24. Februar 1963: Maskottchen der Mimen und Musiker

24.2.2013, 06:30 Uhr
24. Februar 1963: Maskottchen der Mimen und Musiker

© Slevogt

 „Zum Auftritt fertigmachen!“ Die Stimme des Inspizienten ruft die Künstler auf die Bühne. In den Theatergarderoben wird schnell noch letzte Hand an die Kostüme und Masken gelegt. Alles ist einstudiert, nach einem erprobten, altbewährten Fahrplan. Angela Pschigode wirft noch einen letzten Blick auf das Photo ihres Sohnes Gabriel, das sie bei jeder Aufführung am Schminktisch aufstellt. Dies beruhigt ihre Nerven. Sofie Keeser sortiert die Maskottchen. Das Glücksschwein muß richtig stehen, mit dem Kopf zum Spiegel. Sonst bedeutet es Pech. Die Schauspielerin liebt Stofftierchen und teilt diese kleinen Sammelleidenschaft mit mancher Kollegin.

24. Februar 1963: Maskottchen der Mimen und Musiker

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Die Künstlerin lenkt sich damit etwas ab. Es entspannt. Dann geht es hinaus auf die Bretter. Ehe der Vorhang sich erhebt oder der erste Auftritt während einer Szene kommt, erleben die Schauspieler den schlimmsten Augenblick des Lampenfiebers, mehr oder weniger stark. Schon nach wenigen Worten leben sich die Akteure in die Handlung hinein. Maskottchen und Talisman sind vergessen. Es gilt nur noch die Rolle des Stückes, wie es der Spielplan vorschreibt. Eine ausgesprochen originelle Maskottchen-Sammlung schleppt Felicitas Ruhm in der Garderobe mit sich. Die nach Salzburg verpflichtete , früher dem Nürnberger Ensemble angehörende Künstlerin hat ein gutes Dutzend Frösche, vom kleinsten bis zum Riesentier in Stoff. Sie glaubt daran, daß diese stets mitgeschleppten Begleiter Glück bringen. Auch Herren haben ihre Maskottchen. Die meisten verstecken sie diskret. Es sind kleine Münzen, Wappen, Ringe, Schmuck. Manche haben auch gar nichts, außer der Angst, daß ihnen morgens auf dem Weg ins Theater eine schwarze Katze begegnet.

24. Februar 1963: Maskottchen der Mimen und Musiker

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Johannes Sendler, nach Maskottchen befragt, meint erstaunt: „Das ist doch etwas für die Damen. Nein, sowas habe ich nicht!“ Lebende Maskottchen erfreuen sich bei dem Nürnberger Theatervölckchen besonderer Beliebtheit. Bassist Thomans O'Leary mit seinen beiden Dobermännern, Tenor Cesare Curzi und Bariton Heinz Imdahl mit ihren Jagdhunden und nicht zuletzt Opernchef Erich Riede mit seinem Münsterländer Vorstehhund kommen ohne diese Tiere nicht mehr aus. Temperamentvoll und ungestümt ist die vierjährige Boxerhündin Atja. Das Tier ist der unzertrennliche Begleiter des 1. Kapellmeisters der Oper, Konrad Peter Mannert. Der Dirigent kommt, wenn er in seiner Garderobe wartet, schon gar nicht mehr dazu, über das Lampenfieber nachzudenken. Atja beschäftigt ihn mit ihrer Anhänglichkeit. „Ist das nicht der schönste Maskottchen, das man haben kann?“, fragt Mannert. Atja ist auch bei Gastspielen und auf allen Reisen mit von der Partie.

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Was dem einen seine Atja, ist dem anderen Bonso. Der melancholische Spaniel, dessen Vater aus der Sowjetzone und dessen Mutter aus London stammt, ist Talisman und Liebling der hochdramatischen Sängerin Hildegard Jonas. Pianissimo-Töne in Füller verschwendet die Sängerin an den treuen Vierbeiner. Hildegard Jonas hat aber auch noch andere Maskottchen. „Beim Theater muß man viel Glück haben und etwas können!“, meint die Sängerin. Ein Seehund und ein Schmuckring aus echtem Messing ergänzen Bonso. Was Lampenfieber heißt, wissen Jonas und ihr Gatte, der Tenor Adolf Richter, zu berichten. Freimütig erzählen sie aus ihrer Anfangszeit. Vor rund zwei Jahrzehnten, vielleicht auch schon etwas länger her, trat Jonas zum ersten Mal in Troppau auf, als Sieglinde in Wagners Walküre. Damals war die junge Sängerin so aufgeregt, da´sie sich nicht auf die Bühne wagen wollte. „Eigentlich kann uns nur ein Theaterbrand helfen!“, murmelte verzweifelt der Siegmund – Adolf Richter.

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Diese Hilfe blieb aus. Hildegard wurde mit Mühe und Not auf die Bühne gebracht. Der Einsatz kam aber nicht von ihren Lippen. Verzweifelt „ruderte“ der Dirigent. Bis sich die junge Künstlerin endlich gefangen hatte. So begann die Karriere. Später sind es die schönsten Erinnerungen. Wenn das Lampenfieber etwas nachgelassen hat. Bei Künstlerehepaaren ist es überhaupt ein schwieriges Problem. Sie haben noch mehr Lampenfieber wegen des Partners als für sich selbst. Barbara Wittkowski und Raimund Grumbach bestätigen es. Am besten ist es, wenn beide gemeinsam auf der Bühne zu tun habe. Wie in der Zauberflöte, Barbara als Pamina und Raimund als Papageno. Bei Premieren oder Wiederaufnahmen nach längerer Zeit gehört es dazu, daß man sich gegenseitig bespuckt. Man muß aber genau wissen, auf welche Schulter es der Künstler haben will. Laien sollten vorher immer fragen.

Sonst sind sie an jedem Mißgeschick der Aufführung schuld. Robert Licha, kürzlich als vermeintlicher Bankräuber in Brüssel festgenommen und eine der musikalisch meistgeschulten Stützen des Sängerensembles, ist ein Mann der Praxis. Er ist nicht abergläubisch. „Wenn ich aber sehe, daß ein Bursche mit dem Hut über die Bühne latscht, dort pfeift oder ißt, dann platzt mir der Kragen. Das geht gegen die Tradition am Theater. Das darf nicht sein!“, betont Robert Licha. Es sind elementare Grundregeln, die jeder Anfänger schnell lernt. Dafür sorgen schon die Kollegen. Manchmal handfest, wenn es einer gar nicht begreifen will. Maskottchen und Talisman ersetzen natürlich keine Komplimente. Sie braucht der Künstler am Theater mindestens so nötig wie das tägliche Brot. Wenn nach den Aufführungen die Autogrammjäger und vor allem Sammlerinnen warten, geben sich die Stars, Starlets und noch kleinere Lichter zwar den Anschein, als sei das Verteilen von Autogrammen oft eine zeitraubende, lästige Angelegenheit. Wehe aber, wenn keiner wartet.

Das kann die Stimmung des ganzen Abends verderben. „Sie müssen man die Kammersängerin in der Pause zu ihrem Erfolg in dieser Aufführung beglückwünschen“, fordert ein hämischer Zeitgenosse seinen Bekannten auf. Dieser, ein ahnungsloser Neuling im Umgang mit Theaterkünstlern, folgt dem Rat. Das Greenhorn verscherzt sich nicht nur das Wohlwollen der Primadona, sondern empfing noch eine schallende Ohrfeige. „Sie sind wohl wahnsinnig. Das bringt doch Unglück. Ich bin ja noch nicht fertig mit meiner Partie!“ schrie die erboste Sängerin. Und tatsächlich kiekste sie beim hohen C in der großen Arie. Schuld war der Gratulant. Wie könnte es anders sein. Maskottchen und ein bißchen Aberglaube gehören zu den Künstlern seit jeher wie die Schminke und der Applaus.

Aus den Nürnberger Nachrichten vom 24./25. Februar 1963

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