Nürnberg kämpft gegen religiöse Radikalisierung

2.7.2018, 10:00 Uhr
Das städtischen Präventionsvorhaben will das Einfühlungsvermögen und den Blick schulen, wie die Mitarbeiter und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe reagieren können und müssen.

© dpa Das städtischen Präventionsvorhaben will das Einfühlungsvermögen und den Blick schulen, wie die Mitarbeiter und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe reagieren können und müssen.

Warum und wie werden junge Menschen zu glühenden Anhängern einer radikalen Ideologie oder Religion? Auch wenn der Islamische Staat im Nahen Osten zurückgedrängt wurde, bleiben salafistische und andere Gruppierungen auch hierzulande aktiv. Längst bemühen sich verschiedene Initiativen, vor allem Jugendliche und junge Erwachsene davor zu warnen und zu bewahren, ihnen auf den Leim zu gehen.

In die Präventionsarbeit steigt jetzt auch das Nürnberger Jugendamt ein: Ein eigener Koordinator soll zunächst die Akteure vernetzen. Auf Dauer geht es darum, möglichst früh anzusetzen und schon bei Kindern eine Entwicklung zu fördern, die sie nicht anfällig lässt für vermeintliche Verlockungen radikaler Gruppen – religiöser ebenso wie politischer. 

Dass sich ein junger Mensch abkapselt, in seine eigene Welt (und die Weiten des Internet) abdriftet und Halt sucht bei verführerischen Propheten, ist nicht ungewöhnlich. Und auch nicht immer gleich alarmierend. Bedenklich und gefährlich wird es freilich, wenn keine Kommunikation mehr möglich ist.

Neues städtisches Präventionsvorhaben

Aber genau darum geht es auch bei dem neuen städtischen Präventionsvorhaben: das Einfühlungsvermögen und den Blick zu schulen, wann und wie neben Lehrern, Angehörigen und Freunden vor allem auch die Mitarbeiter und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe reagieren können und müssen. Denn so plötzlich, wie es Außenstehenden manchmal erscheint, bahnt sich ein Besorgnis erregender Wandelt selten an.

Nürnberg kämpft gegen religiöse Radikalisierung

© Wolfgang Heilig-Achneck

"Dabei konzentriere ich mich zumindest in einer ersten Phase eindeutig auf der Vorbeugung gegen religiös bedingte Radikalisierung", so Christian Mätzler. Denn das gilt derzeit immer noch als drängendstes Problem. Nach drei Jahren als Asylkoordinator und Leiter der Fachstelle Flüchtlinge beim Sozialamt ist der Sozialpädagoge jetzt, vorerst für zwei Jahre, als "Koordinator für Radikalisierungsprävention" zum Jugendamt gewechselt – wo er von seinen Erfahrungen in der bisherigen Arbeit mit Menschen aus islamisch geprägten Ländern zu profitieren hofft. 

Dabei muss er keineswegs bei Null anfangen: Bereits seit zwei Jahren ist Nabil Hourani, ein Politikwissenschaftler im Dienst des Menschenrechtsbüros, auf diesem Feld aktiv. Ein von ihm betreutes Präventionsnetzwerk ist zudem eingebunden in einen bayerischen Zusammenschluss. Obendrein hat das Landeskriminalamt ein "Kompetenzzentrum für Deradikalisierung" geschaffen. Und schließlich betreibt auch das Nürnberger Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) dazu eine Beratungsstelle. 

Direkter Kontakt zu möglichen Betroffenen

"Aber wir wollen noch früher ansetzen und junge Leute möglichst schon im Ansatz gegen eine mögliche Radikalisierung immunisieren, also noch ehe sich problematische Tendenzen zeigen", erläutert Mätzler. Dabei kann und wird er selbst eher selten direkte Kontakte zu möglichen Betroffenen aufnehmen. Er setzt vor allem auf die weitere Vernetzung speziell von Schule, Jugendhilfe und der offenen Kinder- und Jugendarbeit sowie den Jugendmigrationsdiensten etwa der Arbeiterwohlfahrt (Awo). Dann habe Sozialarbeit auch die reelle Chance, etwas zu bewirken.

Unabhängig von der religiösen Spielart ist Radikalisierung, verbunden mit Ideologien, alles andere als ein neues Phänomen. "Alle Radikalisierungsprozesse weisen große Ähnlichkeiten auf, von den Schwierigkeiten mit den Eltern über eigene Erfahrungen von Ausgrenzung bis zum Wunsch zu provozieren", erläutert Mätzler. Im Kern geht es meistens um die Ausbildung der eigenen Identität. Und da gebe es durchaus "passendes Handwerkszeug", ist der Pädagoge überzeugt. 

Keine seriösen Zahlen für Nürnberg

Konkrete Zahlen, mit wie vielen Gefährdeten oder gar schon strammen Anhängern der islamistischen Bewegung in Nürnberg zu rechnen ist, könne er allerdings nicht nennen. "Dazu gibt es keine seriöse Erhebung – und für unsere praktische Arbeit ist das auch gar nicht so wichtig", beteuert der Sozialpädagoge. Die Behörden gehen von mehr als 600 eingefleischten Salafisten im Freistaat aus, in Nürnberg sollen es zuletzt um die 50 gewesen sein.

"Das Religiöse ist oder war mir eigentlich eher fremd", räumt Mätzler offen ein. Die kritische Distanz wird er sich freilich wahren – aber eben doch zu verstehen versuchen, was religiösen Fanatismus für manche junge Leute attraktiv macht. "Das konnte sich doch noch vor zehn oder 15 Jahren kaum einer vorstellen."

Das Jugendamt aber will das Thema dabei auf Dauer bewusst weiter fassen, betont die zuständige Abteilungsleiterin Beate Meyer und unterstreicht den Vorrang der sogenannten Universalprävention. "Wir haben alle Alters- und Zielgruppen im Blick und wollen sie gegen negative Einflüsse so stärken und befähigen, dass sie sich wehren können und nicht auf das hereinfallen, was ihnen vorgegaukelt wird." 

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