Schadstoff-Cocktail im Abwasser überfordert Kläranlagen

22.3.2018, 05:23 Uhr
Das Umweltbundesamt fordert zusätzliche Reinigungsstufen für Kläranlagen wie diese hier in Nürnberg, damit Schadstoffe besser herausgefiltert werden können.

© Johannes Handl Das Umweltbundesamt fordert zusätzliche Reinigungsstufen für Kläranlagen wie diese hier in Nürnberg, damit Schadstoffe besser herausgefiltert werden können.

In Weißenburg wird das gereinigte Abwasser der mittlefränkischen Kreisstadt in die Schwäbische Rezat geleitet. Da die Rezat relativ wenig Wasser führt, war die Belastung mit Chemikalien, Mikroplastik oder auch Hormonen wie etwa aus der Antibabypille sehr hoch. Darüber hinaus gelangten durch das Abwasser der örtlichen Kreisklinik große Mengen von Arzneimittel-Rückständen in den Fluss.

Deshalb ist Weißenburg seit einigen Monaten Schauplatz eines bayernweiten Pilotprojekts. Im Oktober 2017 wurde in der örtlichen Kläranlage eine vierte Reinigungsstufe in Betrieb genommen, die mit Hilfe einer Ozonbelüftung einen großen Teil dieser Rückstände aufspalten soll. Diese Spaltprodukte werden dann in zwei großen Filterstraßen mittels Aktivkohle und Sand aus dem Abwasser entfernt.

Zahl der schädlichen Substanzen kontinuierlich gestiegen

In konventionellen Kläranlagen werden zur Abwasserreinigung nacheinander mechanische (über einen sogenannten Sandfang), biologische (mittels Bakterien) und chemische Verfahren (in erster Linie durch Phosphor) angewendet. Zwischen 70 und 95 Prozent aller schädlichen Substanzen können damit herausgefiltert werden – aber eben nicht alle.

Und die Zahl dieser bedenklichen Substanzen ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich angestiegen: Im Durchschnitt sind in jedem einzelnen Haushalt bis zu 5000 unterschiedliche Chemikalien vorhanden, deren Rückstände mit dem Haushaltsabwasser entsorgt werden. Darunter befinden sich laut einer Studie der europäischen Chemikalienagentur mehr als 400 gesundheitsgefährdende, zum Teil krebserregende Stoffe in vielen verschiedenen Produkten. Dies führt zu Belastungen der Gewässer mit Mikroschadstoffen durch Wasch- und Reinigungsmittel, Kosmetika, synthetische Duftstoffe, Pestizide, Farben und Lacke. Eine Studie gab erst vor kurzem Aufschluss über die Mikroplastik-Belastung in der Altmühl.

Kleidung sondert winzige Faserpartikel ab

Die Errungenschaften unserer modernen Gesellschaft sorgen für zusätzliche Probleme. Funktionskleidung wie die immer beliebter werdenden Fleecejacken sondern beim Waschen winzig kleine Partikel an Mikrofasern ab, die dann über den Abwasserschlauch der Waschmaschine in die Kanalisation gelangen. Tückisch sind auch die Fettaustauschstoffe in manchen Diät-Lebensmitteln, die vom menschlichen Organismus nur unvollständig verdaut werden und dann über die Klospülung ebenfalls in der Kläranlage landen, wo sie nur unzureichend abgebaut werden können. Anhand der Spuren von Kokain, Cannabis oder Amphetaminen im Abwasser lässt sich sogar der Drogenkonsum in einer Stadt rekonstruieren.

All das macht die vierte Reinigungsstufe in Kläranlagen, wie sie gerade in Weißenburg erprobt wird, nach Ansicht des Umweltbundesamtes immer notwendiger. Das allerdings würde die Abwassergebühren merklich verteuern.

Bis zu 25 Prozent mehr Kosten

Im Auftrag dieser Bundesbehörde hat das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung untersucht, welche Kosten durch die Erweiterungen von Kläranlagen entstehen können und wie sich diese gegenfinanzieren lassen. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft rechnet nach dem aktuellen Konzept der Bundesregierung mit Kostensteigerungen von bis zu 25 Prozent.

Aktuell kostet die Entsorgung eines Kubikmeters Abwasser laut dem Bayerischen Landesamt für Statistik durchschnittlich 1,90 Euro. Eine durchschnittliche vierköpfige Familie im Freistaat, bei der jährlich zwischen 60 und 70 Kubikmeter Abwasser anfallen, müsste also mit etwa 40 Euro an zusätzlichen Gebühren pro Jahr kalkulieren.

Analysemethoden haben sich verbessert

In Weißenburg wurden rund drei Millionen Euro in die Erweiterung der Kläranlage investiert, wobei das Umweltministerium die neue Technologie mit 2,3 Millionen gefördert hat. Auch im Freistaat hat man erkannt, dass die Grundwasserbelastung durch verschiedenste Chemikalien zum Problem wird, das auch auf die Trinkwasserqualität Einfluss hat. Die Analysemethoden haben sich in den vergangenen Jahren deutlich verbessert, so dass schon kleinste Konzentrationen der im Fokus stehenden Stoffe festgestellt werden können.

"Vermutlich sind bereits mehrere Tausend chemische Stoffe in dem von Menschen genutzten Wasserkreislauf – und über ihre Wirkung wissen wir wenig", sagt Klaus Kümmerer vom Institut für Nachhaltige Chemie und Umweltchemie. Auch weil sich die Substanzen im Wasser und im Boden chemisch verändern, habe man kaum Erkenntnisse über mögliche Auswirkungen auf Mensch und Tier.

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