Der FC Bayern und der stumpfe Rasen im Calderón

29.4.2016, 10:00 Uhr
Das Tor des Tages: Neuer streckt sich vergebens, die Kugel schlägt hinter ihm ein.

© afp Das Tor des Tages: Neuer streckt sich vergebens, die Kugel schlägt hinter ihm ein.

Wenn man so will, dann hatte sich an diesem Mittwoch sogar der Himmel gegen den FC Bayern München verbündet. Den ganzen Tag über schien die Sonne auf Madrid herab, Straßencafes und Künstler machten ihr Geschäft mit den tausenden Gästen aus Bayern, die die Plaza Major mit ihrer Reiterstatue des Königs, den Neptunbrunnen und den Platz vor dem Teatro Real wie eine rote Welle regelrecht überflutet hatten. An jeder Ecke wehten weiß-blaue Fahnen, überall hörte man bierselige, deutsche Gesänge.

Während in der Heimat Schneeregen fiel, erfreuten sich die Deutschen eines herrlichen spanischen Frühlingstages, obwohl wohl niemand von ihnen so sehr für Trockenheit gebetet hatte wie der Platzwart von Atletico.

Als am Abend dann die Münchner Spieler den Rasen im Estadio Vincente Calderon zum Halbfinal-Hinspiel betraten, da hatten sie natürlich mit allem gerechnet. Diego Simeone, Atleticos exzentrischer Trainer ist ja nicht nur dafür bekannt, dass er sich mit viel Gel das Haar aufs Haupt zementiert, sondern auch dafür, dass ihm jedes Mittel zum Gewinnen Recht ist. In der Primera Division ist der Chilene bis Saisonende gesperrt, weil er einen Balljungen animierte, einen Ball in den Konterangriff des Gegners zu schmeißen. Gegen Bayern München aber hatte Simeone die Trockenheit als Waffe ausgeheckt.

"Der Platz nahm sogar bei Kopfballaufsetzern ein bisschen das Gas aus dem Ball", wunderte sich Thomas Müller später, "wenn der aufkommt, musst du aufpassen, dass er dir nicht zurück ins Gesicht springt." Sein Kapitän, Philipp Lahm, fand nüchtern: "Der Platz war sehr stumpf." Die durstigen, spröden Halme hatten ja schon das Passspiel des FC Barcelona im Viertelfinale erfolgreich ausgebremst, nun hatte der FC Bayern seine lieben Probleme mit ihnen. Doch als Ausrede für das 0:1 im Halbfinal-Hinspiel bei Atletico Madrid konnte das trotzdem nicht alleine gelten.

Zu großen Teilen war diese Niederlage ohne Treffer, die den Schwierigkeitsgrad im ohnehin heiklen Auftrag gegen die Defensivspezialisten Atleticos fürs Rückspiel am Dienstag in Fröttmaning (20.45 Uhr/ZDF) noch einmal erhöht, höchst selbst verschuldet. Zum einen, weil sich Trainer Pep Guardiola in der Wahl der Startelf gehörig vergriff, zum anderen, weil es den Bayern nach einer deutlichen Leistungssteigerung im zweiten Durchgang trotz bester Chancen nicht gelang, einen Treffer zu erzielen.

Guardiolas Plan war gewesen, das spanische Abwehrbollwerk, das in der laufenden Champions-League-Saison nur halb soviele Treffer kassiert hatte als die Münchner, mit einem Linksfuß auf Links und einem Rechtsfuß auf Rechts auseinanderzuziehen wie einen Kaugummi. Doch Douglas Costa (25) und Kingsley Coman (19), die überraschenderweise den erfahrenen Franck Ribery und Thomas Müller vorgezogen wurden, konnten in einer hitzigen, gewaltigen Atmosphäre im Estadio Vicente Calderon das Feuer auf den Flügeln nie entfachen. Im Mittelfeld sollte das Dreieck Thiago Alcantara, Xabi Alonso und Arturo Vidal Kompaktheit erzeugen, kam aber erst spät in die Zweikämpfe gegen leidenschaftliche, aggressive, entschlossene Madrilenen.

"Ich wollte einen Mittelfeldspieler mehr in der Mitte. Einen mehr - deshalb", verriet Guardiola nach dem Spiel den Irrsinn, dass torgefährlichste Duo Europas mit Müller und Robert Lewandowski auseinanderzureißen. Der Trainer korrigierte den Fehlgriff auch nicht zur Pause, er brachte Müller erst nach 70 Minuten, dabei hätte der deutsche Meister die unkonventionelle, wuselige Art des 31-Tore-Müllers gerade in den vielen Strafraumszenen des zweiten Durchgangs benötigt. "Wir hätten vor dem Spiel nicht gedacht, dass wir uns so viele Chancen erarbeiten können, wie in der zweiten Halbzeit. Und die muss man dann halt nutzen", sagte Lahm. Da war ja David Alabas Schuss gegen die Latte (54.). Da war der Kopfball von Javi Martínez in die Arme von Torwart Jan Oblak (59.). Da waren gute Versuche von Robert Lewandowski (64.) oder ein schöner Lupfer von Costa (70.).

Saul sensationell, Torres im Pech

In dem gewaltigen spanischen Sturmlauf zu Spielbeginn aber war eine beängstigend hilflose Bayern-Defensive einem mittelschweren Debakel entgangen. Wie durch ein Wunder traf aber einzig Saul Niguez mit einem "Maradona-Tor", wie die Marca den Sololauf vorbei an drei Münchner Verteidigern umschrieb (11.). Einer Vorentscheidung entging der Gast, weil Fernando Torres im einzigen Atletico-Torschuss der zweiten Hälfte nur den Pfosten traf (75.).

Pep Guardiola wollte trotzdem "zu 75 Prozent zufrieden" gewesen sein, auch wenn dem Spanier im dritten Anlauf das dritte Halbfinal-Aus gegen eine Mannschaft seiner Heimat droht. Doch noch, sagte Philipp Lahm, bevor er in den Teambus stieg, ist es nicht vorbei. Am Dienstag in Fröttmaning darf man davon ausgehen, dass der Rasen mehr als genug bewässert sein wird.

 

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