vom Bewerber zum Erwählten. Ob es nun am Wassermann-Preis liegt oder an dem einen oder anderen talentierten Fürther Schriftsteller, nur Mettler weiß es.



Auf „viel Kommunikation“ hofft Kulturreferentin Elisabeth Reichert, die, bewaffnet mit dem Roman „Heißhunger“, „Stadtlesen“ und zugleich das gesamte, bis 29. April währende „Lesen!“-Festival eröffnete. Am Welttag des Buches übermorgen reiht sich in der Adenauer-Anlage eine Lesung an die nächste. Auf Stephan Bach, der kleine Kinder ab 15 (und um 16) Uhr mit „Der Schatz der Piraten“ entzückt, folgen Maja Kelz („Gott gebe mir Gelassenheit“, 15.30 Uhr), Marco Frohberger mit eigenen Texten (16.30 Uhr) sowie die „Fürther Freiheit“-Autoren Nicole Paskow (17 Uhr), Tobias Falberg (17.30 Uhr), Christine Wittmann (18 Uhr), Bernd Flessner (18.30 Uhr) und Petra Nacke (19 Uhr). Eine Hörbuchstation gibt es an allen Lesewohnzimmer-Tagen ebenfalls.

„Lesen!“ geht heute weiter mit den fränkischen Poetry Slam Meisterschaften (Kulturforum, Würzburger Straße 2, 20 Uhr) und morgen mit der Verleihung des Wassermann-Literaturpreises an Gerhard Roth (Stadttheater, 11 Uhr). In Wassermanns alter Wohnung (Blumenstraße 28) startet am Sonntag um 16 Uhr die Ausstellung „Unordnung und frühes Leid“ über die Fürther Kindheitsjahre des Schriftstellers. Kurator und Journalist Bernd Noack lädt um 22 Uhr zur Spätlesung.

Und jetzt? Ein Buch, aber rasch!

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