Familien-Festschmaus in modernen multioptionalen Zeiten

22.12.2014, 09:14 Uhr
Zu Weihnachten gibt's immer Gans? Das war mal.

© dpa Zu Weihnachten gibt's immer Gans? Das war mal.

Sie laden ihre Kinder, Schwiegerkinder, Nichten und Neffen ein – und sehen sich vor schier unlösbare Probleme gestellt. Der eine isst kein Fleisch mehr, der andere gar nichts mehr vom Tier. Der Nächste hat zehn Kilo abgenommen, weil er wie ein Höhlenmensch isst oder glaubt, sich üble Krankheiten einzufangen, wenn er noch irgendetwas Gekochtes zu sich nimmt. Sie sehen: Essen ist nicht mehr nur Essen, es ist zu einer Lebenseinstellung, gar zu einer Weltanschauung geworden. Wir geben Ihnen Tipps, wie Sie den Gänsebraten so abwandeln, dass Sie eine ganze Armada Ernährungsspezialisten zufriedenstellen. Und wie Sie die Gäste am Tisch am besten platzieren, damit es nicht zu Mord und Totschlag kommt. Am Allerwichtigsten: Schwören Sie alle Festmahl-Gäste darauf ein, ihre Essens-Philosophien pflegen zu dürfen, aber nicht zu missionieren. Und atmen Sie gut durch! Frohes Fest!

Der Vegetarier

Dieses Familienmitglied ist relativ pflegeleicht, was seine Essens-Sonderwünsche angeht. Lassen Sie die Gänsekeule weg, servieren stattdessen Kloß mit Soß und Blaukraut, dann passt das. Ist es ein „echter Vegetarier“, sollte eine vegetarische Soße zur Verfügung stehen, die gibt es im Biomarkt zuhauf, das macht keine große Arbeit. Das Essen gelingt auch sozial, wenn generell nicht am Vegetarier-Dasein rumgemeckert wird. Die meisten Vegetarier sind ganz brav und wollen einfach nur kein Fleisch essen (und keinen Fisch). Aber sie wollen aus einer Essenseinladung keine weltanschauliche Veranstaltung machen. Lassen Sie sie einfach ihr Gemüse essen.

Der Veganer

Da wird es schon komplizierter. Mit dem puren Weglassen von Fleisch oder Fisch ist es hier nicht getan. Der Veganer nimmt keinerlei tierische Produkte zu sich, also auch keine Milch, keine Eier, keine Butter. An sich braucht der Veganer ein eigenes Essen. Bieten Sie ihm Kraut an und machen noch ein, zwei Gemüsebeilagen (aber ohne Sahnesoße). Der Kloß darf nicht mit in Butter angebratenen Brotwürfeln gefüllt sein. Bitten Sie Ihren Gast, etwas Eigenes mitzubringen, das wird Ihnen kein Veganer anlasten. Lassen Sie sich auf keinerlei Diskussionen ein, denn viele Veganer möchten alle wissen lassen, dass sie nichts Tierisches essen – und warum.

Der Ernährungs-Philosoph

Darunter fallen Menschen, die zum TCM-Arzt gehen und sich auf einmal nur noch nach den fünf Elementen ernähren. Oder eine Ayurveda-Kur gemacht haben – und jetzt natürlich gemäß ihres Dosha-Typs essen. Sie können einen luftig-nervösen Vata-Typen mit Ihrem geschmorten Blaukraut glücklich machen, der schwerfällige Kapha-Typ isst es nur, wenn Chili drankommt. Ja, es kann seltsam werden. Lassen Sie Ihrem Spezial-Gast die Freiheit, seine ayurvedischen Gewürzdosen mitzubringen und alles zu bestreuen. Setzen Sie ihn neben den Veganer, die beiden können sich stundenlang darüber unterhalten, was sie alles nicht mehr essen.

Der Steinzeit-Mensch

Dieser Gast bringt eventuell seine gesamte Literatur zur Paleo-Diät mit: Er isst Ihre Gans, nicht aber den Kloß. Am besten auch keine Soße, aber Gans mit Blaukraut geht. Paleo-Diätiker ernähren sich so, wie sich angeblich Menschen vor hunderttausend Jahren ernährt haben: kein Brot, kein Zucker, keine Milchprodukte. Sie können sich das Servieren des Desserts also sparen. Sind der Paleo-Mensch und der Vegetarier ruhige Menschen, können Sie diese gegenübersetzen. Sie sind sich immerhin über die Folgen der Massentierhaltung einig. Wenn der Vegetarier sein Lebkuchen-Parfait schlemmt, wird der Paleo-Mensch in Schweigen verfallen.

Der Rohköstler

Sitzt auf jeden Fall sehr gut beim Veganer. Die beiden können sich über die schädlichen Auswirkungen aller möglicher Lebensmittel unterhalten. Außerdem eint sie, dass sie mit einem Stapel Tupperdosen anrücken. Dem Rohköstler können Sie entgegenkommen, indem Sie vom Blaukraut nach dem Hobeln eine Schüssel beiseitestellen – er mag es roh. Machen Sie noch einen anderen Salat, den der Veganer und der Rohköstler essen können, dann sind Sie schon zwei Gästen gegenüber höflich genug. Mit dem Paleo-Esser eint ihn, dass möglichst wenig Nahrung gekocht sein sollte. Sprechen Sie den Rohköstler nicht auf seinen Gewichtsverlust an.

Der Lebensmittel-Sensible

Dieser Gast hat meist eine Laktose-Intoleranz und eine Gluten-Unverträglichkeit. Unterbinden Sie jede Diskussion am Tisch, ob das nun echt oder eingebildet ist. Sie haben natürlich Soja-, Hafer- oder Mandelmilch für den Kaffee im Haus (auch für den Veganer und den Paleo-Esser wichtig), außerdem haben Sie Maisbrot im Biomarkt gekauft. Vermutlich hatten Sie nicht die Zeit, laktosefreie Plätzchen aus Buchweizenmehl zu backen. Bitten Sie den Gast, sein Dessert eventuell selber mitzubringen. Das kann der Veganer auch essen, sofern kein Ei drin ist. Ansonsten müsste Kloß mit veganer Soße und Blaukraut plus Salat passen.

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