Ulrich Maly: Klares Plädoyer für eine offene Gesellschaft

29.7.2018, 05:57 Uhr
Ulrich Maly über Redner der BIA im Stadtrat: "Es ist ja nicht immer so, dass wir sie ignorieren. Wir haben vereinbart, dass der Redner, der nach den BIA-Stadträten spricht, eine kurze Replik macht."

© Horst Linke Ulrich Maly über Redner der BIA im Stadtrat: "Es ist ja nicht immer so, dass wir sie ignorieren. Wir haben vereinbart, dass der Redner, der nach den BIA-Stadträten spricht, eine kurze Replik macht."

Herr Maly, gerade hat die Stadt die Integrations-Leitlinien neu formuliert. Warum war das nötig?

Ulrich Maly: Es ist keine völlige Neuerfindung. Was wir 2004 geschrieben haben, ist immer noch richtig. Aber es hat sich seitdem im Bereich von Zuwanderung und Integrationsaufgaben eine Menge geändert. Zum Beispiel ist die Mischung der Zugewanderten viel internationaler geworden. Deshalb haben wir gesagt, wir bringen es neu zu Papier.

Die Leitlinien sind sehr allgemein gefasst. Zum Beispiel steht darin, dass die Stadt Integration als zentrales kommunalpolitisches Thema ansieht. Wie wollen Sie das mit Leben füllen?

Maly: Wir füllen das ja schon seit dem ersten Ausländerprogramm, das die Stadt in den 1980er Jahren verabschiedet hat, mit Leben. Bei den Leitlinien geht es um einen Rahmen und ein gemeinsames Verständnis von Integrationsarbeit.

Da sind schon ein paar Punkte drin, die nicht für jeden selbstverständlich sind, wie man am Mittwoch in der Stadtratssitzung gemerkt hat: zum Beispiel das Bekenntnis zur Vielfalt oder zur Teilhabe derer, die nicht wahlberechtigt sind. Ich finde es sehr schön, dass die demokratischen Parteien das in großer Einmütigkeit verabschiedet haben.

Gegenstimmen von rechts

Die beiden Stadträte der Bürgerinitiative Ausländerstopp (BIA) haben dagegen gestimmt und die Gelegenheit genutzt, rechtsextreme und ausgrenzende Positionen auszubreiten. Mein Eindruck war, dass die BIA-Vertreter regelrecht beflügelt davon sind, dass ausländerfeindliche Äußerungen wieder salonfähig sind.

Maly: Natürlich müssen die beiden geradezu zwanghaft mit ihren Parolen einsteigen bei den Themen Ausländer und Integration. Sie halten sich für die wahren Vertreter irgendeines deutschen Volkes, das sie aber in Wirklichkeit gar nicht definieren können. Wobei die beiden unterschiedlich auftreten: Ralf Ollert verliest irgendetwas, er ist seit seiner Jugend NPD-Funktionär, er tritt bürgerlich auf, ist aber durch und durch Rechtsextremist. Und Fridrich Luft ist eher der Provokateur, der sich selber nicht immer im Griff hat.

Oft gehen Sie gar nicht auf die BIA-Vertreter ein. Dieses Mal haben Sie die beiden in den Senkel gestellt. Viele Stadträte haben auf die übliche Weise reagiert: mit Ignorieren, lauter Unterhaltung oder dem demonstrativen Verlassen des Saals. Müssten Stadtspitze und Stadträte nicht häufiger klare Kante zeigen?

Maly: Es ist ja nicht immer so, dass wir sie ignorieren. Wir haben vereinbart, dass der Redner, der nach den BIA-Stadträten spricht, eine kurze Replik macht. Das war auch dieses Mal so. Manchmal, wenn sie zu dick auftragen, mache ich es auch mal selber. Wir werden das weiterhin wohldosiert tun. Wenn man immer reagiert, dann hat die Provokation Erfolg. Und das ist deren Ziel. Ich glaube, dass sich die Auseinandersetzung mit den BIA-Stadträten nach der nächsten Kommunalwahl sowieso erledigt hat. Dann wird es einen Austausch geben: von der BIA zur AfD.

Ignorieren funktioniert nicht mehr

Dann wird Ignorieren nicht mehr funktionieren. Es wird ein anderer Umgang nötig sein, oder?

Maly: Ja, mit der AfD wird man sich auch im Kommunalwahlkampf auseinandersetzen müssen. Man muss von Fall zu Fall entscheiden, ob man sie ignoriert, ob man einsteigt und aktiv Gegenpositionen aufbaut. Viele Landtage und auch der Bundestag sind da noch suchend. Da gibt es keine einheitliche Linie.

Wie groß sind Ihre Sorgen angesichts der wachsenden Ausländerfeindlichkeit im Land?

Maly: Ich bin keiner, der kulturpessimistisch rangeht und sagt, wir sind wieder in Weimar angelangt. Aber es ist eine Verantwortung für die Volksparteien, Position zu beziehen. Es ist eine Verantwortung für uns, die freiheitliche Demokratie und die offene Gesellschaft zu verteidigen. Wir haben seit Anfang der 1990er Jahre in Nürnberg immer rechtspopulistische oder rechtsextremistische Stadträte gehabt, das wird uns auch 2020 nicht erspart bleiben, da muss man realistisch sein. Ob sich die Stimmung bis 2020 wieder so wandelt, dass es einen Bann von allzu Rechtem gibt, weiß ich nicht.

Man hat den Eindruck, die Büchse der Pandora ist offen und lässt sich nicht mehr schließen.

Maly: Was die Wortwahl anbelangt, haben Sie recht. Es gibt Sätze, die in der Politik bei uns heute gesagt werden dürfen, die vor zehn Jahren noch nicht hätten gesagt werden dürfen. Gerne garniert durch: "Das wird man doch noch mal sagen dürfen." Vielleicht ist es aber auch ein Stück Normalisierung, weil bei uns der sprachliche Kodex in der Politik, bedingt durch die NS-Zeit, deutlich strenger war als im Rest Europas.

Thema Flüchtlinge schürt Ängste

Wie stark tragen die Parteien mit ihrer Konzentration aufs Thema Flüchtlinge dazu bei, Ängste zu schüren, die völlig überdimensioniert sind?

Maly: Ich erkenne in der CSU Tendenzen, dass man das als Fehler einsieht. Ich freue mich darüber und halte das für richtig. Am Ende werden es nur die beiden großen Volksparteien sein, die die Büchse der Pandora vielleicht nicht wieder verschließen, aber zumindest die Öffnung klein halten können.

In den Integrations-Leitlinien der Stadt steht auch, dass Integration ein wechselseitiger Prozess ist. Zuwanderer sollen also mitmachen. Was macht man mit Menschen, die das nicht wollen? Oder die man nicht erreichen kann?

Maly: Wenn jemand ein Frauenbild importiert, das nicht das unsere ist, dann geht es nicht darum, das zu tolerieren, sondern zu fordern, dass unseres akzeptiert wird. Auch einen anderen Umgang mit Gewalt, die in anderen Gesellschaften anders akzeptiert ist als bei uns, werden wir nie tolerieren. Aber wir haben sowohl in der aufnehmenden Gesellschaft wie auch bei Zuwanderern Menschen, die wir nie ganz erreichen. Das ist einfach so.

 

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