22. Januar 1965: Stadt arbeitet mit Elektronen

22.1.2015, 07:00 Uhr
22. Januar 1965: Stadt arbeitet mit Elektronen

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Verwaltungsrat Ernst Förster, der Leiter der Stadtkasse, und Amtmann Karl-Heinz Kratz vom Organisationsamt bekennen: „Es ist nicht so gelaufen, wie wir selbst wollten.“ Inzwischen entwachse jedoch die Anlage den Kinderschuhen, so daß Pannen der Vergangenheit angehören. Hinter der Tür mit dem grünen Schild „Notausstieg“ im Keller des Hauses Theresienstraße 1 liegt die Anlage mit vier Magnetbändern, mit der auf Anhieb so wichtige Dinge wie das Schreiben der Lohnsteuerkarten, das Suchen nach Wahlunterlagen oder nach Adressen der von der Bundeswehr gewünschten Jünglinge erledigt werden können.

Nürnberg betrat damit Neuland. Außer den Stadtstaaten besitzt keine andere deutsche Großstadt diese elektronische Ausrüstung. „Unsere alte Lochkartenanlage hätte erweitert werden müssen. Eine Erweiterung ist heute nicht mehr aktuell. Da stellt man auf Elektronik um“, rechtfertigt Karl-Heinz Kratz den geliehenen Maschinenpark, mit dem noch niemand Erfahrungen im kommunalen Einsatz gemacht hatte.

22. Januar 1965: Stadt arbeitet mit Elektronen

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Mit der Umstellung stellten sich die Erfahrungen ein. Zunächst aber gab es Schwierigkeiten. „Wir haben fürchterlichen Personalmangel. Da hilft die beste Maschine nicht, denn ihr muß ja erst ein Programm eingegeben werden“, klagt Ernst Förster und will damit sagen, daß nur mit verstärkten Personal das Programmfutter für die Datenverarbeitungsanlage bereitet werden kann. Dazu kam die Eile der Umstellung die dafür notwendige Umorganisation im Amtsbereich und ein gerütteltes Maß Mehrarbeit.

Zwei Beispiele: zusätzlich zu den bisherigen Aufgaben werden im Rechenzentrum 120 000 Abgabekonten der Nürnberger geführt und die gesamte Krankenhausabrechnung – samt Betriebskostenabrechnung und Statistik – bewältigt. Die Datenverarbeitungsanlage lief obendrein für außerplanmäßige Aufgaben: Pensionserhöhung, Weihnachtsgeld, höhere Kanalgebühren und Grundsteuer. Mit der Hand hätte die Rechnerei Monate beansprucht.

Durcheinander entstand . . .

Verwaltungsrat Ernst Förster bestreitet, daß das Personal „echte“ Überstunden leistet. Er gebraucht das Wort Schichtstunden. Schließlich muß die teure Maschine der Rentabilität wegen möglichst ausgelastet sein. Durcheinander entstand auch beim Zusammenlegen der Konten für alle „wiederkehrenden Einnahmen“, unter denen Steuern, Gebühren, Mieten und Pacht verstanden werden. Das Amt wollte damit dem Bürger den Weg von einer Buchhaltung zur anderen ersparen. Doch es hagelte Rückfragen.

Die Maschine ordnete die auf den einzelnen Konten unterschiedlich angegebenen Adressen nicht, so daß manche Nürnberger gleich mehrere Kassenzeichen zugewiesen bekamen. „Ein unheimlicher Wust, der mit der Hand erledigt werden mußte, erinnert sich der Hüter des städtischen Geldsäckels, der im übrigen eine Verspätung der Steuerbescheide durch die neue Datenverarbeitungsanlage zurückweist.

Einlaufzeit dauerte lange

Ernst Försters Erklärung „Der eine ist gemahnt worden, mancher ist nicht gemahnt worden“ charakterisiert die Situation wohl am besten. Zwar mußten die Männer an der Elektronik bei der Jahre nachhinkenden Gewerbesteuer-Abrechnung gar „historische Werte“ auf das Band nehmen, aber langsam normalisiert sich die Lage. Aus der zunächst angenommenen Einlaufzeit von vier bis fünf Monaten wurde inzwischen fast ein Jahr, denn die Anlage läuft seit dem 15. Februar 1964. Den Verwaltungsfachleuten dünken die lange Zeit und die Störungen bei der Neuland-Erkundung noch erträglich. Karl-Heinz Kratz freut sich schon: „Jetzt kommen die Feinheiten. Jetzt kommt die Vergoldungsperiode.“

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