Leichenfund in Messie-Haus: Jetzt sprechen die Nachbarn

15.7.2016, 09:29 Uhr
Leichenfund in Messie-Haus: Jetzt sprechen die Nachbarn

Ein Doppelhaus, zwei Welten: Die linke Hälfte ist ein Abbild bürgerlichen Eigenheim-Ideals. Die Fassade frisch gestrichen, eine makellos weiße Haustür, ein sauber gepflasterter und gekehrter Vorplatz, kleine Blumenbeete, in denen das Unkraut keine Chance hat. Rechts das genaue Gegenteil. Wilder Wein überwuchert Haus samt Dach. Die Fenster komplett zugewachsen, der Vorgarten einen Meter hoch mit altem Müll bedeckt, Haustreppe und Eingangstür strotzen vor Dreck. In der kleinen Einfahrt verschlingt ungezähmtes Grün erfolgreich eine schwarze Rover-Limousine.

In der hoffnungslos heruntergekommenen Haushälfte hat die Polizei am Dienstag die Leiche der 78-jährigen Eigentümerin, mehrere Kleintier-Kadaver, 20 verwahrloste Kaninchen, zwei Tauben und die psychisch ganz offenbar schwer angeschlagene Tochter der Hausbesitzerin entdeckt. Eine Obduktion des unter Müll gefundenen Leichnams ergab keine Hinweise auf eine Straftat. Die Todesursache konnte aufgrund der langen Liegezeit nicht eindeutig geklärt werden.

Verwesungsgeruch im Garten

Im gepflegten Wohnviertel nahe des Hafens war das "Messie-Haus" seit Jahren Gesprächsstoff und für die direkten Nachbarn ein großes Ärgernis. "Manchmal kam man mit dem Kinderwagen hier nicht mehr am Gehsteig durch", erzählt ein junger Vater, der ein paar hundert Meter weiter wohnt. Und eine junge Frau, deren Grundstück an das verwahrloste Anwesen grenzt, klagt: "Durch unseren Garten, in dem die Kinder spielen, zog immer wieder der Verwesungsgeruch von dort drüben."

Im Internet, berichtet die Frau, würden sie und die anderen Anwohner jetzt beschimpft, weil sie nichts unternommen hätten. "Das stimmt aber doch nicht." Immer wieder habe man die Behörden über die fürchterlichen Zustände im "Messie-Haus" informiert. "Aber es waren immer nur die Tierretter da, die Frauen hat man in ihrem Dreck alleingelassen."

Keiner tat was, das ist der Eindruck der Nachbarn. Doch das stimmt so offensichtlich nicht. Die Polizei berichtet, sie sei zu drei Einsätzen in dem Haus gewesen, das seit dem Tod des Ehemanns der Eigentümerin vor zehn Jahren immer mehr herunterkam.

Fleisch für die Krähen

Zwischen Februar 2012 und Juli 2014 fanden diese Einsätze statt. Mal ging es darum, ein vom Ordnungsamt erlassenes Tierhalteverbot durchzusetzen, mal um die Sicherung eines losen Bleches am Dach, mal um Beschwerden der Nachbarn, dass von den Frauen im Haus Getreide und Fleischabfälle auf die Straße geworfen worden seien – als Futter für die Krähen.

Die Polizei verständigte damals – es war der Einsatz im November 2012 – sowohl das Ordnungsamt als auch den Sozialpädagogischen Fachdienst des Sozialamts. Beiden Stellen sowie dem Gesundheitsamt waren damals aber die besorgniserregenden Zustände in dem Haus bereits bekannt. Schließlich war bereits 2010 ein Tierhalteverbot vom Ordnungsamt gegen die Bewohner erlassen worden. "Und schon kurz danach hat unsere Amtstierärztin gemeinsam mit Mitarbeitern des Sozialamts und des Gesundheitsamts eine Nachkontrolle durchgeführt", sagt Ordnungsamtschefin Katrin Kurr.

Wie meist in Fällen von "Animal Hoarding", habe es im Haus trotz des Verbots nur so gewimmelt von ungepflegten Kleintieren. Kurr: "Unser Eingreifen wird von Tiersammlern nie akzeptiert. Da sind wir immer die Bösen." Die Tiere wurden ins Tierheim gebracht und aufgepäppelt. "Das kostet viel Geld", sagt Katrin Kurr. "Wir versuchen zwar stets, das von den Betroffenen einzutreiben, aber meist sind die Leute mittellos."

Im Grunde noch schwerer taten sich die Mitarbeiter von Sozial- und Gesundheitsamt. "Wir können in solchen Fällen nur unsere Hilfe und die Entmüllung der Wohnung anbieten", sagt Sozialamtschef Dieter Maly. Wenn dies abgelehnt wird, sind die Behörden weitgehend machtlos.

Sozialarbeiter können höchstens die gesetzliche Betreuung (früher: Entmündigung) der betroffenen Personen anregen. Entscheiden darüber muss auf Grundlage von ärztlichen Gutachten das Betreuungsgericht. Wenn Gutachter zu dem Schluss kommen, dass die Person durchaus noch entscheidungs- und handlungsfähig ist, scheitert der Antrag auf Betreuung.

Auch von der Nachbarin werden sowohl die jetzt tot aufgefundene 78-Jährige als auch deren Tochter als "nach außen hin normal" geschildert. Bis auf ihre offenkundige Unfähigkeit, das Haus in Ordnung zu halten, und bis auf ihre notorische Tier-Sammelwut. Von der alten Dame wussten die Nachbarn, dass sie krank war. Nähere Auskünfte erhielten sie aber auch dazu nicht.

20 Kommentare