1. März 1965: Faschingszug war närrisch bunt

1.3.2015, 07:00 Uhr
1. März 1965: Faschingszug war närrisch bunt

© Gerardi

100 Fasenachtsgruppen und Festwagen aus allen Teilen Frankens bildeten den „Gaudiwurm“ 1965, der etwa 150 000 Nürnberger und Gäste aus der Umgebung angelockt hatte. Die frohgelaunten Zuschauer zwischen dem Messegelände und der Deutschherrnwiese wurden nicht enttäuscht: so viele Bonbons, so viel Konfetti, so viele Luftschlangen und Papierkugeln wurden noch an keinem Faschingssonntag von den Narren unter das Volk geworfen. An den Straßenrändern, am Hauptmarkt, am Hallplatz und am Kontumazgarten, den Brennpunkten der Fröhlichkeit, standen die interessierten Faschingsfreunde Kopf an Kopf. Sie schunkelten, sangen und tranken das Bier, das es gratis gab. Man ließ sich anfeuern und man feuerte an.

Ein Würstchenverkäufer bot seine heißen Spezialitäten – mit Konfetti an. Die begehrten Happen hatte der Mann vor dem Papierschnitzelregen nicht schützen können. Die Narren auf ihren fahrbaren und buntbemalten Schiffen hatten volle Salven dieser Papierstückchen auf die Zuschauer geworfen. Luftschlangen flogen nur so durch die Gegend und kleine, weiche Kügelchen trafen ihr Ziel. Für die jungen Zuschauer gab es zentnerweise Süßigkeiten. Die Cowboys, Kasperl, Schlotfegerlein, die Rotkäppchen und Zauberfeen bückten sich um die Wette und schnullten im Akkord.

1. März 1965: Faschingszug war närrisch bunt

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Ein Haufen Mist fuhr mit

Die Parodie auf die angebliche Nürnberger Faschingsmüdigkeit wurde von den erwartungsvollen und aufgelegten Menschen nicht ernst genommen. Da saßen ein paar müde Gestalten mit todernsten Gesicherten auf einem Wagen und machten keinerlei Anstalten, auch nur einmal zu lachen. „Das Ergebnis einer tiefenpsychologischen Untersuchung des Werbeseminars Nürnberg: die Nürnberger sind faschingstoll“, erklärte ein Plakat. Doch diese Nürnberger haben es den Spöttern gegeben. Es wurde gelacht, man hatte Spaß an den historischen Fasenachtsgruppen und den Festwagen, die zeitnahe oder lokale Ereignisse glossierten.

Ein Haufen Mist wurde da beispielsweise spazierengefahren: er stellte den – ausgefallenen – Faschingszug vom vergangenen Jahr dar. Aus tausend bunten Stofffleckchen zusammengesetzt waren die lustigen Anzüge der Flecklasmänner aus Leonhard oder aus Hilpoltstein. Obwohl sie grimmig anzuschauen waren, beschenkten sie die drängelnden Kinder immer wieder mit Süßigkeiten. Die Drudenauspeitscher aus Schopfloch dagegen schwangen ihre Besen und gaben schauerliche Laute von sich: ein alter Fasenachtsbrauch, um die bösen Wintergeister auszutreiben.

Bonbonregen ging hernieder

Mit kunstvoll geschnitzten Masken und lauten Schellen liefen die allemannischen Narrengruppen aus Stuttgart herum. Sie hüpften und rannten, blieben wieder stehen und drehten sich und schrien und riefen laute, unverständliche Worte. Der Organisator des Faschingszuges, Franz Grimme, hatte erklärt, die Stuttgarter protestierten mit ihrer Teilnahme am Nürnberger Faschingszug gegen das Verbot eines närrischen Treibens in ihrer Heimatstadt. Sie protestierten auf originelle Art.

1. März 1965: Faschingszug war närrisch bunt

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Das „Herbertla“ (jou werkli) saß im traditionellen großen Trichter und schleuderte Unmengen von Leckereien und Konfetti durch die Gegend. Die Leute riefen „Hisel, Hisel, Hisel“, der Humorist schrie „jou werkli“ und „Tri-Tra-Trichter“ und warf dann wieder Bonbons. Und so taten es alle Präsidenten und Abordnungen der Nürnberger Faschingsgesellschaften. Sie fuhren in riesigen Narrenschiffen daher, ließen ihre „Schlachtrufe“ wie Helau, Sellerie und Ahaa ertönen und schürten die Stimmung der Zuschauer gehörig an. Der Fachverband der Blumenbinderei gefiel durch seinen geschmückten Wagen, der über und über mit Blumen verziert war. Mitten in dieser Blütenpracht saß die „Rose“, die Blumenkönigin des Valentinballes. Sie beschenkte ihre Verehrer mit farbigen Blüten. Was davon auf der Straße liegen blieb, schnappten sich die Pferde und Ponys. „Wir brauchen das flüßige Brot“, behaupteten biertrinkende Gesellen eines Festwagens und prosteten den zustimmend Nickenden zu. Wer besonders eifrig nickte, erhielt gleich eine ganze Maß des edlen Gerstengetränkes. Für das „feste Brot“ traten lautstark die Bäckerbuben ein, die lustig herumsprangen und Brezeln verteilten. „A Maß, ja, aber Brezeln gleich zweimal ja“, riefen sie den Durstigen zu, die besonders zustimmend genickt hatten.

1. März 1965: Faschingszug war närrisch bunt

© Gerardi

Den Polizeibeamten, die für Ordnung sorgen mußten, erging es nicht gut. Auf sie ergoß sich ein reicher Konfettiregen. Und als sie sich dann davon freigemacht hatten, erblickten sie einen überlebensgroßen Wachtmeister, der gestreng nach unten blickte. „Der Führerscheinjäger“ war gekommen. Hinter ihm türmten sich Hunderte der begehrten Formulare auf und noch ein Stück weiter saßen und standen die armen Verkehrssünder angetan mit Sträflingskleidung. Zwischen Gitterstäben schauten sie traurig auf die lachenden Nürnberger. Die echten Polizisten parierten diesen Seitenhieb mit süßsauerem Lächeln.

Gute Laune überall

Mit Ahaa und Ohoo wurden die närrischen Tollitäten begrüßt: Prinz Oskar I. und die Lieblichkeit Mia II. Beide saßen mit ihrem Gefolge in einem großen überdachten Wagen, der sie vor neugierigen Blicken schützte. Mia II. winkte von ihrem Thron aus und der „Herrscher aller Narren“ grüßte fröhlich sein lustiges Volk, so daß man sie gelegentlich sogar sehen konnte. Die Stimmung beim Publikum war an allen Ecken und Enden des Zuges, in allen Kurven und Geraden gleich gut. Es gab Schmunzler und Schreier, Schunkler und Scharwänzler. „Wo ist er denn?“ riefen ungeduldige Gruppen im Chor, wenn der „Narrenwurm“ nicht zur ausgerechneten Zeit auftauchte, andere sangen vom treuen Husar, „Trink Brüderlein trink“ oder verfielen immer wieder in das nun schon alte „Humba-Täterä“.

Einen Einzug wie Gladiatoren erlebten die Narren auf dem Hauptmarkt. Als die ersten Spaßmacher auf dem Kopfsteinpflaster das „Eis fränkischer Jubelfähigkeit“ gebrochen hatten, zeigten die Narrenberger was in ihnen steckt: sie ließen sich auffordern, in „Ahaas“ auszubrechen und – brachen aus. Die Polizisten im seilverhangenen Zugkanal taten das nicht, weil solches keineswegs in der Dienstvorschrift steht.

Nur vereinzelt sah man Zaungäste mit einer „Nos´n“ im Gesicht, viele jedoch hatten sich zu einem bunten Hütchen auf dem dünnen Scheitel durchgerungen. Am originellsten kamen die Kinder daher, manche wie Schaufensterpuppen, andere echt karnevalistisch „verkleidet“. Filme über Filme gingen bei den Amateurphotographen „drauf“, die einen „Flecksmoh“, Glotzköpf oder Mäckies einfingen. Dazwischen schepperten Kuhglocken, heulten Autosirenen und hämmerte Blechmusik. Es war schon was lost.

Ein Kompliment: „Schee war´s“

Der Opa an der Fleischbrücke, offenbar ein Casanova von altem Schrot und Korn, der die jungen „Madla“ mit seinen Pfefferminzplätzchen bombardierte und daraufhin ebenso beschossen wurde, tauchte auch noch mal am Kontumazgarten, der letzten Kehre des Zuges, auf. Hier bekam er im Bonbonhagel erneut „Saures“. Über seinen Erfolg befragt, gab der 78jährige zur Antwort: „Ach, wissen´s, heut´ bin ich wieder jung geworden! Dös hat mir Spaß gemacht!“

Vom Spaßmachen ganz aufgelöst waren schließlich die Aktiven, als sie sich um 16.20 Uhr in der Deutschherrnstraße gegenseitig verabschiedeten. Die Kehlen waren heiser geschrien, auch die sächsischen Kehlen der „Dresdensia“, deren Präsident Schimpf immer wieder lautstark konstatiert hatte: „Kindersch, was anneres können mer ja nicht machen, mir singen widder: humba-humba-däderedä . . .!“

„Schee war´s“, das ist eines der höchsten Komplimente, zu denen der Franke fähig ist. Und als der Spuk vorüber war, gingen die Tausende „hamm“ und tranken ihren Kaffee – oder aber in eine Wirtschaft, in der würziger Rebensaft, ein Schoppen oder ein „Harter“ schmeckten. Heute geht’s – auch ohne Zug – erneut in die Vollen . . .

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