Neuer Vorstand: Unter dem Dach des Klinikums kracht es

18.8.2018, 12:49 Uhr
Neuer Vorstand: Unter dem Dach des Klinikums kracht es

© Foto: Roland Fengler

Die Äußerungen, die von Mitarbeitern aus Medizin, Pflege und Verwaltung in vielen vertraulichen Gesprächen mit der Redaktion fallen, ähneln sich. Sie sind mal vorsichtiger, mal drastischer formuliert. Von Orientierungslosigkeit oder tiefer Verunsicherung ist die Rede, man nehme den Vorstandsvorsitzenden gar nicht wahr, er sei häufig abwesend, man wisse nicht, wohin er mit dem Klinikum überhaupt will, eine konkrete Strategie sei nicht zu erkennen.

Im Gegensatz zum Vorgänger Dr. Alfred Estelmann sei eine große Distanz entstanden, die in den Augen vieler gewollt sei. Auch die Wertschätzung fehle: Hat eine Abteilung ein Ergebnis sogar über die Zielvorgabe hinaus erzielt, heiße es: Prima, aber da geht bestimmt noch mehr. Die Stimmung sei schlecht oder gar kurz vor der Explosion. Wie der Personalrat die Situation sieht, war nicht zu erfahren. "Zum jetzigen Zeitpunkt äußern wir uns nicht dazu", erklärt die Vorsitzendes des Gremiums, Elke Härtel.

"Veränderungen tun weh"

"Es knirscht, das habe ich in den letzten Wochen und Monaten schon wahrgenommen", meint Vorstandsvorsitzender Achim Jockwig gegenüber der Redaktion und wirkt nachdenklich, als er die Auflistung hört. "Als ich mein Amt vor einem Jahr angetreten habe, wusste ich, dass ich der Überbringer schlechter Botschaften sein werde. Ich habe drei negative Jahresergebnisse in Folge sozusagen geerbt. Veränderungen sind deshalb zwingend. Und die tun oft weh, deshalb wollen wir auch keinen harten Sparkurs einschlagen", erklärt er.

Die Chefärzte des Hauses haben vor einigen Wochen einen Brief an Jockwig und seine Kollegen Andreas Becke (Infrastruktur und Finanzen), Prof. Günter Niklewski (Medizin und Entwicklung) sowie Peter Schuh (Personal und Patientenversorgung) geschrieben. Sie erklären darin ihre Bereitschaft, notwendige Einsparungen und Leistungsmehrungen mitzutragen, weil sie die schwierige wirtschaftliche Situation des Hauses sehen und auch die unzureichenden politischen Rahmenbedingungen kennen. Aber sie formulieren in dem Schreiben auch: "Wir fürchten, dass eine weitere Leistungsmehrung, zumindest nicht im gewünschten Ausmaß, realisierbar ist." Aus ihrer Sicht resultiere aus einer permanenten Fallsteigerung bei gleichbleibendem Personal eine zunehmende Arbeitsverdichtung, die Mitarbeiter "an die Grenzen ihrer Einsatzbereitschaft oder –fähigkeit führen dürfte".

Die Autoren des Briefes, der bis auf wenige Ausnahmen von der kompletten Chefarztriege unterzeichnet wurde, fürchten, dass gerade die Leistungsträger unter diesen Bedingungen "Abwanderungstendenzen entwickeln dürften". Und: "Auf die Qualität der ärztlichen Versorgung sowie die Zufriedenheit der Patienten mit der pflegerischen Zuwendung soll an dieser Stelle nicht gesondert eingegangen werden, Abstriche diesbezüglich halten wir unter diesen Bedingungen für unvermeidbar."

Chefärzte machen ihren Unmut Luft

Warum sie einen Brief geschrieben und nicht erst ein Gespräch gesucht haben? Einige Chefärzte machen ihrem Unmut Luft. Sie fühlen sich häufig nicht gehört, es herrsche ein völliger "Kulturwandel" in der Führung. Wer entscheidet was? Auf wessen Wort ist noch Verlass? Der Vorstandsvorsitzende sei schwer erreichbar, wichtige Besprechungen oder Entscheidungen würden kurzfristig abgesagt oder verschoben. "Diese Verzögerungen kosten das Klinikum richtig Geld", meint einer. Und auch viele Chefärzte erkennen keine echte Strategie: "Allein die Devise 2,5 Prozent mehr Wachstum und ein Prozent weniger Personal kann es auf Dauer nicht sein." Das wollten sie mit dem Brief als eine Art Memorandum deutlich machen, sagen sie.

Achim Jockwig fand das Schreiben der Chefärzte "nicht schlimm". Er pflege einen anderen, aber keinen autoritären Führungsstil, er sei erreichbar, seine Türen stünden offen. Aber er habe natürlich viele Außentermine — auch um in der Politik für bessere Rahmenbedingungen für das Haus zu kämpfen.

Er macht jedoch auch deutlich, dass — anders als früher – nun tatsächlich ein Vierer-Vorstand agiert. "Die Aufgabenverteilung war schon vor meiner Amtszeit da, aber sie wurde nicht so gelebt." Ansprechpartner für die Chefärzte ist damit Günter Niklewski. "Ich werde nicht an meinen Vorstandkollegen vorbei handeln. Jeder hat einen klar umrissenen Aufgabenbereich. Eine Art Bypass zu mir wollte ich nicht eröffnen", macht Jockwig deutlich, der weiß, dass dies vielen nicht gefällt. Er möchte überhaupt mehr Selbstständigkeit und Eigenverantwortung an die einzelnen Bereiche geben.

Neuer Vorstand: Unter dem Dach des Klinikums kracht es

© Rudi Ott

Konkrete Projekte angekündigt

Die Kritik an einer fehlenden Strategie hält er für inzwischen überholt. Mehr als 200 Mitarbeiter haben in den vergangenen Wochen bei Führungskräfteworkshops in einem "intensiven Diskurs" eine Strategieplanung erarbeitet, die eine breite Zustimmung gefunden habe. Über die konkreten Ergebnisse will Jockwig zum jetzigen Zeitpunkt öffentlich noch nichts sagen, weil zunächst die Mitarbeiter in einem Schreiben informiert werden sollen, das der nächsten Gehaltsabrechnung beiliegt. Nur so viel gibt er preis: Die wichtigsten Eckpunkte sind "konkrete Projekte", um die Mitarbeiter zu entlasten und die Patientenzufriedenheit zu steigern.

Oberbürgermeister Ulrich Maly, zugleich Vorstandsvorsitzender des Verwaltungsrates des Klinikums, stellt sich vor den Vorstandsvorsitzenden. Die von der Redaktion geschilderten Befindlichkeiten seien "nicht repräsentativ". Er spricht von einem "Wahrnehmen von Veränderungen" bei den Mitarbeitern, die — wenn auch schmerzhaft — "alternativlos" seien. Der andere Führungsstil ist wichtig, so Maly. "Das Klinikum muss sich in einem umkämpften Markt behaupten. Wir müssen künftig Verluste vermeiden und wieder ein ausgeglichenes Ergebnis erreichen." Am großzügigen Personalschlüssel vor allem in der Pflege wolle man festhalten. "Aber beim Casemix-Index ist noch Luft nach oben. Da ist manches Kreiskrankenhaus besser als wir."

Der Casemix-Index bildet — stark vereinfacht gesagt — ab, wie leicht oder schwer die Patienten im Durchschnitt erkrankt sind, die in einer Klinik behandelt werden. Dieser Wert ist eine wichtige Größe bei der Berechnung des Jahresbudgets eines Krankenhauses.

Überregional Patienten gewinnen

Bedeutet das jetzt für die Patienten des Klinikums, dass sie kränker gemacht werden, als sie sind, oder unnötige Untersuchungen über sich ergehen lassen müssen, nur damit der Casemix stimmt? "Um Gottes willen, nein!", sagt Jockwig. Eine hochseriöse Indikation sei ein Qualitätsmerkmal des Klinikums. "Ich pfeife auf jede Steigerung, wenn nicht eine adäquate Diagnose dahintersteht." Vielmehr sollen die "Leuchttürme" des Hauses stärker herausgestellt werden, um damit auch überregional mehr Patienten mit komplexeren Erkrankungen zu gewinnen. Jockwig: "In der Speiseröhren-Chirurgie haben wir mit Prof. Stein zum Beispiel bayern- bis deutschlandweit eine herausragende Expertise, die wir noch besser herausstellen müssen."

Der Vorstandsvorsitzende nimmt sich für die Zukunft vor, an einer besseren Kommunikation zu arbeiten. "Es ist aber nicht einfach, fast 7000 Mitarbeiter an zwei Standorten auf dem Laufenden zu halten, die kann man nicht auf einem Pausenhof versammeln." Und er versichert, dass seine nüchterne Zustandsbeschreibung der wirtschaftlichen Situation und die Schilderung der notwendigen Veränderungen keinesfalls als mangelnde Wertschätzung der Arbeit der Mitarbeiter gemeint sind. "Das ist möglicherweise falsch angekommen. Alle können stolz auf ihre Leistung sein, wir brauchen uns mit unserem Krankenhaus nicht zu verstecken. Und das soll auch so bleiben." 

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