"Wir haben alles geschnorrt": Rückblick auf 40 Jahre Bardentreffen

20.7.2015, 21:03 Uhr

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Meist laufen Jubiläumsinterviews gleich ab: nett, aber überraschungsarm. Man spricht darüber, was das Größte, Schönste, Tollste und so weiter war. Das Jubiläumsinterview mit Günter Stössel läuft dagegen aus dem Ruder. Spontan erscheint er zu dritt. Er habe zwei Bekannte zufällig in der Telefonleitung gehabt und ihnen vorgeschlagen, sich anzuschließen.

Letztlich eine gute Idee. Der eine Begleiter heißt Helge Cramer. Ein Dokumentarfilmmacher, der bei Pottenstein lebt. Helge Cramer sagt: "Das Konzept fürs Bardentreffen stammt von mir." Die andere Begleiterin heißt Iris McLaughlin. 1976 hieß sie noch Iris Koch und nahm wie Günter Stössel an dem Liedwettbewerb teil, der im Zentrum der ersten zwei Bardentreffen stand. "Wir standen da wie Kaninchen im Scheinwerferlicht", erinnert sie sich. "Aufgeregt, weil wir ja noch nie zuvor ein so großes Publikum hatten."

40-mal Bardentreffen, macht 40 Sommerwochenenden Gratismusik in der Nürnberger Altstadt. Jetzt ist das Festival schon so alt, dass man getrost Zeitzeugen befragen kann. Denn diese beständigste unter Nürnbergs Kulturveranstaltungen hat sich radikal gewandelt. "Nehmen Sie dieses Bild: Man hat damals einen Luftballon losgelassen. Daraus ist eine Riesen-Raumstation geworden", so beschreibt es Günter Stössel.

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Das Bardentreffen, ein überirdischer Erfolg? Zumindest verlor es schnell seinen handgestrickten Hausmusik-Charakter. Das war kein Schaden, Zuhörer von damals erinnern sich an biedere, wehleidige Lieder. Die Gründungsgeschichte besagt: Zwei Journalisten (Johannes Härtel und Leo Loy) und ein Touristiker (Herbert Walchshöfer) dachten sich ein Liedermacherfest aus, um die Innenstadt zu beleben. "Zu Beginn der Sommerferien wurden in Nürnberg die Randsteine hochgeklappt", blickt Härtel in einem Telefonat mit der NZ zurück. Und engagierte, handgemachte Songs galten, so kurz nach 1968, noch als schick. Die Folkbewegung war ja da, auch wenn Rockmusik sie jetzt übertönte. Konzerte unterhalb der Burg, am Köpfleinsberg, in Höfen: "Plötzlich sahen die Leute, wie wunderschön diese sonst so öden Plätze waren."

Bratwurst und Alkohol als Gage

Das Problem: Das Rathaus hatte kein Geld. Die Kulturkasse war geleert durch Sommerveranstaltungen zum Hans-Sachs-Gedenkjahr 1976. "Wir haben alles geschnorrt", sagt Johannes Härtel. Er arbeitete damals im städtischen Presseamt, bezirzte die Behörden. Eine Straubinger Firma habe kostenlos die Tontechnik übernommen, weil sie einen Werbemarkt witterte. Die Organisatoren quartierten die Musiker in einer Pension ein und "verköstigten sie mit viel Alkohol" in ihrer Stammkneipe am Weinmarkt. "Da drin war die Hölle los." Als Gage gab es Essensmarken für Bratwürste. Nach dem dreitägigen Fest blieb eine Rechnung über gut 7800 Mark übrig, erzählt Härtel. "Die bezahlte das Wirtschaftsreferat, als Wirtschaftsförderung." Die Stadt Nürnberg habe das Festival komplett erst ein paar Jahre später übernommen.

Für Helge Cramer ist das nur ein Mythos. In Wirklichkeit habe dieses Trio ihm die Idee geklaut. Es müsse 1974 gewesen sein, als zuerst er – damals Journalist bei der "Abendzeitung" – dem städtischen Kulturreferat eine "Nürnberger Folkwoche" vorgeschlagen habe. Inspiriert von den Sommernächten auf dem Tiergärtnertorplatz, wo Cramer und andere junge Nürnberger gern Gitarre ("Klampfe") übten. Freie Liedermacher sollten auf verschiedenen Bühnen auftreten, ohne Eintritt, auf Deutsch und im Wettbewerb miteinander.

"Mein Konzept wurde abgelehnt. Irgendwann tauchte es wieder auf, aber leicht verändert und ohne meinen Namen", sagt der heute 68-Jährige, der sich später erfolglos beschwerte. Von Plagiat will wiederum Johannes Härtel nichts wissen. Natürlich habe man einander gekannt. Aber Cramer habe ganz andere Ideen formuliert. Ein klassischer Fall von Erfolg, der viele Väter hat.

Jedenfalls bewarben sich damals bestimmt 200 Liedermacher zum Wettbewerb, meint Härtel. Nur deutschsprachige Texte waren zugelassen und nur Amateure. "Das war ja grauenhaft, wir haben die ganzen Einsendungen auf Kassette anhören müssen." Zu den 28, die eine Jury zum Auftritt auswählte, zählte die Nürnberger Biologiestudentin Iris Koch mit zwei Musikerfreunden. Normalerweise dichtete sie auf Englisch. Nun hatte sie eigens drei ihrer Songs übersetzt.

Die Kulisse war famos, 5000 neugierige Zuschauer füllten am Samstagnachmittag den Tiergärtnertorplatz. McLaughlins Erinnerung an das Podium ist gelöscht. Auch dass sie Sechste oder Siebte wurde und ein Schreibgeräteset gewonnen haben muss, wie das Programmheft von 1976 versprach. Sie wanderte bald darauf nach Neuseeland aus, wurde Reiseleiterin – und zuletzt wieder Songwriterin. Für das Bardentreffen 2013 bekam sie mit ihrer Band wieder einen Bühnenplatz. "Mit so wenig Bühnenerfahrung, da waren wir ganz schön erschrocken", sagt Iris McLaughlin und muss lachen. Der Auftritt gelang. "Es war toll. Halt ganz anders als früher, Hightech."

"Charme und Atmosphäre" begeistern noch immer

Ja, es wurde im Lauf der 39 Jahre gestritten über Bühnenstandorte, knappe Etats, Kommerztendenzen. Doch worin das Bardentreffen bis heute Harmonie erzeugt, das ist die Imagepflege für den öffentlichen Raum Nürnberger Altstadt. "Es war das erste Festival, bei dem sich die Bevölkerung in großem Stil Plätze und Straßen ihrer Stadt aneignen konnte", sagt Helge Cramer. "Charme und Atmosphäre" begeistern ihn immer noch, gerade im Vergleich mit Open-Airs anderswo. "Das Bardentreffen hat sich auf natürliche Weise weiterentwickelt", lobt Günter Stössel. "Und es ist ein Mini-Konjunkturprogramm in der Stadt."

Stössel weiß noch, was er 1976 gewann, nachdem er die Menge mit seinem "Globetrottelrag" in Hochstimmung versetzte: "den Hauptpreis zweiter Klasse". Der junge Ingenieur hatte damals schon einen Namen in der Region, nach zwei Platten mit witzigen Fränkisch-Texten. Die Juroren, glaubt er bis heute, hätten sich gewunden, um keinen Einheimischen auf Platz eins wählen zu müssen. So zauberten sie einen "Sonderpreis" für den Publikumsliebling her. Eine Mittelmeerreise, die er an seine Mutter und Schwester weiterschenkte.

Auch Stössel ist jetzt 39 Jahre älter. Zum zehnten Mal steht er im Programm. Das Festivalbüro habe ihn gefragt. "Dann mach’ ich die Zehnerkarte halt voll." Sentimental will er das nicht angehen, traditionsbewusst schon. Er führt mit drei Kollegen Lieder des Freundes Maximilian Kerner auf. Kerner ("Iiech bin a Glubberer"), 2005 verstorben, war eine andere Bardentreffen-Legende. Wenn Stössel am Sonntag auf dem Sebalder Platz mit der Ex-"Kerners Kombo" spielt, feiert er auch noch 71. Geburtstag. Mehr Jubiläum geht nicht.

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