Siemens-Chef sieht Region weiter als wichtigen Standort an

28.10.2014, 21:08 Uhr
Siemens-Chef sieht Region weiter als wichtigen Standort an

© Michael Matejka

Der Bus der Linie 36 muss warten. Die kleine Wagenkolonne hat ihn ausgebremst. Im Bus recken die Menschen die Hälse, um einen Blick auf die Person zu erhaschen, die aus einem der Autos steigt und auf die sich sofort Kameras richten. Es ist Joe Kaeser. Der Siemens-Chef hat auch an diesem Tag ein straffes Programm – durchaus mit angenehmen Elementen. Nach dem Treffen mit den Mitarbeitern steht eines mit Vertretern der fränkischen Wirtschaft an. Zwischen beiden Terminen ist er ins Essigbrätlein geladen. Davor steht noch ein Pressetermin im Kalender.

Joe Kaeser hat sich ein unverfängliches Thema ausgesucht: den Wachstumsmarkt USA und wie Siemens dort mitmischen will. Salopp gesagt. Kaeser braucht Erfolgsgeschichten. Nächste Woche wird er in Berlin die Zahlen präsentieren, die er erstmals als erster Mann im Unternehmen verantwortet. Lisa Davis, die neue Chefin des Sektors Energie, hat bereits auf magere Jahre eingestimmt.

„Mittelfranken bleibt eines der wichtigsten Zentren von Siemens“

„Wir wollen die Geschäfte in Nordamerika ausbauen“, sagt Kaeser jetzt in Nürnberg. „In der Industrie, in der Gesundheitstechnik, in der Infrastruktur, aber ganz besonders in der Energie.“ Dabei will Siemens vor allem bei den Themen Öl & Gas mitmischen. Dafür kaufte der Konzern im Mai das Gasturbinen- und Kompressorengeschäft von Rolls-Royce für rund 950 Millionen Euro und gerade erst den US-Kompressorenhersteller Dresser-Rand – für knapp sechs Milliarden Euro.

Sehr spät erfolgten die Zukäufe, sagen Kritiker. „Damit haben wir wichtige Lücken in der Technologie, in unserer Wertschöpfungskette geschlossen“, betont Kaeser. Und der nächste Aufschwung kommt, ist er sich sicher. Der Fracking-Boom in den USA sorgt für billige Energie und die sorgt dafür, dass sich produzieren wieder lohnt. Dafür braucht das Land aber moderne Maschinen und Anlagen, woran vor allem deutsche Firmen partizipieren. Siemens will dabei sein.

„Nürnberg und Erlangen bleibt eines der wichtigsten Zentren von Siemens“, sagt Kaeser. Das Herz von Siemens möchte er die Region nicht nennen. „Aber wir richten unsere Ressourcen darauf aus, wo der Bedarf ist und wo Chancen liegen. Ob uns das am Ende gelingt, entscheidet nicht der Vorstandsvorsitzende, sondern der Kunde.“ Damit begründet er auch die Verlegung des Hauptsitzes der Energieerzeugung von Erlangen nach Houston.

Diese Maßnahme werdeletztlich auch mit für den Erhalt der Arbeitsplätze in Erlangen sorgen. Aktuell führt die Konjunkturdelle im Energiegeschäftt in Erlangen erst einmal zum Abbau von rund 150 Stellen. Deutschlandweit sind es 1200 Stellen.

„Ein Unternehmen kann nur so innovativ sein wie seine Kunden“

Schuld seien auch die politischen Rahmenbedingungen. „Wenn im eigenen Land keine Gas- und Dampfturbinen mehr eingesetzt werden, wie sollen wir dann Kunden in Korea überzeugen?“

Es sei auch eine Frage der Innovationen. „Ein Unternehmen kann nur so innovativ sein wie seine Kunden.“ So würde es die 860 Megawatt-Turbine in Irsching nicht geben, hätte Kunde Eon diese nicht mitentwickelt. Und Kaeser formuliert es noch eindringlicher: Werden wesentliche Industrien wie die Halbleiterbranche oder die Softwarebranche nicht gestärkt, dann werde das Geschäft woanders gemacht. Das gelte auch oder gerade für das Zukunftsthema „Industrie 4.0“. Dem sich auch Siemens verschrieben hat.

Die Veränderungen im Konzern sollen am geplanten Siemens-Campus in Erlangen nicht rütteln. Dieser sei schon angelegt auf die von Kaeser ausgegebene „Vision 2020“. „Ich möchte, dass Mitarbeiter auf der ganzen Welt miteinander reden und das funktioniert am besten in campusähnlichen Gebilden.“ In der Region lässt sich Siemens dies eine halbe Milliarde Euro kosten.

Kaesers „Vision 2020“ bedeutet auch: eine neue Struktur für Siemens. Sie wurde zum 1. Oktober eingeführt. Doch die Unruhe bleibt. Es wird dauern, bis jeder seinen oder zumindest einen neuen Platz im Unternehmen gefunden hat. Zwei weitere Jahre hat Kaeser dafür veranschlagt.

„Es ist das beste Geschäft, das wir haben“

Dass ihm dafür in den Medien nun Machthunger vorgeworfen wird – Kaeser schüttelt den Kopf. „Der geriert sich wie ein Alleinherrscher“, heiße es im Konzern. Das schreibt das Manager Magazin in seiner aktuellen Ausgabe. Und er baue ein Machtzentrum neben dem Vorstand auf. Verletzt, sagt Kaeser, habe ihn das nicht. Aber gestört. Macht als Selbstzweck sei nicht Seins. Sagt Kaeser. „Aber ein Unternehmen braucht Führung. Das muss man so sehen.“

Von der Leine gelassen werden soll hingegen der Sektor Medizintechnik. Der Sektor ist – nach einer eigenen Agenda – derzeit der erfolgreichste im Konzern. „Es ist das beste Geschäft, das wir haben.“ Die Medizintechnik hat ihre Rosskur bereits 2013 absolviert. Ausgegliedert werden solle der Sektor nun, um selbst besser über die Verwendung seiner Ressourcen entscheiden zu können. „Healthcare darf sich künftig selbstständig im Unternehmen abbilden, bleibt aber 100 Prozent Siemens.“

Anders die Audiosparte. Auch das Hörgerätegeschäft ist ein profitables. Noch. Und die demografische Entwicklung würde Siemens auch zuspielen. „Aber hier gilt das Thema Paradigmenwechsel“, sagt Kaeser. Hörgeräte werden in einigen Jahren nicht mehr das sein, was sie heute sind. Dafür sorgten auch Smartphonehersteller wie Apple oder Samsung. Hören und Verstehen – das laufe künftig über Handys. „Und weil das so ist, müssen wir die Audiologie stärken und mit denen zusammenbringen, die in diesem Bereich nach vorne gehen.“

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