Was geschah wirklich in der Gsell-Villa?

9.9.2014, 14:52 Uhr
Was geschah wirklich in der Gsell-Villa?

© dpa

Auch über elf Jahre nach dem Tod von Franz Gsell ist das Interesse an seinem Fall groß. Zahlreiche Zuhörer sitzen im Schwurgerichtssaal des Nürnberger Justizpalastes. Ein gutes Dutzend Kameraleute und Fotografen drängt sich vor den Tischen, hinter denen die beiden Angeklagten, ihre Verteidiger und Dolmetscherinnen Platz genommen haben.

Den beiden Männern im Alter von 38 und 45 Jahren wird schwerer Raub und gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge zur Last gelegt. Oberstaatsanwältin Jutta Schmiedel wirft dem Mechaniker und dem Schlosser vor, den Arzt am 5. Januar 2003 in seiner Villa in der Nürnberger Sibeliusstraße überfallen, ausgeraubt und misshandelt zu haben. Franz Gsell starb wenige Wochen später im Krankenhaus an den Folgen des Überfalls.

Dramatische Ereignisse vor über elf Jahren

Ein Kriminalbeamter im Zeugenstand lässt die dramatischen Ereignisse an jenem Sonntagabend Revue passieren: „In unserer Notrufzentrale ging ein Anruf eines älteren Herrn ein. Er sagte, er sei gerade von zwei vermummten und bewaffneten Männern überfallen worden, die einen fremdländischen Dialekt sprachen. Er sei fürchterlich zusammengeschlagen worden“, berichtet er. Sofort sei eine Streife von der nahegelegenen Ostwache zum Anwesen des prominenten Chirurgen gefahren. Franz Gsell sei mit Klebeband um den Kopf und verletzt in seinem Bett aufgefunden worden.

Noch am gleichen Abend liefen die Ermittlungen an, so der Kripo-Beamte: Die Polizei sicherte zahlreiche Spuren: Unter anderem fand sie Reste des Klebebands und das Beil, mit dem Gsell bedroht worden war. Anhand von Glasspuren klärten die Kriminaltechniker, dass das Küchenfenster im Obergeschoss des Hauses mit einer Vogelskulptur aus Metall eingeschlagen worden war. Auf der Dachterrasse entdeckten die Ermittler Fußspuren im Schnee.

Aber auch in der Nähe des Tatorts, an der Grimmschule, konnte die Polizei wichtige Beweismittel sichern: Zwei Wollmützen, in die Sehschlitze geschnitten worden waren, hingen in etwa drei Meter Höhe an einem Baum. Ein Radfahrer fand später an der Bundesstraße 2 kurz vor der Autobahnanschlussstelle Nürnberg-Nord eine Tasche, Kleidungsstücke, Handschuhe und den Rot-Kreuz-Mitgliedsausweis von Franz Gsell. Trotzdem war jahrelang offen, wer Franz Gsell überfallen hatte. Auch die Beute, etwa 5000 Euro in Bar, eine teure Uhr und Schmuck, blieben verschollen.

Autoschieber hatten nichts mit dem Überfall zu tun

Die Polizei hatte zunächst eine Autoschieberbande aus dem ehemaligen Jugoslawien im Visier. Diese hatte mit Gsells Ehefrau Tatjana einen Versicherungsbetrug geplant. Die Männer sollten den Diebstahl des S-Klasse-Mercedes des Paares vortäuschen und den Wagen gegen eine Provision im Ausland verkaufen. Später sollte die Arzt-Gattin den Diebstahl der Versicherung melden und die Versicherungssumme kassieren. Die Schuld oder Mitschuld am Tod des Arztes konnte aber weder den Autoschiebern noch Tatjana Gsell nachgewiesen werden.

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft trieben 2003, zufällig zur gleichen Zeit, Einbrecher ihr Unwesen in Erlenstegen. Auf die Spur der tatverdächtigen Rumänen kamen die Behörden aber erst im Jahr 2010: Das Bundeskriminalamt meldete, dass die im Fall Gsell gesicherte DNA mit einer genetischen Spur aus einem Ladendiebstahl in Dänemark übereinstimmt.

Informant aus Rumänien

Dann tauchte auch noch ein Informant aus Rumänien auf, der die mutmaßlichen Räuber nach Nürnberg chauffiert haben will. Er berichtete der Polizei, dass Vasile R., Ioan F. und wohl noch ein dritter, mittlerweile verstorbener Mann sich in seinem Camping-Mobil über den Überfall auf „Doktor Silikon“ unterhalten und den erbeuteten Schmuck herumgereicht hatten. Der Kripo-Beamte im Zeugenstand hält den Fahrer für glaubwürdig, da er sich an viele Details erinnerte und wohl auch eine Sauerkirschmarmelade an Bord hatte, von der an mehreren Beweisstücken Spuren gefunden wurden.

Anfang 2011 wurden Vasile R. und Ioan F. geschnappt. Weil sich die Prozess-Vorbereitungen dann allerdings rund ein Jahr hinzogen, mussten die Verdächtigen im Februar 2012 aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Sie setzten sich in ihr Heimatland ab. Weiter Versuche, sie vor Gericht zu stellen, scheiterten.

Nun wurde aber der ältere der beiden Männer in Frankreich bei einer anderen Straftat geschnappt. Ende August wurde F. an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert. Sein mutmaßlicher Komplize R. kam freiwillig nach Nürnberg. Er hatte vorher vereinbart, dass ein Haftbefehl, der gegen ihn vorlag, außer Vollzug gesetzt wird. Bis zu einer eventuellen Verurteilung ist er ein freier Mann.

Die beiden Angeklagten schwiegen zum Prozessauftakt. Das Nürnberger Schwurgericht will in den nächsten Wochen zahlreiche Zeugen aus dem In- und Ausland hören. Auch Tatjana Gsell steht auf der Zeugenliste.

Dieser Artikel wurde am 9. September um 18.34 Uhr aktualisiert.

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