Geboren in Namibia, in Nürnberg zu Hause

10.2.2021, 14:35 Uhr
Geboren in Namibia, in Nürnberg zu Hause

© Roland Fengler, NNZ

Als hierzulande in den 1970er Jahren immer mehr Menschen vor Supermärkten und Banken Mahnwachen hielten, um gegen die Ungerechtigkeit im Welthandel zu protestieren, und in kirchlichen Jugendorganisationen Flugblätter gedruckt wurden, um auf die Hungersnöte in Äthiopien und Somalia aufmerksam zu machen, entstand mit den "Dritte-Welt-Läden" eine neue Bewegung. In Fußgängerzonen wurde über Südafrikas Rassenpolitik diskutiert, im Bundestag forderte etwa der SPD-Politiker Hans-Jürgen Wischnewski ("Ben Wisch") die Einschränkung der wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu Südafrika.


Mitten in der Pandemie - eine gute Nachricht aus Südafrika!


Damals hatte Wolfgang Handt gerade den Abschluss als Wirtschaftsprüfer an der Universität von Kapstadt abgelegt und beschlossen, Afrika zu verlassen. In London setzte er ein Management-Studium darauf – und allein, dass er in dieser Stimmung des weltweiten Boykotts von Südafrika einen Studienplatz erhielt, lasse ihn bis heute rätseln, sagt er.

Er war auf einer Farm in Namibia aufgewachsen, seine Eltern züchteten Rinder, sein Vater beriet als Steuerberater parallel andere Farmer. Deutschland kannte Wolfgang Handt nur aus Erzählungen, bis er Mitte der 70er Jahre seine erste Stelle am Rande des Schwarzwalds antrat; 1979 warb ihn Schwan-Stabilo, die Firma hatte damals 600 Mitarbeiter, als Finanzchef ab. Franken wurde zur neuen Heimat des mittlerweile verheirateten Wolfgang Handt und dessen Familie – 1996 trat er als Geschäftsführer an die Spitze der Firma.

Heute beschäftigt der Konzern Schwanhäußer Industrie Holding GmbH & Co. KG fast 5000 Menschen, dessen Schreibgeräte und Kosmetikstifte werden weltweit gehandelt und der Erfolg des Unternehmens führte dazu, dass Handt fast alle 195 Staaten dieser Welt bereiste und die Entwicklungen auf den verschiedenen Kontinenten mit eigenen Augen sah.

Er ging in Windhoek zur Schule und diente in der südafrikanischen Armee in Angola – sein Lebenslauf ist eng mit Afrika verknüpft und die Frage, warum sich in Afrika trotz Spenden in Milliardenhöhe kaum etwas ändert, lässt ihn nicht los.

Zahlen beschäftigten ihn sein ganzes Berufsleben, auch seine These der gescheiterten Entwicklungspolitik unterfüttert er mit Zahlen: Seit 1960 flossen weltweit etwa 4000 Milliarden US-Dollar nach Afrika – doch von den 1,3 Milliarden Menschen auf dem Kontinent leben noch immer eine halbe Milliarde Menschen in extremer Armut. "Das heißt, sie können weniger als zwei Dollar am Tag ausgeben."

Deutsche Kolonie Südwestafrika

In seiner Familiengeschichte spiegelt sich die Entwicklung des Kontinents seit dem Ersten Weltkrieg wider: Seine Großeltern kamen als Soldaten der Schutzgruppe für die deutsche Kolonie Deutsch-Südwestafrika in das heutige Namibia – sie kämpften ein Jahr gegen die Engländer. Dieser Krieg, ausgelöst durch die Kolonialpolitik, war ein Nebenkriegsschauplatz des Ersten Weltkrieges.
Im Sommer 1915 kapitulierte die deutsche Schutztruppe. Das "Schutzgebiet" Deutsch-Südwest wurde zur Provinz unter südafrikanischer Verwaltung. "Die gewaltsame Kolonialisierung ist eines der größten Verbrechen in der Geschichte – aber für das heutige Elend kann die Kolonialpolitik allein nicht verantwortlich gemacht werden", meint Handt.

Heute listet Transparency International in seinem Korruptionsindex die Länder Afrikas ganz hinten auf, der Kontinent leidet unter Kriegen und Stammesfehden und wir denken pauschal an Heuschrecken-Plagen, Dürre, Malaria, Aids und Flüchtlinge, wenn wir von Afrika hören – dabei hat der Kontinent 54 Staaten.

Die letzten großen Regierungschefs? 1993 erhielten die Südafrikaner Nelson Mandela und Frederik W. de Klerk den Friedesnobelpreis – heutzutage sorgt die Beerdigung von Robert Mugabe für Schlagzeilen. Hemmungslos bereicherten er und seine Einheitspartei sich an Simbabwe, die Politiker hinterließen ein ruiniertes Land und ein verarmtes Volk. In Europa wurde Mugabe als Diktator gesehen, bei seiner Beerdigung im Herbst 2019 feierten ihn viele afrikanische Staatschefs als Lichtgestalt. Kein westlicher Regierungschef kam, und einer der wenigen Demokraten unter den Trauergästen, Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, wurde während der Trauerrede ausgebuht.

"Angola", so schreiben es die Experten von Transparency International, "ist der Archetyp eines von Korruption erfassten Staates." Das Land ist der achtgrößte Ölproduzent der Welt und der größte in Afrika – doch die Mehrheit der Menschen lebt in Armut. Das Land betreibt nicht einmal einen öffentlichen Nahverkehr für die fünf Millionen Einwohner in der Hauptstadt Luanda.

Einen besonderen Weltrekord stellt Kenia auf: Kenia hat 50 Millionen Einwohner und knapp 100 Minister und Vizeminister – die Entwicklungshelfer des Westens bezahlen deren Hofstaat.
Und nun das Corona-Virus. "Das UN-Ziel, eine Welt ohne Hunger bis 2030, macht das Virus gerade zur Illusion", stellte jüngst Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) fest. Gerade hat er seinen Rückzug aus der Politik angekündigt. Aus Frustration? Viele der Menschen sterben nicht am Virus, sondern am Hunger, den das Virus schafft. Ausgangssperren verhindern, dass Felder bestellt oder Lebensmittel geliefert werden, die Preise steigen.

In dieser Krise lässt China öffentlichkeitswirksam Paletten mit medizinischen Hilfsgütern nach Afrika fliegen – die Volksrepublik als Partner, das soll dieses Bild wohl sagen. Minister Müller wurde in der Vergangenheit immer wieder deutlich: China gehe es um die Ressourcen Afrikas, weniger um Wertschöpfung vor Ort und faire Löhne. Auch verzichten die Vertreter der Volksrepublik auf Fragen über Korruption und Menschenrechte, Afrika will Wachstum und verzichtet auf Gegenfragen.

Kleinkredite statt Almosen

Doch wie hoch der Preis in der Zukunft sein kann, zeigt ein Beispiel: Wolfgang Handt verweist auf den Kongo. Dort bauten chinesische Firmen Straßen und Eisenbahnlinien, im Gegenzug erhielten sie Zugang zu den Kupfer- und Kobaltminen, Rohstoffe, die für die Akkus von Elektro-Autos benötigt werden. Sieht so die neue Kolonialpolitik aus?

Afrika braucht "Hilfe zur Selbsthilfe", sagt Wolfgang Handt und plädiert dafür, die örtliche Landwirtschaft zu unterstützen und den Exporthandel anzukurbeln. Er will solide Unternehmer fördern und Menschen in Not mit Kleinkrediten unterstützen. Und all dies klingt nicht so anders als das Leitmotiv der Dritte-Welt-Läden in den 70er Jahren: Gerechte Preise statt Almosen. Handt sagt es so: "Entwicklungshilfe ist nicht nur ein Segen, sondern auch ein Fluch. Wer vom Betteln leben kann, wird nichts verändern wollen."

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